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Ein Taliban-Kämpfer steht Wache, während Frauen darauf warten, von einer humanitären Hilfsorganisation verteilte Lebensmittelrationen zu erhalten.

© dpa/Ebrahim Noroozi

Aufnahme von Verfolgten aus Afghanistan: Verantwortung verjährt nicht

Tausende afghanische Ortskräfte sollten durch das Bundesaufnahmeprogramm aufgenommen werden, nur wenige erhielten eine Zusage, niemand kam bisher. Deutschland muss seinen Verpflichtungen weltweit gerecht werden.

Ein Gastbeitrag von Corina Pfitzner

Zwei Jahre nach Ende des Bundeswehreinsatzes und dem Machtwechsel in Afghanistan fällt die Bilanz Deutschlands in Afghanistan ernüchternd aus: nichterfüllte Versprechen an einheimische Hilfskräfte, eine deutsche Botschaft an den Kapazitätsgrenzen, Vorwürfe des Machtmissbrauchs rund um das sowieso holprig angelaufene Bundesaufnahmeprogramm.

Dabei hatte sich die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag eigentlich klare Ziele gesteckt: Die Verhinderung einer humanitären Katastrophe und die Schaffung eines funktionierenden Aufnahmeprogramms. Es bleibt großer Handlungsbedarf in der Afghanistanpolitik der Ampelkoalition.

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Und das, obwohl Deutschland nach dem Machtwechsel in Kabul zunächst Vorreiter in Sachen humanitärer Unterstützung war. So nahm die Bundesrepublik etwa 30.000 gefährdete Afghan*innen, unter ihnen vor allem Ortskräfte, auf. Ergänzend wurde im Oktober 2022 nach fast einjähriger Vorlaufzeit das Bundesaufnahmeprogramm gestartet.

Im Rahmen des Programms sollten bis zu 1.000 besonders gefährdete Afghan*innen pro Monat aufgenommen werden. Seitdem ist wenig passiert. Zwar wurden der zuständigen Stelle rund 40.000 gefährdete Personen gemeldet, bislang wurden jedoch lediglich 229 Personen eine Aufnahme in Aussicht gestellt.

Nach Deutschland einreisen konnte bisher niemand. Außerdem steht das Programm nach nichtbestätigten Missbrauchsvorwürfen auf wackligen Beinen.

Die Ursachen für die Verzögerungen bei der Einreise sind hinlänglich bekannt und schon oft von zivilgesellschaftlichen Organisationen öffentlich kritisiert worden. Der Zugang zum Programm ist zu restriktiv, nur vorab zugelassene Organisationen können Fälle einreichen.

70
Prozent der Afghanen, die einen Schutzstatus in Deutschland erhalten haben, haben nur Abschiebeverbot erhalten.

Auch die Aufnahmekriterien des Programms sind zu eng gefasst. Afghan*innen, die in die Nachbarländer fliehen mussten, sind ausgeschlossen. Zudem läuft auch das kürzlich angekündigte UN Resettlement-Programm für afghanische Geflüchtete aus Pakistan läuft zu langsam an.

Das Verfahren für die Aufnahme in der Bundesrepublik ist intransparent, kennt weder Einspruch noch Rechtsmittel. Und auch eine positive Entscheidung bedeutet keinesfalls, dass die Einreise nach Deutschland gestattet wird. Dazu muss erst ein langwieriger, bürokratischer Prozess durchlaufen werden, inklusive Sicherheitsinterview im benachbarten Pakistan.

Hier wird die deutsche Botschaft in Pakistan zunehmend zum Nadelöhr. Die Botschaft ist zuständig für alle Verfahren im Rahmen des Aufnahmeprogramms. Zusätzlich warten tausende Menschen hier – in der Regel jahrelang – auf einen Termin, um ein Visum zum Familiennachzug zu beantragen.

Familiennachzug nur in Ausnahmefällen

Dabei könnten insbesondere Afghan*innen von der Gleichstellung des Rechts zu Familiennachzug profitieren, wenn dieser über die im Koalitionsvertrag zugesagte Zugangserleichterung für subsidiär Schutzberechtigte auch für Menschen mit Abschiebungsverbot ausgeweitet würde.

Denn von den 2022 knapp 37.000 Afghan*innen, die einen Schutzstatus in Deutschland erhalten haben, wurde der überwiegenden Mehrheit (26.500 Personen, ca. 70 Prozent) jedoch nur ein Abschiebeverbot zugesprochen. Dieses lässt einen Familiennachzug nur in Ausnahmefällen zu. So verwehrt der deutsche Staat vielen Afghan*innen oft jahrelang, oder gar gänzlich, die Wiedervereinigung mit ihren Familien.

Zwei Jahre nach dem Machtwechsel in Afghanistan schließt sich das Fenster der öffentlichen Aufmerksamkeit für Afghanistan. Angesichts der humanitären Notlage im Land und der vielen Schutzsuchenden ist entschlossenes Handeln durch die Bundesregierung deshalb notwendiger denn je. Um die im Koalitionsvertrag getroffenen Versprechen umzusetzen, muss sie nachliefern.

Das Leben von schutzbedürftigen Menschen in den Mittelpunkt

Dazu sollte sie, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, am Vorhaben der Verbesserung des Ortskräfteverfahrens festhalten, etwa durch eine Berücksichtigung von Personen, die ohne direkten Arbeitsvertrag aufgrund ihrer Tätigkeit für deutsche Einrichtungen gefährdet sind.

Dazu sollte sie auch für besseren Datenzugänglichkeit und Transparenz sorgen, denn um Schutzsuchende erfolgreich unterstützen zu können, müssen aktuelle Informationen verfügbar sein. Weiterhin braucht es einen starken politischen Willen, um der Verantwortung gegenüber gefährdeten Afghan*innen nachzukommen.

Dieser ist nötig, um das Bundesaufnahmeprogramm und Resettlementvorhaben wie angekündigt umzusetzen und Familiennachzugs- sowie andere Visumverfahren zu beschleunigen und zu digitalisieren. Bürokratische Hürden müssen abgebaut werden. Ohne diese Nachbesserungen kommt die Bundesregierung nicht ihrer Selbstverpflichtung nach, das Leben von schutzbedürftigen Menschen in den Mittelpunkt ihrer Politik zu setzen.

Sollte sie damit Erfolg haben, kann die Ampel so ein wichtiges Signal der globalen Solidarität für Menschen in Krisenregionen auf der ganzen Welt setzen. Das sollte ihr die Schwierigkeiten auf dem Weg dahin wert sein.

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