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Staat und Minderheit begegnen sich: Die damalige Kanzlerin Merkel bei der Einweihung des Mahnmals zum Gedenken an der Völkermord an Sinti und Roma 2012 zwischen dem Künstler Dani Karavan und dem Überlebenden Reinhard Florian.

© REUTERS/THOMAS PETER

Staatsvertrag für die Minderheit: Verbände der Sinti und Roma appellieren an Zentralrat

Mit einem Staatsvertrag will die Bundesregierung der Minderheit mehr Teilhabe verschaffen und ihre Kultur schützen. Doch wer darf verhandeln?

In einem Offenen Brief haben zwei Verbände der Sinti und Roma an den Traditionsverband unter der Leitung von Romani Rose appelliert, die Verhandlungen zum künftigen Staatsvertrag gemeinsam zu führen. „Seit Jahrzehnten suchen wir vergeblich die Zusammenarbeit mit Ihnen“, heißt es im Brief der „Bundesvereinigung der Sinti und Roma“ und der „Sinti Allianz“.

Bereits seit 2018 liege ein Entwurf des von Rose geführten „Zentralrat Deutscher Sinti und Roma“ vor, aber niemand sonst kenne ihn. Das Recht darauf hätten aber nicht nur die Dachverbände, sondern „alle unsere Menschen haben ein Anrecht darauf zu wissen, was verhandelt wird“, heißt es in dem Brief, den die Vorsitzenden beider Organisationen, Kelly Laubinger und Oskar Weiss, unterschrieben haben.

„Wir brauchen eine transparente und ehrliche Auseinandersetzung über die unterschiedlichen Ziele, Vorschläge bzw. Entwürfe der diversen Gruppen der Minderheit“, heißt es weiter im Brief, der bewusst auf einen Tag vor dem 2. August datiert ist. Am 2. August gedenkt die Minderheit in ganz Europa jedes Jahr des Holocausts an ihren Eltern und Großeltern.

Europas größte Minderheit – und die verachtetste

Man wünsche sich einen Prozess, der „demokratisch und pluralistisch“ sei und alle Dachorganisationen und Mitglieder einbinde. „Besinnen wir uns auf unsere Geschichte, lassen Sie uns unsere Tradition des Zusammenhalts unabhängig von unterschiedlichen Haltungen beibehalten.“ Man wolle zügig in Kontakt kommen.

Der Offene Brief macht einen Generationenkonflikt öffentlich, der schon länger in der Minderheit schwelt, von der jungen Generation aber bisher nicht nach außen getragen wurde. Man wollte Romani Rose nicht beschädigen, der in fast fünfzig Jahren Engagement viel für die Minderheit erreicht hat, die nach dem Völkermord durch das NS-Regime auch in Nachkriegsdeutschland weiter verfolgt und ausgegrenzt wurde.

Seit Jahrzehnten suchen wir vergeblich die Zusammenarbeit mit Ihnen.

Aus dem Brief der beiden Verbände an den Zentralratsvorsitzenden Romani Rose

Eine massive Bildungsbenachteiligung und Kriminalisierung war die bis heute spürbare Folge dieser erneuten Verfolgung. Auch in anderen EU-Ländern ist Europas größte und zugleich verachtetste Minderheit bis heute ausgegrenzt und menschenunwürdigen Lebensbedingungen ausgesetzt.

Regierung setzt auf Einigung der Verbände

Seit dem Mauerfall ist die Community in Deutschland gewachsen und vielfältiger geworden; auch Roma nichtdeutscher Herkunftssprache engagieren sich und wollen repräsentiert sein. Die unterschiedlichen Interessen führten zunehmend zu Reibereien mit dem Zentralrat, der seit mehr als 40 Jahren von Rose geführt wird. Mehrere Landesverbände verließen den Dachverband oder wurden, wie der baden-württembergische unter Daniel Strauß, von Roses Zentralrat ausgeschlossen.

Eine Einladung der früheren Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) und des langjährigen SPD-Bundestagsabgeordneten Gert Weisskirchen zu einem Koordinationstreffen in Sachen Staatsvertrag lehnte Rose kürzlich ab und äußerte Unverständnis: Er könne „nicht nachvollziehen (...), warum diese neu gegründeten Vereine, die sich lediglich als Konkurrenz zum Zentralrat verstehen (...), ein solches Gewicht und eine solche Aufwertung bekommen vonseiten der Politik“.

Das federführende Bundesinnenministerium bestätigte dabei auf Anfrage des Tagesspiegels, dass man nicht allein den Zentralrat als Ansprechpartner sehe: „Es liegt im Interesse der Bundesregierung, dass die zwischen den beteiligten zivilgesellschaftlichen Organisationen derzeit noch bestehenden unterschiedlichen Auffassungen zum Inhalt eines Staatsvertrages zügig ausgeräumt werden.“

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