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Noch ist er EU-Ratspräsident, doch sein Amt muss wohl früher als vorgesehen nachbesetzt werden: Charles Michel.

© dpa/Philipp von Ditfurth / Bearbeitung Tagesspiegel

Postenrochade bei der EU : Wer folgt auf Ratspräsident Charles Michel?

Der belgische EU-Ratspräsident Michel hat angekündigt, in den Europawahlkampf zu ziehen. Nun muss sein Amt vorzeitig nachbesetzt werden. Wer könnte übernehmen? Drei Experten geben eine Einschätzung.

Europa wählt in diesem Juni. Dadurch ändert sich nicht nur die Zusammensetzung des Europaparlaments, sondern auch die Besetzung der Spitzenämter der EU-Institutionen, wie dem Europäischen Rat. Dessen Präsident Charles Michel will ins Europaparlament wechseln, sodass sein Posten schon einiger Monate früher vakant ist. Wer könnte sein Nachfolger sein?

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Es kursieren viele Namen aus kleineren EU-Ländern

Es gibt ein paar ungeschriebene Regeln, was einen Spitzenpolitiker für den Posten des EU-Ratspräsidenten qualifiziert: Sie oder er muss mal Regierungschef gewesen sein und bestenfalls eine Mehr-Parteien-Koalition aus dem gesamten politischen Spektrum geführt haben – weil einen das als Konsensbringer zwischen 27 Mitgliedsländern befähigt.

Und es geht um Proporz: zwischen den Parteien, Regionen, den großen und den kleinen EU-Ländern und den Geschlechtern. All das muss bei der Besetzung der sogenannten „EU-Topjobs“ ausbaldowert werden.

Nehmen wir an, dass die EU-Kommission weiter unter der Führung von Ursula von der Leyen bleibt – und damit einer Deutschen und einer Politikerin der konservativen Parteienfamilie EVP, ist immerhin klar: Der nächste Ratspräsident kann ein Mann sein, aus einem kleinen Land kommen und Liberaler oder Sozialdemokrat sein.

In Brüssel kursieren daher viele passende Namen: Mark Rutte (Liberaler, Niederlande), Xavier Bettel (Liberaler, Luxemburg), Mette Frederiksen (Sozialdemokratin, Dänemark), Antonio Costa (Portugal, Sozialdemokrat).


Es besteht die Gefahr, dass Orbán es werden könnte

Es ist ein positives Zeichen für die Demokratie in der EU, dass sich Spitzenpolitiker wie Charles Michel zur Wahl stellen. Das sollte auch Ursula von der Leyen machen, falls sie Kommissionspräsidentin bleiben will.

Das eigentliche Problem – wie aktuell in der EU so oft – heißt Viktor Orbán. Denn Ungarn übernimmt in der zweiten Jahreshälfte 2024 die EU-Ratspräsidentschaft. Sollte Michel nun früher ausscheiden, wenn er ins Parlament gewählt wird, würde Orbán interimsmäßig den Europäischen Rat leiten. Dies könnte bei der Neubesetzung des EU-Spitzenpersonals und der Festlegung der EU-Prioritäten für die nächsten fünf Jahre zu Blockaden führen.

Jedoch bietet diese Situation auch Chancen für die EU: Auf der einen Seite ist der Anreiz nun groß, rasch nach der Wahl noch im Juni die zentralen Personalentscheidungen zu treffen, und in der kritischen Phase der EU Handlungsfähigkeit zu beweisen. Andererseits könnte dies die EU-Spitzenpolitiker motivieren, gemeinsam gegen Orbáns mögliche Blockadepolitik vorzugehen.


Mario Draghi wäre der ideale Nachfolger

Mit seiner Rücktrittsankündigung stellt Charles Michel seine persönlichen Ambitionen über die Verpflichtungen seines derzeitigen Amtes als Präsident des Europäischen Rates – und damit die Integrität des Amtes selbst infrage.

Für seine Nachfolge sind zwei Faktoren entscheidend: Erstens braucht es eine starke politische Führungspersönlichkeit, die das Amt aus der Krise führen und die Geschicke des Europäischen Rates in Zukunft besser lenken kann, als es Michel in den vergangenen vier Jahren gelungen ist.

Zudem steht die Suche nach einem Nachfolger unter extremem Zeitdruck, um die Leitung der EU-Gipfel nicht übergangsweise in die Hände des ungarischen Premiers Viktor Orbán fallen zu lassen. Es braucht also einen konsensfähigen Kandidaten, der über Parteigrenzen und Mitgliedsstaaten hinweg Anerkennung genießt. Mario Draghi vereint all diese Faktoren und besticht durch seine europapolitische Kompetenz.

Als ehemaliger italienischer Ministerpräsident verfügt er über enge Kontakte zu den Staats- und Regierungschefs und kennt die Funktionslogik des Europäischen Rates. Als ehemaliger Präsident der Europäischen Zentralbank hat er bereits viel Erfahrung darin, eine EU-Institution durch Krisenzeiten zu führen.

Er wäre derzeit wohl der naheliegendste und konsensfähigste Nachfolger für Michel.

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