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Satellitenbild des Kachowka-Staudamm

© dpa/Uncredited

„Taktik der verbrannten Erde“: Was der Angriff auf den Kachowka-Staudamm für Kiews Offensive bedeutet

Nach dem Angriff auf den Staudamm in Cherson rätseln Experten über die militärischen Folgen – kann die Sprengung eine mögliche Gegenoffensive aufhalten?

Rund 16.000 Menschen leben in der „kritischen Zone“ in der südukrainischen Region Cherson rund um den Staudamm Kachowka. Er wurde in der Nacht auf Dienstag gesprengt und im Laufe des Tages vollständig zerstört.

Die Zerstörung des Staudamms erfolgte nur wenige Stunden nach Meldungen über eine bevorstehende ukrainische Großoffensive im Osten des Landes, vermehrt wurden ukrainische Angriffe rund um Bachmut gemeldet. Zufall?

„Die Sprengung des Damms, genau wie die Bombardierungen von anderen eindeutig zivilen Zielen und Zivilist:innen, ist ein Kriegsverbrechen mit katastrophalen Konsequenzen“, sagt Annick Wibben, Sicherheitsexpertin an der schwedischen Hochschule für Verteidigung dem Tagesspiegel.

Das Vorgehen zeugt von Schonungslosigkeit

Der Angriff zeige auch, dass es Russland kaum um „Befreiung“ ukrainischer Gebiete gehe, sondern vielmehr um Dominanz: „Es ist eine Taktik der verbrannten Erde.“

So denkt auch Gustav Gressel, Militärexperte beim European Council on Foreign Relations (ECFR), einer Denkfabrik zu Themen europäischer Außenpolitik.

Er glaubt, dass die Russen den Damm gesprengt haben, um es den Ukrainern zu erschweren, den Dnjepr mit amphibischem Gerät zu überqueren. „Militärisch bringt das nicht viel. Es zielt auf die Zerstörung von Gebieten durch Überschwemmung.“

Ob es sich bei den erneuten ukrainischen Angriffen im Osten des Landes um groß angelegte Gegenangriffe und die lang angekündigte Großoffensive handelt, wollten weitere Expert:innen, die der Tagesspiegel befragte, nicht bestätigen. Zu unklar und widersprüchlich seien die Nachrichten von der Front.

Ob das bereits eine Gegenoffensive ist, kann im Moment wirklich niemand sagen“, sagt Christian Mölling, Leiter des Zentrums für Sicherheit und Verteidigung bei der DGAP.

„Die Frage ist auch, gibt es überhaupt die eine Gegenoffensive – oder nicht vielmehr 50 verschiedene Schattierungen?“

Dennoch dienten ukrainische Eroberungen von bestimmten Gebieten dazu, „den Gegner in die Knie zu zwingen“ und zurück an den Verhandlungstisch zu bringen.

Die einzige Art, den Erfolg einer möglichen Gegenoffensive zu messen, sei daher ein eindeutiger Rückzug Russlands, meint Wibben. „Die ukrainische Regierung hat bereits angekündigt, dass die Sprengung des Staudamms die Offensive nicht aufhalten wird.“

Die Sprengung des Damms ist ein Kriegsverbrechen mit katastrophalen Konsequenzen.

Annick Wibben, Professorin für Gender, Peace und Security an der schwedischen Hochschule für Verteidigung.

Die Ukraine hat Gressel zufolge ihre Offensive mit „Stormshadow-Angriffen“ in den vergangenen zwei Wochen vorbereitet und „mit Distanzwaffen russische Nachschubwege und Kommandostellen ausgeschaltet“.

Der Experte rechnet mit einer „relativ erfolgreichen Offensive. Der Ukraine kann es gelingen, in den nächsten drei Monaten anderthalb Oblaste zu befreien.“ Das entspreche ungefähr der Größe Bayerns.

Kiew werde jetzt nicht abwarten, bis die Russen neue Hauptquartiere aufgebaut haben. Die Waffen, die der Westen der Ukraine im Frühjahr zugesagt habe, seien inzwischen eingetroffen. „Ein Fragezeichen sehe ich bei der Munition.“

Das glaubt auch Militärexperte Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. „Langfristig wird es der Ukraine an Munition fehlen. Ein Problem, das grundsätzlich aber behebbar ist.“

Stärken und Schwächen der beiden Armeen

Ein wesentlich größeres Problem sei, „dass das Land und seine Waffenlieferungen eng an die politische Dynamik in den westlichen Staaten gekoppelt und damit von den Entscheidungen anderer abhängig ist.“

16.000
Menschen leben in der Region rund um den Staudamm Kachowka.

Russlands Stärke sei eben diese Abhängigkeit der Ukraine. Das russische Militär sei dagegen „weniger eine Armee, vielmehr unorganisierte Gewalt, und das ist seit Kriegsbeginn die größte russische Schwäche“.

Seit Kriegsbeginn gebe es keine funktionierende Kommandokette. „Die Soldaten wissen zudem – anders als die Ukrainer und Ukrainerinnen – nicht, wofür sie überhaupt kämpfen.“

Auch Gustav Gressel vom ECFR zweifelt an der Effektivität der russischen Armee. „Sie haben ihre Kräfte durch Angriffe verschlissen, ohne größere Erfolge zu erzielen.“

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