zum Hauptinhalt
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Brasiliens Präsident Lula da Silva.

© Ton Molina/imago images | Bearbeitung: Tagesspiegel

Freihandel mit Lateinamerika: Soll das Mercosur-Abkommen jetzt unterzeichnet werden?

Es wäre die größte Freihandelszone der Welt: Das Mercosur-Abkommen zwischen EU, Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay ist eigentlich ausverhandelt. Doch jetzt gibt es neuen Streit.

Während der Präsidentschaft des Rechtspopulisten Bolsonaro lagen die eigentlich abgeschlossenen Verhandlungen zwischen EU, Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay auf Eis. Jetzt würde die EU gerne das Mercosur-Abkommen ratifizieren, das immerhin die größte Freihandelszone der Welt schaffen soll. Allerdings drängen einige EU-Staaten auf Druck der eigenen Landwirte auf schärfere Umweltauflagen. Eine Zusatzerklärung auch im Blick auf die Wahrung der Menschenrechte hat Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva jetzt als „inakzeptabel“ bezeichnet.

Drei Expert:innen beurteilen den aktuellen Stand in Sachen EU-Mercosur-Abkommen und äußern sich dazu, ob der Vertrag jetzt unterzeichnet werden sollte. Alle Folgen von "3 auf 1" finden Sie hier.


Das Abkommen muss zukunftsfest gemacht werden

Das EU-Mercosur Handelsabkommen wird seit 20 Jahren verhandelt und lag während der Regierungszeit von Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro auf Eis. Das war ein Erfolg des EU-Parlaments, das sich geweigert hatte, das Abkommen zu verabschieden, während die Entwaldungszahlen in Brasilien in die Höhe schossen. Nun regiert Präsident Lula, und die Entwaldung im Amazonas geht zurück. Deswegen, und auch aufgrund der geopolitischen Lage, sehen nun viele den richtigen Moment für die Ratifizierung gekommen. Auch die Ampel-Regierung ist dafür, solange das Abkommen zukunftsfest gemacht wird. Das heißt konkret, dass wir einen robusteren Waldschutz einbauen müssen – politische Mehrheiten in Brasilien können sich ändern, und auch jetzt ist der Druck des Agrobusiness, immer mehr Flächen für die Landwirtschaft zu roden, enorm. Im Gegenzug sollte die EU den Mercosur-Staaten bei ihren Forderungen entgegenkommen, mehr Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort entstehen zu lassen und das Abkommen dementsprechend anzupassen.


Es fehlen verbindliche Verpflichtungen zum Umweltschutz

Das EU-Mercosur-Abkommen würde in seiner jetzigen Form den Schutz des Klimas und von Wäldern unterlaufen und unter anderem den Handel mit Rindfleisch weiter antreiben. Dadurch gewinnen multinationale Fleischproduzenten, die kleinbäuerliche Landwirtschaft würde weiter verdrängt. Die Bundesregierung hatte sich darauf festgelegt, das EU-Mercosur-Abkommen nur dann zu ratifizieren, wenn rechtliche verbindliche Verpflichtungen zum Umwelt- und Menschenrechtsschutz enthalten sind. Eine gemeinsame Auslegungserklärung, wie sie von der EU-Kommission vorgeschlagen wurde, bringt keinen zusätzlichen Wert. Sie ist lediglich eine unverbindliche Interpretation des unverbindlichen Nachhaltigkeitskapitels. Das Abkommen ist schädlich für Klima, Umwelt und Menschenrechte und nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Statt es weiter voranzubringen, sollte die EU sich nun dringend überlegen, wie eine Handelspolitik aussehen könnte, die den Klimaschutz ernst nimmt und andere Länder nicht länger als nur Rohstoffexporteure sieht.


Wer mehr Unabhängigkeit will, braucht Mercosur

Europa hat seine Energieabhängigkeiten im Eiltempo abgebaut. Auch Handelsabhängigkeiten – etwa von China – müssen nun schnell reduziert werden. Da die EU aber nicht über genügend Rohstoffe und Potenzial bei den erneuerbaren Energien, etwa für die Erzeugung des nötigen Wasserstoffs, verfügt, muss sie Resilienz über die Diversifizierung ihrer Handelsbeziehungen erreichen. Dafür braucht es Optionsräume, in die Unternehmen stoßen wollen. Das EU-Mercosur Abkommen sollte daher dringend ratifiziert werden. Gerade auf neu entstehenden Märkten etwa für Wasserstoff und E-Fuels oder für kritische Rohstoffe kann hier eine vertiefte Kooperation bestehende Abhängigkeiten reduzieren – etwa von China bei kritischen Rohstoffen oder der Nahost-Region bei Energie. Bedenken mit Blick auf Schäden für Klima und Umwelt greifen dabei zu kurz. Kooperiert die EU nicht stärker mit dem Mercosur, wird China seinen Einfluss deutlich vergrößern. Das dürfte Umweltprobleme verschärfen und Europa auch hier Gestaltungsraum nehmen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false