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Hoffnungsträger für viele in Guatemala: Bernardo Arévalo.

© AFP/Luis Acosta

Wahlen in Guatemala : Korruptionsbekämpfer Arévalo könnte den Staat umkrempeln

In Mittelamerikas größter Volkswirtschaft herrscht eine konservative, hellhäutige Elite. Das könnte sich am Sonntag ändern – ihr Gegner liegt in den Prognosen für die Präsidentschaftswahl vorn.

José Navas ist 27 Jahre alt und hat zum ersten Mal das Gefühl, dass er bei Wahlen in Guatemala am Sonntag nicht für das kleinere Übel stimmt, sondern jemanden wählen kann, der ihm wirklich gefällt: Bernardo Arévalo.

„Er faselt nicht wie ein Politiker, sondern redet wie ein intelligenter Mensch“, sagt der Informatiker am Rand einer Wahlkampfveranstaltung Arévalos in der Kleinstadt Huehuetenango. „Und seine Partei Semilla hat in den letzten vier Jahren im Kongress gegen die Korruption gekämpft, die unser Land aussaugt“, ergänzt er.

In Guatemala ist die Macht in den Händen einer konservativen, hellhäutigen Elite. Ein Dutzend Familien besitzen die Monopole des Landes – etwa Zement und Bier – und haben sich daran gewöhnt, Institutionen zu kooptieren und Politiker zu kaufen. Soziale Reformen wurden so jahrzehntelang verhindert.

Guatemala ist die größte Volkswirtschaft Mittelamerikas und hat das geringste Steueraufkommen mit 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Knapp 60 Prozent der überwiegend indigenen Bevölkerung leben in Armut, fast die Hälfte der Kinder ist unterernährt.

In armen Regionen ist Stimmenkauf üblich

Rund tausend Menschen haben sich in Huehuetenango im indigenen Hochland eingefunden. Die Stimmung ist ausgelassen, viele haben ihre Kinder mitgebracht und selbst gemalte Transparente. „Unsere Würde wird nicht mit Füßen getreten“, steht auf einem.

Es ist eine Anspielung auf den in Guatemalas armen, ländlichen Regionen üblichen Stimmenkauf, den die Traditionsparteien pflegen. Eine junge indigene Frau winkt aufgeregt mit einem Pappkarton, der mitteilt: „Ich bin eine Nichte von Onkel Bernie.“

Es sind keine Slogans, die sich Wahlberater ausgedacht haben, sondern spontane Ideen der Sympathisanten, verbreitet in sozialen Netzwerken.

Unterstützer der Bürgerbewegung Semilla: Die Partei lässt sich nicht von großen Unternehmen sponsern.
Unterstützer der Bürgerbewegung Semilla: Die Partei lässt sich nicht von großen Unternehmen sponsern.

© dpa/AP/Moises Castillo

Der graubärtige, etwas behäbig wirkende 64-jährige Soziologe Arévalo von der Bürgerbewegung Semilla ist innerhalb von einem Monat vom einfachen Abgeordneten zum Hoffnungsträger geworden. Kommentatoren schreiben von einem „demokratischen Frühling“.

Semilla befindet sich im politischen Spektrum zwischen sozialdemokratisch und christdemokratisch und hat sich vor allem der Korruptionsbekämpfung verschrieben. Die Partei gibt es er erst seit 2017: Sie entstand aus Bürgerprotesten und stellte bislang fünf Abgeordnete im Kongress, die sich wie Musketiere gegen die korrupten Hinterzimmerdeals wehrten. Sie stellten ihre Kongress-Kolleg:innen zur Rede, filmten deren hilfloses Gestammel und stellten das ins Netz.

Das fand vor allem die Jugend gut, die ihr Heil sonst eher in Flucht und Migration sucht. In der ersten Runde gingen die Jungwähler unerwartet zahlreich an die Urnen. In den Städten fuhr Semilla Rekordgewinne ein.

Anhänger von Bernardo Arévalo in Guatemala City.
Anhänger von Bernardo Arévalo in Guatemala City.

© AFP/Luis Acosta

Nun verfängt das „Phänomen Arévalo“ auch bei der indigenen Landbevölkerung, wie der Auftritt in Huehuetenango zeigt. „Hier kamen in der ersten Runde sieben Leute zu unserem Meeting“, sagt Mario Jacob, einer der Wahlkampfstrategen.

Kandidatin Torres versucht es zum dritten Mal

Kurz vor der Stichwahl sind es ca. 1.000 Teilnehmer:innen. In Umfragen kommt Arévalo auf 63 Prozent; seine Konkurrentin Sandra Torres auf 37 Prozent – trotz der Unterstützung durch die wirtschaftliche Elite des Landes.

Torres unternimmt bereits den dritten Anlauf. Ihre sozialdemokratische Einheit der Hoffnung (UNE) mischt seit Jahren in der Politik mit. Sie selbst war schon First Lady von 2008 bis 2012 und damals zuständig für Sozialprogramme.

Kontrahentin Sandra Torres: Früher links, dann rückte sie immer weiter nach rechts.
Kontrahentin Sandra Torres: Früher links, dann rückte sie immer weiter nach rechts.

© Reuters/Christina Chiquin

Deshalb war sie stets das linke Schreckgespenst der erzkonservativen Elite, die sie eine Zeit lang wegen Geldwäsche bei der Wahlkampffinanzierung sogar ins Gefängnis steckte, dann aber wieder freiließ.

Danach rückte sie immer mehr nach rechts, paktierte mit den einflussreichen evangelikalen Kirchen, mit dubiosen Regionalfürsten, denen Nähe zum Drogenhandel nachgesagt wird, mit Reserveoffizieren, die am blutigen Genozid an den Indigenen während des Bürgerkriegs (1960-1996) beteiligt waren. Heute ist sie die letzte Hoffnung des Establishments auf den Erhalt des Status quo.

Arévalo profitiert von „Erdrutsch in letzter Minute“

Während bei den Wahlkampfauftritten von Torres Rucksäcke und Trinkflaschen unters Volk geworfen werden, müssen die Parteimitglieder von Semilla ihre Transparente alle paar Tage woanders aufhängen, weil die Partei sich nicht von den großen Unternehmen sponsern lässt. Die Umhängaktionen werden in YouTube und TikTok übertragen. Das wirkt wie David gegen Goliath, und hat eine Sympathiewelle ausgelöst.

Eine Stichwahl zwischen Arévalo und Torres stand eigentlich nicht im Drehbuch der Elite, die mit Hilfe einer willfährigen Justiz bereits im ersten Wahlgang all diejenigen Kandidaten aus dem Rennen nahm, die ihren Interessen hätten gefährlich werden können. Arévalos Umfragewerte dümpelten stets im einstelligen Bereich.

Die Erwartungen sind riesig, aber ein Land umzukrempeln braucht viel Zeit. Arévalo wird den Justizapparat und den Kongress gegen sich haben.

Gabriela Carrera, Politikwissenschaftlerin

Was dann am Wahltag passierte, erklärt die Politikwissenschaftlerin Gabriela Carrera von der Universität Rafael Landívar mit einem „Erdrutsch in letzter Minute“. „Viele wollten sich eigentlich enthalten, haben dann aber offenbar doch in Arévalo die Chance auf einen Wandel gesehen.“

Als die Ergebnisse vorlagen, war die Reaktion brutal. Die Staatsanwaltschaft eröffnete mehrere Verfahren gegen Arévalo und Semilla und warf der Partei unsaubere Praktiken bei der Parteigründung vor. Die Intervention der internationalen Gemeinschaft und ein drohender Ausschluss aus der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verhinderten Schlimmeres.

Doch selbst wenn Arévalo gewinnt, dürfte dem Land eine harte Zeit bevorstehen. „Die Erwartungen sind riesig, aber ein Land umzukrempeln braucht viel Zeit“, warnt Carrera. „Und Arévalo wird den Justizapparat und den Kongress gegen sich haben.“

Auch die Geschichte wiegt schwer. Mehrfach gab es in den letzten hundert Jahren demokratische Aufbrüche, sie alle wurden abgewürgt. Keiner weiß das besser als Arévalo.

Sein Vater Juan José gewann die ersten demokratischen Wahlen und war Präsident von 1945 bis 1951. Er setzte zahlreiche Sozialreformen durch. Doch sein linker Nachfolger Jacobo Arbenz, wurde 1954 mit Hilfe der USA von Militärs gestürzt, die ihn des Kommunismus verdächtigten.

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