zum Hauptinhalt
Pro-israelische Kundgebung am Brandenburger Tor nach dem Terrorangriff der Hamas.

© Imago/Olaf Schuelke

Update

Raketeneinschlag in Gaza-Klinik, Europa streitet: Warum die EU machtlos ist und Berlin Mehrheitsvoten fürchtet

Die EU hat bisher kaum Einfluss auf den Nahostkonflikt. Er ist eines der wenigen Themen, bei denen Deutschland in eine Minderheitsposition bei der gemeinsan Außenpolitik geraten würde.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

| Update:

In Gaza schlägt eine Rakete in eine Klinik ein. Israel und die radikale Hamas beschuldigen sich gegenseitig, dafür verantwortlich zu sein. In Brüssel streiten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der Chef des Europäischen Rats Charles Michel, wer für die EU spricht und das entscheidende Wort im fünften Gazakrieg seit 2008 hat.

Es ist nur vordergründig ein Streit um Kompetenzen. Dahinter steckt ein viel grundlegenderes Ringen, auf welcher Seite die Sympathien der Menschen in den EU-Mitgliedsstaaten im Nahostkonflikt liegen. Und welchen Einfluss das auf die Formulierung einer gemeinsamen europäischen Position hat – oder haben sollte.

Bisher hat die EU keinen großen Einfluss auf den Nahostkonflikt. Sie ist innerlich gespalten. Wovon soll sich die EU leiten lassen? Von unbedingter Solidarität mit Israel nach dem menschenverachtenden Überfall der Hamas auf wehrlose Kinder, Frauen, Zivilisten, wie von der Leyen sagt? Oder vom Gedanken humanitärer Hilfe für und Solidarität mit den eingeschlossenen Menschen in Gaza, wie Michel fordert? Die sind zum Großteil ebenfalls Zivilisten. Die Hamas missbraucht sie für ihre propagandistischen Ziele.

Unter dem Eindruck des Mordens der Hamas in Israel war die öffentliche Empathie bisher eher aufseiten Israels. Aber das dürfte sich rasch ändern. Denn nun dominieren zunehmend Bilder von palästinensischen Opfern der israelischen Gegenoffensive die Nachrichten. So war es in jedem der letzten Gazakriege. Dann verlangen viele Europäer das Unmögliche: israelische Gegenwehr ohne zivile Opfer.

In Friedenszeiten hat die Mehrheit der EU-Bürger keine dezidierte Meinung zu dem jahrzehntealten Konflikt, zeigen Umfragen und Studien. Umso lauter treten nun die Stimmen hervor, die entweder klar pro-israelisch oder klar pro-palästinensisch sind.

In den meisten EU-Staaten überwiegen die pro-palästinensischen Stimmen. Diese Haltung ist umso stärker, je größer der Bevölkerungsanteil von Migranten aus muslimischen und speziell arabischen Ländern ist. Deutschland ist der einzige EU-Staat, in dem das explizite Pro-Israel-Lager (17 Prozent) ein kleines bisschen größer ist als das pro-palästinensische (15 Prozent).

Diese Zuspitzung ist extrem heikel für Deutschland, das Israels Sicherheit zu einem Teil der deutschen Staatsräson erklärt hat. Und führt zu einem der wenigen prinzipiellen Probleme beim deutschen Drängen auf Mehrheitsentscheidungen in der EU-Außenpolitik.

Deren Ziel ist es, Europa relevanter in der Welt zu machen. Bisher wird die EU nicht sonderlich ernst genommen, weil sie sehr oft keine eindeutige Position hat, die von ihren Mitgliedsstaaten mit Nachdruck vertreten wird.

In der Regel gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Wenn eines oder gar mehrere der 27 Mitglieder nicht mitziehen, hat die EU keine klare Politik – bestenfalls eine verwässerte Haltung.

Aber was wäre wohl das Ergebnis, wenn die EU ihre Haltung zu Israel und Palästina per Mehrheitsbeschluss festlegen wollte? Es ist eines der wenigen Themen der Weltpolitik, bei denen Deutschland in eine Minderheitsposition in der EU geraten würde.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false