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Die Howe-Sound-Bucht ist bei Naturfans beliebt, hier eine Paddlerin in der Wintersonne.

© IMAGO/Panthermedia

Lebensraum Meer: Wie die Weltgemeinschaft Ozeane und Küsten schützen will

Weltweit sollen mindestens 30 Prozent der Meere und Küsten Schutzzonen werden. Wie das umgesetzt werden soll, wurde jetzt in Vancouver verhandelt.

Ruhig gleitet das Schiff in den Howe Sound, eine Bucht an der Pazifikküste bei Vancouver. Auf der Festlandseite erheben sich die Berge des Cypress Provincial Park, auf der anderen liegt Bowen Island, eine der größeren Inseln des Archipels. Die dunklen Wälder reichen bis an das Wasser, auf der Festlandsseite werden sie durchbrochen vom Sea-to-Sky Highway, der von Vancouver zum Wintersportort Whistler führt.

Grizzlys, Orkas, einzigartige Riffe

Die Wälder sind Heimat von Grizzlys und Schwarzbären und Rothirschen. In der Bucht werden jetzt hin und wieder Orkas und Seelöwen gesichtet und auch der Hering ist wieder zurückgekehrt. Die Gewässer des Howe Sound bergen zudem eine biologische Einzigartigkeit. Hier und an anderen Stellen entlang der kanadischen Pazifikküste wurden vor einigen Jahren Glasschwamm-Riffe entdeckt, von denen Wissenschaftler glaubten, sie seien seit vielen Millionen Jahren ausgestorben. Eine besondere Vielfalt an Fischen zeichnet diese Riffe aus.

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Dieses landschaftliche Juwel mit seiner reichen Biodiversität war im September 2021 von der Unesco zum Biosphärenreservat Átl’katsem/Howe Sound erklärt worden. Átl’katsem nennt die hier lebende Squamish First Nation den 42 Kilometer langen Sund, „nach Norden Paddeln“. Vancouver und der Howe Sound sind das Territorium der Squamish-, der Musqueam und der Tsleil-Waututh-Nationen. Joyce Williams von der Squamish Nation ist Ko-Vorsitzende des Gremiums, das das Biospärenreservat managt.

Joyce Williams und ihr Neffe Jonathan von der Squamish Nation leben an der Westküste Kanadas.
Joyce Williams und ihr Neffe Jonathan von der Squamish Nation leben an der Westküste Kanadas.

© Gerd Braune/Tagesspiegel / Gerd Braune/Tagesspiegel

Sie ist an Bord des Schiffs, das Teilnehmer der internationalen Meeresschutzkonferenz IMPAC5 in den Howe Sound bringt. „Diese Wasserwege waren unsere Highways“, sagt sie. „Wir paddelten auf und ab, wir folgten unseren Ressourcen, den Fischen. Hier leben wir seit Menschengedenken.“ Ihr Neffe Jonathan ergänzt: „Das ist der Ort, an dem wir leben und den wir lieben, von dem unsere Werte kommen. Ozean, Fluss, Wälder, Tiere und Pflanzen, alles gehört zusammen.“

30
Prozent der Meeres- und Küstenfläche will die Staatengemeinschaft bis 2030 unter Schutz stellen

Mehr als 2000 Quadratkilometer groß ist das Biosphärenreservat. Nur 16 Prozent sind Wasserfläche, wovon einige kleine Bereiche als Schutzgebiete ausgewiesen sind. Die Auszeichnung als Biospärenreservat wurde Átl’katsem nicht nur wegen der landschaftlichen Schönheit zuteil. Anerkannt wurde damit auch, dass es nach der Schließung einer Kupfermine und einer Schmelzhütte, die die Gewässer mit Schwermetallen verseucht hatten, nach 1974 gelungen war, diese industrielle Verschmutzung abzubauen und eine nachhaltige Entwicklung und Nutzung von Land und Wasser zu fördern, von der auch die indigenen Völker profitieren.

Mitte Dezember hatte die UN-Weltnaturkonferenz von Montréal beschlossen, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Meeres- und Küstenfläche unter Schutz zu stellen. 190 Staaten nahmen daran teil, fast alle Länder der Welt. Dies gab dem „International Marine Protected Areas Congress/IMPAC“ in Vancouver, zu dem vergangene Woche rund 4000 Teilnehmer aus mehr als 120 Ländern kamen, eine wegweisende Bedeutung.

Eine monumentale Aufgabe

„Das ist eine ganz spannende Konferenz“, sagte Martin Sommerkorn vom WWF Arktis-Programm am Rande der Konferenz in Vancouver. Die Aufgabe, 30 Prozent der Land- und Wasserfläche zu schützen, ist monumental. Gegenwärtig stehen weniger als zehn Prozent der Weltmeere unter Schutz. Rund 360 Millionen Quadratkilometer groß ist die Ozeanfläche.

30 Prozent bedeutet, dass rund 110 Millionen Quadratkilometer geschützt werden müssen, rechnete Aulani Wilhelm in Vancouver vor. Sie ist Vizepräsidentin bei Conservation International und derzeit im Weißen Haus in Washington an der Formulierung der US-Naturschutzpolitik beteiligt.

Der Aussichtspunkt Dorman Point auf Bowen Island mit Blick über die Bucht Howen Sound.
Der Aussichtspunkt Dorman Point auf Bowen Island mit Blick über die Bucht Howen Sound.

©  Gerd Braune

Derzeit aber sind es weniger als 30 Millionen. „Wir müssen eine Lücke von 79 Millionen Quadratkilometern schließen“, sagt die Frau aus Hawaii, die maßgeblich an der Schaffung des Papahānaumokuākea Marine National Monument in Hawaii beteiligt war. Mit 1,5 Millionen Quadratkilometern ist Papahānaumokuākea eines der größten Meeresschutzgebiete.

Die Ozeane sind das System, das unser Leben erhält.

Sylvia Earle, ehemalige Chefwissenschaftlerin der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration

„Die Ozeane sind das System, das unser Leben erhält“, sagt Sylvia Earle. Die 87-Jährige war die erste Chefwissenschaftlerin der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA). 30 Prozent sind gut, aber sie will mehr.  „Wieviel unseres Herzen wollen wir schützen? 30 Prozent?“ fragt sie. Der Ozean reguliert das Klima, absorbiert Kohlendioxid und Wärme und produziert Sauerstoff. Er ist Lebensraum für Tier- und Pflanzenarten und liefert Lebensmittel für die Menschen.

In Australien fing es an

Rund um den Erdball werden nun Meeresgebiete als „marine protected areas“ (MPA) unter Schutz gestellt. In vielen Meeresregionen – im Atlantik, dem Pazik, im Indischen Ozean, rund um Australien und in Mikronesien und in der Arktis – gibt es Pläne für die Ausweisung von Schutzzonen.

Das erste wirklich große Meeresschutzgebiet: Ein Juwelen-Zackenbarsch schwimmt an einem Korallenriff der Great Barrier Riffs vor der Küste Australiens vorbei.
Das erste wirklich große Meeresschutzgebiet: Ein Juwelen-Zackenbarsch schwimmt an einem Korallenriff der Great Barrier Riffs vor der Küste Australiens vorbei.

© dpa / DB

Es geht aber nicht nur um Quantität, also Prozente und Quadratkilometer. Es geht um Qualität, sagt Martin Sommerkorn: Es müssen Gebiete sein, die besonders wichtig und repräsentativ für Meereshabitats sind. Nur so kann Biodiversität gesichert werden. Und es müssen große Flächen und Netzwerke sein, nicht kleine, isolierte Meeresgebiete. Der 1975 geschaffene „Great Barrier Reef Marine Park“ in Australien war mit 344.000 Quadratkilometer Fläche das erste wirklich große Meeresschutzgebiet.

Die Erneuerungskraft der Meere ist erheblich.

Boris Worm, Professor für Meeresbiologie an der Dalhousie-Universität in Halifax

„Vor 20 oder 30 Jahren wussten wir noch nicht sehr viel, was in den Schutzzonen passiert. Heute wissen wir: die Erneuerungskraft der Meere ist erheblich“, sagt Boris Worm, Professor für Meeresbiologie an der Dalhousie-Universität in Halifax, am Telefon. Seegrasflächen und Algenwälder wachsen wieder. Fischbestände erholen sich, auch in angrenzenden Meeresgebieten. Schutzzonen stabilisieren die Biodiversität des Ozeans und haben ökonomische Vorteile für die lokale Bevölkerung. Sie unterstützen nachhaltigen Fischfang und Tourismus.

Palau als Vorbild

Als Vorbild wurde in Vancouver Palau gefeiert. Bereits 2009 hatte der pazifische Inselstaat das weltweit erste Hai-Schutzgebiet ausgewiesen und 2015 die 200-Seemeilen-Zone um die Inselgruppe zum „Palau National Marine Sanctuary“. Damit wurden rund 600.000 Quadratkilometer Meeresfläche unter Schutz gestellt. Weder kommerzieller, industrieller Fischfang noch Bergbau sind dort erlaubt. 80 Prozent dieses Gebiets sind vollkommen geschützt.

Auf ihrer Asien-Reise im Sommer 2022 besuchte Außenministerin Annalena Baerbock auch Palau.
Auf ihrer Asien-Reise im Sommer 2022 besuchte Außenministerin Annalena Baerbock auch Palau.

© imago/photothek / imago stock

Das bedeutet, dass es selbst für Fischfang durch die lokale Bevölkerung geschlossen ist. Die restlichen 20 Prozent werden nachhaltig bewirtschaft. „Die 20 Prozent sind offen für unsere lokalen Fischer, die Fisch für unsere Bevölkerung und die Touristen bereitstellen“, sagt der frühere Präsident Tommy Remengesau Jr. dem Tagesspiegel. Er spricht von der „Weisheit des Spillover“.

„Spillover“, was mit „Überschwappen“ oder „Ausstrahlung“ übersetzt werden kann, beschreibt die Wirkung einer Maßnahme auf umliegende Gegenden. 80 Prozent der Meeresfläche seien vor jedweder Nutzung geschützt, und dies wirke sich auf die restlichen 20 Prozent aus, erzählt Remengesau: In den begrenzten Fischfangzonen gebe es nun mehr Fische, die lokalen Fischer könnten mehr fangen, um die Bevölkerung und die Gäste des Inselstaats zu ernähren.

Ein weiterer Blick von Bowen Island über den Howe Sound an Kanadas Westküste.
Ein weiterer Blick von Bowen Island über den Howe Sound an Kanadas Westküste.

©  Gerd Braune

Rund 60 Prozent der Meere sind „Hohe See“. Sie liegen außerhalb der 200-Seemeilenzonen der Küstenstaaten und sind internationale Gewässer. Nun richtet sich der Blick auf Verhandlungen am Sitz der UN in New York Ende dieses Monats. Dort soll ein Abkommen über die Hohe See vereinbart werden, das die Einrichtung von Schutzzonen in internationalen Gewässern erleichtern soll.

Indigene entscheiden mit

Die Bedeutung indigener Völker beim Schutz der Natur wird nun anerkannt. Die Territorien der Ureinwohnervölker gehören zu den artenreichsten Regionen der Welt. „Wir können unser 30-Prozent-Ziel ohne die indigenen Völker nicht erreichen“, sagt Joyce Murray, Kanadas Bundesministerin für Fischerei und Ozeane. Kanada sucht die enge Kooperation mit indigenen Organisationen und „Ko-Management“ bei der Verwaltung der Schutzgebiete.

First Nations, Inuit und Métis bestehen darauf, wenn ihre Gemeinden und ihr traditionelles Land berührt sind – und das ist in Kanada fast überall der Fall. Als vor mehr als 100 Jahren die ersten Nationalparks in Kanada entstanden, wurden deren Grenzen an Schreibtischen ohne Berücksichtigung der Ureinwohnervölker festgelegt. Im Extremfall wurden sie vertrieben oder durften die neuen Schutzgebiete, die ihre Jagdgebiete waren, nicht mehr betreten. Das war „kolonialistischer Naturschutz“, der die Rechte der indigenen Völker an ihrem Lebensraum missachtete.

Heute wird „indigen geführter Naturschutz“ propagiert. Internationale Abkommen wie die UN-Deklaration über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP) sollen sicherstellen, das Naturschutz nicht dazu führt, dass die Ureinwohner ihre traditionellen Praktiken wie Jagd und Sammeln von Früchten nicht mehr ausüben dürfen. Auch das in Montreal vor zwei Monaten beschlossene Weltnaturabkommen, das Global Biodiversity Framework, nimmt immer wieder Bezug auf Rechte und Kenntnisse indigener Völker.

Jetzt soll an der Westküste Kanadas ein Meeresschutzgebiet im Bereich der 100.000 Quadratkilometer großen „Great Bear Sea“ eingerichtet werden, geführt von einer Koalition von 15 First Nations der Westküste und den Regierungen Kanadas und British Columbias.

„Wir leben immer noch vom Ozean, von Fischen und Muscheln“, sagt Dallas Smith, Präsident des Nanwakolas Council, der sechs der First Nations vertritt. Seit vielen Jahren setzt er sich mit den beteiligten First Nations für Meeresschutz ein. „Die Regierung wollte auch Meeresschutzgebiete, aber nach ihren Vorstellungen. Jetzt haben wir eine Vereinbarung über eine gemeinsame Planung und ein gemeinsames Management getroffen“, sagt er.

Für Joyce Williams von den Squamish bedeutet dieser Politikwandel, dass ihr Volk nun mitbestimmt und mitgestaltet: „Wir nehmen den Raum, in dem unsere Vorfahren lebten, wieder in Besitz.“                                                  

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