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Der polnische Außenminister Zbigniew Rau.

© Christoph Soeder/dpa

Update

Mutmaßlich tausende Visa in Afrika verkauft: EU-Kommission schickt Polens Außenminister Fragen zum Korruptionsskandal

Ein Korruptionsskandal erschüttert Polen kurz vor der Wahl. Konsulate sollen gegen Schmiergeld Tausende Visa verscherbelt haben. Nun fordert die EU Aufklärung und schickt einen Fragenkatalog nach Warschau.

| Update:

Im Skandal um illegal vergebene Einreise-Visa durch polnische Konsulate hat EU-Innenkommissarin Ylva Johansson in einem Brief an den polnischen Außenminister Zbigniew Rau eine vollständige Aufklärung gefordert. Wie die „Bild“-Zeitung (Mittwoch) berichtete, setzte die EU-Innenkommissarin als Frist für die Beantwortung der Fragen den 3. Oktober. Zwölf Tage später wählen die Polen ein neues Parlament.

In dem Brief, der der „Bild“-Zeitung vorlag, weist die Kommissarin den Politiker der Regierungspartei PiS darauf hin, dass das Verhalten der polnischen Behörden „einen Verstoß gegen EU-Recht und besonders gegen den EU-Visa-Code“ darstellen könnte. Sie forderte ihn auf, „alle nötigen Schritte zur Aufklärung einzuleiten“.

Die Fragen in dem Brief betreffen demnach zum Beispiel Informationen zur Ausweisung und zum Untertauchen der Visa-Inhaber, aber auch Maßnahmen zum Schutz des gemeinsamen Schengen-Systems vor Betrug.

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Polens Außenminister sieht derweil keinen Anlass für einen Rücktritt: „Ich fühle mich nicht mitschuldig, ich denke nicht daran, zurückzutreten, und es gibt keine Visa-Affäre“, sagte Rau laut Nachrichtenagentur PAP am Montag in New York. Die Opposition spricht von Hunderttausenden fraglichen Visa, die Regierung von rund 200.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat nach Informationen aus Regierungskreisen am Dienstag mit ihrem polnischen Amtskollegen Mariusz Kamiński wegen der polnischen Visa-Affäre telefoniert. Zudem sei der polnische Botschafter Dariusz Pawłoś zu einem Gespräch mit Innen-Staatssekretär Bernd Krösser ins Bundesinnenministerium gebeten worden, hieß es weiter.

Die Bundesregierung habe von der polnischen Regierung eine „schnelle und vollständige Aufklärung der ernstzunehmenden Vorwürfe zu möglichem Visa-Betrug“ erwartet. So seien Informationen zum Zeitpunkt und Zahl der vergebenen Visa sowie zu den Staatsangehörigkeiten der Visaempfänger erbeten worden. Ebenso sei nach Gegenmaßnahmen der polnischen Regierung gefragt worden.

Hintergrund ist die Sorge, dass die mögliche massenhafte unberechtigte Ausgabe von Schengen-Visa in Polen dazu führt, dass viele Menschen nach Deutschland weiterreisen. 

„Es geht darum, die Anschuldigungen zu klären, die einige polnische und deutsche Medien im Zusammenhang mit der Migrationskrise in völlig ungerechtfertigter Weise gegen Polen erheben“, sagte der stellvertretende Außenminister Arkadiusz Mularczyk der staatlichen Nachrichtenagentur PAP.

„Der Botschafter hat erklärt, dass dies ungerechtfertigte Anschuldigungen sind. Ich denke, er hat unsere deutschen Partner beruhigt, und ich denke, dieses Treffen hatte diesen Zweck.“ Mularczyk fügte jedoch mit Bezug auf die Gespräche hinzu: „Meiner Meinung nach ging es mehr um eine politische Demonstration als um einen Versuch, die Dinge wirklich zu erklären“.

Am Donnerstag hatte die polnische Generalstaatsanwaltschaft bekannt gegeben, dass sie gegen sieben Personen wegen des Verdachts ermittelt, sie hätten gegen Bezahlung die Vergabe von Arbeitsvisa beschleunigt.

Drei Personen wurden festgenommen. Die Staatsanwaltschaft sprach von Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe „mehrerer Hundert Arbeitsvisa“. Außenminister Rau sagte nun, es gehe bei den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft um 200 Visa.

Abschiedsbrief in Wawrzyks Wohnung gefunden

Am Freitag war Polens kürzlich entlassener Vizeaußenminister Piotr Wawrzyk mit lebensgefährlichen Verletzungen in ein Warschauer Krankenhaus eingeliefert worden. Sie lassen auf einen Selbstmordversuch schließen.

In seiner Wohnung wurde ein Abschiedsbrief gefunden. Darin schreibt er laut polnischen Medien, er selbst habe nichts Illegales getan. Andere hätten sein Vertrauen missbraucht. Er könne nicht mit dem Ruf weiterleben, dass er in Bestechung verwickelt sei. Die PiS-Regierung hatte ihn Anfang September von seinen Aufgaben entbunden.

Vorausgegangen waren Berichte über die weitverzweigte Korruptionsaffäre in Polens Konsulaten vor allem in Afrika, aber auch in Asien. Sie gehörten zu Wawrzyks Verantwortungsbereich. Der Skandal belastet das Verhältnis zu Deutschland, bringt aber auch die Regierungspartei PiS vier Wochen vor der Wahl in schwere Bedrängnis.

5000 Euro für ein Arbeitsvisum

Die PiS wirbt damit, dass sie besonders hart gegen illegale Migration vorgehe und Muslime vom christlichen Europa fernhalte. Falls sich herausstellen sollte, dass Staatsbeamte sich an massenhafter Schleusung von Migranten aus islamischen Ländern beteiligt haben, könnte das entscheidende Prozentpunkte bei der Wahl kosten.

Die in die Affäre verwickelten polnischen Diplomaten sollen Zehntausenden, womöglich sogar Hunderttausenden Migranten unter anderem aus Afrika, Afghanistan und Syrien Arbeitsvisa für Polen erteilt haben. Pro Fall seien bis zu 5000 Euro geflossen. In manchen Berichten ist von noch höheren Summen die Rede.

Diese Arbeitsvisa berechtigen die Betroffenen nur zur Einreise nach Polen. Da es im Schengen-Raum in der Regel keine Kontrollen an Binnengrenzen gibt, können sie relativ problemlos nach Deutschland weiterreisen. Bei Kontrollen der Bundespolizei in der Grenzregion war seit Längerem aufgefallen, dass die Zahl illegaler Migranten über die deutsch-polnische Grenze überraschend hoch ist. Allein bei Stichproben im ersten Halbjahr sollen mehr als zehntausend aufgegriffen worden sein.

Die PiS sieht „nicht mal ein Affärchen“

Regierungschef Mateusz Morawiecki und PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski schwanken in ihrer Reaktion auf die Berichte, dass in polnischen Konsulaten Visa gegen Geld verkauft wurden, zwischen Bestreiten und Heruntermoderieren. Bei Wahlkampfauftritten über das Wochenende behaupteten sie mal, es „gibt keine Affäre, nicht mal ein Affärchen“.

Mal warfen sie der Opposition und ihrem Spitzenkandidaten Donald Tusk vor, die Affäre aufzublasen. Es handele sich allenfalls um ein paar Hundert Fälle, nicht um Tausende oder gar Hunderttausende. Die Opposition reagiert mit Empörung. Tusk entgegnet, Kaczynski dämonisiere einerseits Migranten, andererseits hole er sie in „unkontrollierten Strömen“ ins Land.

Die größte Oppositionszeitung „Gazeta Wyborcza“ berichtet, das Arbeitsministerium habe seit einiger Zeit ein Sonderprogramm zur Anwerbung von Arbeitskräften. 2022 seien auf dieser Grundlage 200.000 Menschen nach Polen eingereist, davon 130.000 aus islamischen Ländern.

Die Oppositionsabgeordneten Jan Grabiec und Marcin Kierwiński hatten schließlich Verdacht geschöpft und Unterlagen des Außenministeriums systematisch geprüft. Sie sagen, es bestehe der Verdacht, dass Polen im Verlauf der jüngsten Jahre 350.000 Arbeitsvisa an Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten ausgestellt habe.

Die Affäre hat das Potenzial, der PiS ihr bevorzugtes Werbethema im Wahlkampf zu nehmen oder gar in eine schwere Belastung zu verwandeln. Sie wirft der liberalen Opposition vor, sie wolle Polen zur Aufnahme muslimischer Migranten zwingen, indem sie der Zwangsverteilung innerhalb der EU zustimme.

Bisher führte die PiS in den Umfragen zur Wahl am 15. Oktober mit 35 bis 37 Prozent. Die größte Oppositionspartei Koalicja Obywatelska (KO, zu deutsch: Bürgerunion) folgt mit 28 bis 30 Prozent. (mit Reuters) (Sollten Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie mit jemandem. Zum Beispiel mit der Telefon-Seelsorge unter 0800 1110 111 oder online unter www.telefonseelsorge.de.)

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