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Die Vorbereitungen für die Wahl am 25. Juli sind fast abgeschlossen.

© AFP/JOHAN ORDONEZ

Wahlen in Guatemala: „Noch nie gab es so viel Willkür“

22 Kandidaten konkurrieren in Guatemala um die Präsidentschaft. Doch jene, die etwas an den schwierigen Verhältnissen ändern wollen, wurden vorher aussortiert. Wohin steuert das Land?

Vorfreude ist nicht zu spüren. An diesem Sonntag wird im zentralamerikanischen Guatemala gewählt – und noch immer gibt es laut Umfragen mehr Unentschlossene als solche Wähler:innen, die sich bereits festgelegt haben, wem sie ihre Stimme geben.

22 Kandidat:innen treten an. Aufbruchstimmung vorm Wahltag gibt es jedoch keine. Vielmehr herrschen Resignation und Frustration unter den 9,3 Millionen Wahlberechtigten in dem zentralamerikanischen Land, in dem 55 Prozent der überwiegend indigenen Einwohner in Armut leben.

„Noch nie war ein Urnengang so zweifelhaft wie dieser, noch nie gab es so viel Willkür“, sagt Manfredo Marroquin, Experte für den Kampf gegen Korruption.

55
Prozent der Bevölkerung Guatemalas leben in Armut

Das Thema, das zum Ende des Wahlkampfs am meisten Aufmerksamkeit erregt, ist eine Kampagne in den sozialen Medien, in der dazu aufgerufen wird, die eigene Stimme ungültig zu machen. Sollten dies mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten tun, müsste die Abstimmung wiederholt werden.

Drei Präsidentschaftskandidat:innen, darunter der Umfragefavorit und Anti-Establishment-Kandidat Carlos Pineda, sowie der Führende für den Bürgermeisterposten von Guatemala-Stadt wurden unter Vorwänden disqualifiziert.

Der Vorwurf gegen Pineda: ein angeblicher Verstoß gegen Wahlgesetze. Auch die indigene Menschenrechtsverteidigerin Thelma Cabrera und ihr Mitkandidat Jordán Rodas von der Bewegung für die Befreiung des Volkes (MLP) wurden von der Wahl ausgeschlossen.

Noch nie war ein Urnengang so zweifelhaft wie dieser, noch nie gab es so viel Willkür.

Antikorruptionsexperte Manfredo Marroquin

Noch im Rennen um die Präsidentschaft sind vor allem Kandidat:innen des Establishments: Zury Rios, die Tochter des Ex-Diktators und Völkermörders Efraín Rios Montt; die sozialdemokratische ehemalige First Lady Sandra Torres und der ehemalige UN-Diplomat Edmond Mulet.

Präsidentschaftskandidatin Zury Rios bei einem Wahlkampfauftritt.

© Reuters/Guatemala Valor-Unionista Party

Keiner von ihnen stellt den Status Quo infrage. Alle spielen eher zweifelhafte Rollen. Mulet steht wegen seiner Rolle bei illegalen Adoptionen unter Verdacht; Sandra Torres Wahlkampffinanzierung ist dubios; Ríos dürfte laut Verfassung eigentlich gar nicht kandidieren.

Sandra Torres, Präsidentschaftskandidatin der Partei Nationale Einheit der Hoffnung (UNE), winkt ihren Anhängern bei einer Wahlkampfveranstaltung.

© dpa/Moises Castillo

Die verbietet es Personen, die durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen sind, sowie deren Angehörigen für das Präsidentenamt zu kandidieren. Deshalb wurde Ríos als Tochter eines Ex-Diktators 2019 noch von der Kandidatur ausgeschlossen. Das Oberste Wahltribunal (TSE) änderte in diesem Jahr aber seine Haltung.

Schwindende Rechtsstaatlichkeit und gleichgeschaltete Justiz

Ex-UN-Diplomat und Präsudentschaftskandidat Edmond Mulet spricht vor Publikum.

© afp/Luis Acosta

Guatemalas Justiz hatte zwischen 2007 und 2019 mithilfe der Vereinten Nationen (UN) große Fortschritte im Kampf gegen Straffreiheit und die mafiösen Netzwerke im Staat gemacht. Doch die Zusammenarbeit endete bald wieder. Die Nachfahren weißer Einwanderern sahen wegen der Verfolgung der Korruption ihre wirtschaftliche Macht bedroht.

Seither wird die Rechtsstaatlichkeit zunehmend eingeschränkt, die Justiz gleichgeschaltet. Gegen ehemalige Antikorruptionsrichter und Staatsanwälte sowie ihre Unterstützer laufen reihenweise Prozesse; viele mussten ins Exil fliehen. Journalist:innen werden bedroht und verfolgt; erst vor kurzem musste die demokratische Traditionszeitung El Periódico schliessen.

Guatemalas Wirtschaft ist im vergangenen Jahr um vier Prozent gewachsen – eigentlich eine solide Basis für die amtierende konservative Regierung. Doch der Wohlstand konzentriert sich auf eine kleine Elite. 83 Prozent der Guatemaltek:innen sind der Meinung, dass sich die allgemeine Lage des Landes in den letzten drei Jahren verschlechtert habe.

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Die Menschen auf dem Land sorgen vor allem die hohen Lebenshaltungskosten. Die Stadtbewohner:innen, die etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, leiden unter der Kriminalität. In den Städten nimmt die Zahl der Morde zu, die Drogenmafia hat zahlreiche Parteien und Institutionen unterwandert.

Das alles könnten gute Voraussetzungen für das Aufkommen von Wechselstimmung sein. Die zu erzeugen, das versuchen zumindest ein paar der Bewerber:innen – mit entsprechenden Programmen und der Unterstützung progressiver Parteien, so wie Bernardo Arévalo von der Bewegung Semilla.

Er ist Sohn des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Juan José Arévalo (1945 bis 1951), der vielen wegen seiner zahlreichen Sozialreformen in Erinnerung ist. Doch auch ihm gelingt es kaum, die Menschen im Land zu begeistern.

Dass kurz vor der Wahl in Guatemala keine echte Wechselstimmung aufkommen will, dürfte manchem internationalen Partner indes ganz recht sein.

So sind die Regierenden in dem zentralamerikanischen Land stets bemüht, den außenpolitischen Forderungen der USA Folge zu leisten, darunter die Eindämmung der Migration und die offizielle Anerkennung von Taiwan. Washington sieht in Guatemala einen Verbündeten, der bei der Eindämmung der chinesischen Expansion in Lateinamerika behilflich sein soll.

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