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Silvio Berlusconi ist im Alter von 86 Jahren gestorben.

© AFP/FILIPPO MONTEFORTE

Erfinder des schamlosen Populismus: Berlusconi ist tot, der Berlusconismus ist lebendiger denn je

Der Tod des Tycoons ist nur ein äußerlicher Einschnitt. Silvio Berlusconis lange Dominanz der italienischen Politik, als Premier und davor, wird Italien auf Dauer prägen.

Mitten in den Lobreden von Freund und auch Feind hob sich die erste Reaktion der Oppositionsführerin am Montagvormittag durch deutlich mehr Kühle ab: „Seine Politik und die unsere sind grundverschieden und bleiben es.“

Angesichts des Todes von Silvio Berlusconi bleibe „der menschliche Respekt für eine Schlüsselfigur der italienischen Geschichte“, erklärte die Vorsitzende der Sozialdemokraten, Elly Schlein. Und „Mit Silvio Berlusconis Tod geht eine Epoche zu Ende.“

Das allerdings gilt nur an jener Oberfläche, die die Aufmerksamkeit Italiens und der Welt in den drei Jahrzehnten fesselte, in denen Berlusconi die Politik seines Landes dominierte.

Faxen vor EU-Gipfelfotos, das „Kuckuck“, mit dem er bei Spitzentreffen hinter einer Säule auftauchte, peinliche Anrufe in einem Polizeirevier, wo er ein minderjähriges Opfer seiner Bunga-Bunga-Sexparties als „Mubaraks Nichte“ ausgab, ordinäre Beleidigungen gegen die deutsche Kanzlerin.

Und vor allem: Eine endlose Reihe von Prozessen wegen Steuerkriminalität, Bilanzfälschung, Bestechung, Missbrauch Minderjähriger und nur eine einzige Verurteilung: Das ist tatsächlich zu Ende, seit einiger Zeit schon.

Eine letzte Probe gab der mittlerweile gebrechliche alte Herr kurz nach der Wahl im vergangenen September, als er sich seiner Freundschaft zu Wladimir Putin rühmte und von den Wodka-Flaschen und „reizenden Briefen“ schwadronierte, die man ausgetauscht habe.

Berlusconi, Putin und Putins Oberpropagandist Medwedew im Jahr 2012.

© AFP/DMITRY ASTAKHOV

Seine wahre Erbin heißt Meloni

Am persönlichen politischen Ende war er in den Augen der Öffentlichkeit angekommen, als er in der Parteizentrale seines einstigen Schützlings Giorgia Meloni antreten musste, um bei der amtierenden Ministerpräsidentin gut Wetter zu machen. Er hatte, bestens sichtbar für die Fernsehkameras, notiert, was er von ihr hielt: „1. eingebildet 2. überheblich 3. arrogant 4. beleidigend.“

Aber obwohl der Patron persönlich offensichtlich seit langem geschwächt war: Politisch hat die Epoche Silvio Berlusconis gerade erst richtig angefangen: Die aktuelle Regierung unter Giorgia Meloni, in der seine persönliche Partei „Forza Italia“ nur noch Dritte im Bunde ist, ist ganz und gar die Erbin seiner prägenden politischen Jahrzehnte, sein Kind. Es war Berlusconi, der 1994, gleich mit seiner ersten Regierung, den Postfaschismus ins Kabinett holte und damit salonfähig machte.

Matteo Salvini, Silvio Berlusconi, Giorgia Meloni und Maurizio Lupi bei einer gemeinsamen abschließenden Wahlkampfveranstaltung der italienischen Rechtsparteien.

© snapshot-photography/snapshot/Future Image/A.M.Tinghino

Der MSI, Sammelbecken alter Kamerad:innen, hatte bis dahin am Rande des politischen Geschehens und ganz und gar außerhalb des Vefassungsbogens gestanden. Nicht einmal dreißig Jahre später ist die Nach-Nachfolgeformation, Melonis „Fratelli d’Italia“, die stärkste Kraft und stellt die Premierministerin.

Es bleibt der menschliche Respekt für eine Schlüsselfigur der italienischen Geschichte.

Elly Schlein, sozialdemokratische Parteivorsitzende

Melonis Programm und Regierung sind die radikale Fortsetzung von Berlusconis Politik: Steuererleichterungen statt Bekämpfung von Armut und prekärer Arbeit, sogar der Abbau schüchterner Ansätze von Sozialhilfe und weitere Hürden für die Justiz, wenn sie nicht gegen Drogenabhängige vorgeht, sondern gegen Steuerhinterziehung, Mafia, Schwarzbauten und politische Vetternwirtschaft.

Berlusconi im Jahr 2008 vor einem Fernsehauftritt.

© AFP/ALBERTO PIZZOLI

Wenn es um Bürgerrechte ging, um Frauen und Minderheiten, klopfte Berlusconi sexistische Sprüche oder machte einfach gar nichts. Meloni macht Ernst - sie plant, ein Beispiel von etlichen, männliche Elternpaare zu kriminalisieren.

Mit ihm hörten Fakten auf, bedeutend zu sein

Berlusconis in aller Welt belächelte oder entsetzt kommentierten Ausfälle, Kindisch- oder Peinlichkeiten waren der perfekte Sichtschutz, hinter dem er, auch weltweit, einen neuen Politikstil etablieren konnte. Er war der Pionier jener Ära, in der Politiker:innen nicht nur, wie zu allen Zeiten, die Wahrheit umbogen, umgingen oder auch in Lüge verkehrten.

Mit ihm haben Fakten aufgehört, irgendeine Bedeutung zu haben, und dies an der Regierungsspitze eines westlichen Landes und Gründungsmitglieds der EU. Beim Lügen erwischt zu werden, hatte keinerlei Folge mehr, keinen Rücktritt, keine Entschuldigung. Die Regierung Trump musste Italiens „Kaiman“ nur kopieren.

In Italien selbst hat Berlusconis Regierungszeit die meisten tiefen und bleibenden Spuren hinterlassen. Selbst wenn sie sein Showtalent hätte: Seine Erbin Meloni braucht den schützenden Schirm von Skandalen nicht mehr, hinter der sie die nächste Phase des Umbaus vollziehen kann: Die Normalisierung des Faschismus, den Abbau rechtsstaatlicher Garantien und der Gewaltenteilung, auf die zum Beispiel die Direktwahl des Präsidenten zielt, dazu Maulkörbe für kritische Stimmen. Berlusconis politische Vision hat sich durchgesetzt.

Jeder seiner Ausfälle gegen Richter und Staatsanwälte sei „ein Werbespot für Steuerhinterziehung“, schrieb einst ein Kommentator verzweifelt. Inzwischen ist das Land schon weiter.

Es spricht Bände, dass sich die neue Chefin der Sozialdemokraten bis in die eigenen Reihen hinein als Radikale schmähen lassen muss, weil sie ein schüchternes Sozialprogramm präsentiert – Armutsbekämpfung, gute öffentliche Bildung und die dringend nötigen Reparaturen am öffentlichen Gesundheitssystem.

Der Mann, der ihn zweimal ablöste

Berlusconi ist gestorben, der Berlusconismus ist lebendiger denn je. Eine Bilanz, die sich auch aus der Kondolenzbotschaft des früheren EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi am Montag lesen ließ: Berlusconi habe in seiner „langen und intensiven politischen Laufbahn einen großen Einfluss auf unser Land gehabt und nicht nur auf dessen Institutionen eingewirkt, sondern auch auf das Leben aller Bürger“.

Prodi gelang es 1996 und 2006, an der Spitze seines breiten Mittel-Links-„Ölbaum“-Bündnisses, Berlusconi zu schlagen und ihn beide Male als Premier abzulösen.

Deutlich weniger distanziert der frühere Chef der Sozialdemokraten und Ex-Premier Matteo Renzi: „Italien weint heute zusammen mit seiner Familie und seinen Lieben, seinen Firmen, seiner Partei“, twitterte der Nachfolger, dem Parteifreunde Hinterzimmerdeals mit Berlusconi zum Vorwurf gemacht hatten und der inzwischen eine Kleinpartei rechts des PD gegründet hat: „Du wirst uns fehlen, Presidente.“

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