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Viele Geflüchtete - und viele von ihren Familien getrennt

© dpa

Der Streitfall Familiennachzug: Die Bundesregierung ist bei Geflüchteten im Wort

Was die Ampel an Erleichterungen versprochen hat - in ihrem Vertrag -, muss sie halten. Darauf pochen Hilfsorganisationen. Mit Recht.

Eine Kolumne von Stephan-Andreas Casdorff

Wo wir gerade so viel von der Familie reden, beziehungsweise von der grünen Familienministerin lesen: Eben war der internationale Tag der Familie. Und mehrere Menschenrechts- und Kinderschutzorganisationen, voran terre des hommes und Pro Asyl, haben die Gelegenheit genutzt, zumindest Teilen der Bundesregierung ein schlechtes Gewissen zu machen.

Hintergrund ist, dass die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag versprochen hat, den sogenannten Familiennachzug zu erleichtern. Darum die Aktion #Vergissmeinnicht, mit der am Tag der Familie  sogar bundesweit entsprechende Blumen an Abgeordnete übergeben wurden, in 416 Vergissmeinnicht, eine je Fraktionsvertreter:in.

Das ist insoweit eine Herausforderung in zweifacher Hinsicht, als gerade in der Koalition, im Bundestag und mit den Ländern über Asyl, Asylerfahren und die Integration von Geflüchteten gesprochen worden ist. Und weiter gesprochen werden wird.

Christsoziale freuen sich über SPD-Vorstellungen

Es geht dabei um so umstrittene Vorhaben wie, Asylverfahren in Drittstaaten auszulagern. Das will Bundesinnenministerin Nancy Faeser prüfen lassen; unterstützt von ihrem SPD-Parteifreund Olaf Scholz, dem Kanzler. Zum Unwillen mancher Grüner, aber zur Freude der Christsozialen: Deren früherer Parteichef und Bundesinnenminister Horst Seehofer wollte das auch schon.

Aktuell warten in Deutschland Zehntausende, dass ihre durch Flucht und Verfolgung getrennten Familien wieder vereint werden. Vor allem rechtliche Regelungen stehen dem entgegen. Beispiel: Bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die aufgrund von drohender Zwangsrekrutierung oder Zwangsverheiratung aus Ländern wie Afghanistan oder Somalia allein fliehen mussten, haben Eltern, nicht aber Geschwister ein Recht auf Familiennachzug.

Der Nachzug ist beschränkt, hinzu kommen lange Verfahren, weil Behörden nicht oder nicht ausreichend digitalisiert sind und deswegen nur langsamer arbeiten können. So dauert das mitunter Jahre.

Den Wartezustand wollen die Hilfsorganisationen verkürzen. Die Bundesregierung wohl auch. Jedenfalls hat Kanzler Scholz dringend dazu aufgefordert, die Ämter schnell zu digitalisieren; die zusätzliche Milliarde Euro für die Länder beim jüngsten Flüchtlingsgipfel soll unter anderem dabei helfen.

Die Bundesregierung hat ja nun aber auch im Koalitionsvertrag 2021 zugesagt, die Missstände aufzuheben, Verfahren zu beschleunigen, Ämter zu digitalisieren. Und, genau, den Familiennachzug zu erleichtern: bei denen, deren Asylantrag zwar abgelehnt wurde, deren Leben aber im Heimatland bedroht ist, außerdem bei Geschwistern. Bloß: Umgesetzt ist davon bisher nichts.

Was Pro Asyl besonders ärgert. „Die notwendigen Verbesserungen beim Familiennachzug waren eines der zentralen Versprechen des Koalitionsvertrags in Asylfragen. Es ist unsäglich, dass die Bundesregierung diese Verbesserungen weiter verzögert und stattdessen nun neue Verschärfungen bei der Abschiebungshaft plant.“ Sagt Wiebke Judith, die rechtspolitische Sprecherin. Dass Menschen etwa aus Afghanistan oder Eritrea mehrere Jahre auf ihre Kinder oder Ehepartner:innen warten müssten, sei „integrationspolitisch eine Katastrophe“. Und Diakonie-Chef Ulrich Lilie rügt: „Bei der Schaffung von fairen Verfahren und Chancen haben Bund und Länder jahrelang zu wenig getan.“

Das kann sich jetzt ändern. Wenn solche Worte das Gewissen vieler Abgeordneter getroffen haben sollten. Zumindest aber sind die Koalitionäre mit dem vergangenen Tag an ihr Versprechen erinnert worden.

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