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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lädt am Donnerstag und Freitag zu einem globalen Finanzgipfel nach Paris ein.

© AFP/STEPHANIE LECOCQ

Entwicklungsländer am Abgrund: Warum wir eine Reform der globalen Finanzordnung brauchen

Krisen, die durch Klimawandel und Pandemien ausgelöst werden, können Entwicklungsländer in den Abgrund treiben. Die Weltbank und der Internationale Währungsfonds sind aber schlecht gerüstet, um ihnen zu helfen, kritisiert Ökonomie-Professorin Cornelia Woll.

Ein Gastbeitrag von Cornelia Woll

Am 22. Juni lädt Emmanuel Macron in Paris zum Gipfel für einen neuen globalen Finanzierungspakt. Mit einer beeindruckenden Gästeliste verfolgt er ein ehrgeiziges Ziel: die Prinzipien der finanziellen Solidarität zwischen Staaten neu zu erfinden. Was unscharf klingen mag, ist eines der wichtigsten Mittel zur Gestaltung der internationalen Ordnung.

Eine Reform der Institutionen, die notleidende Länder finanziell unterstützen, ist dringend erforderlich; das wurde in der jüngsten Krisenserie nur allzu deutlich. Länder, die besonders unter den Folgen des Klimawandels leiden, haben in den internationalen Klimaverhandlungen Unterstützung unter dem Stichwort „Loss and Damages“ gefordert.

So hat zum Beispiel die Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, die „Bridgetown-Initiative“ ins Leben gerufen. Sie macht auf die ungleiche Zinsbelastung ärmerer Länder aufmerksam, die dringend Kredite benötigen, um auf Naturkatastrophen zu reagieren.

Auch die Pandemie und die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die weltweite Ernährungssicherheit belasten zahlreiche Länder. Industrienationen wie Deutschland verfügen oft über mehr finanziellen Spielraum. Länder in fragilen Situationen können durch externe Schocks jedoch in den Abgrund gedrängt werden.

Das traditionelle System der globalen Finanzstabilität ist für die Bewältigung dieser Herausforderungen schlecht gerüstet. Hinzu kommt: Weltbank und Internationaler Währungsfonds, die 1944 in Bretton Woods geschaffen wurden, um eine neue globale Finanzordnung zu ermöglichen, entsprechen den Ambitionen des Westens und sind bis heute insbesondere von den USA dominiert.

Eine Reform dieser Institutionen, die eine zunehmend multipolare Welt abbilden sollten, liegt seit über 20 Jahren auf dem Tisch, ohne dass bisher viel erreicht wurde. Weder Europa noch die Vereinigten Staaten sind bereit, die IWF-Quoten zu reformieren, um China ein größeres Gewicht zu verleihen.

China vergibt Kredite, aber zu eigenen Bedingungen

Infolgedessen hat China ein paralleles System entwickelt, das seinen eigenen Interessen entspricht. Ein kürzlich vom Kieler Institut für Weltwirtschaft veröffentlichtes Papier zeigt, dass China zu einem Kreditgeber der letzten Instanz geworden ist.

Über sogenannte Währungstausch-Swap-Linien mit über 40 Zentralbanken hat die People's Bank of China für Krisenländer Liquiditätshilfe in Höhe von 170 Milliarden Dollar bereitgestellt. Darüber hinaus haben chinesische Staatsunternehmen Darlehen in Höhe von 70 Milliarden Dollar vergeben.

Zusammengenommen sind das etwa 20 Prozent der gesamten IWF-Kredite. Hinzu kommen 800 Milliarden Dollar, die im Rahmen der chinesischen „Belt and Road Initiative“ für Infrastrukturprojekte bereitgestellt wurden.

800
Milliarden Dollar hat China für die „Belt and Road Initiative“ bereitgestellt

Einerseits erscheinen diese Finanzierungs- und Rettungsbemühungen aufgrund der genannten Herausforderungen für Entwicklungsländer begrüßenswert. Aber Investitionen und die Vergabe von Krediten in letzter Instanz haben tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung von Staaten, das Wohlergehen ihrer Gesellschaften und die Stabilität der Weltwirtschaft.

Die Umstrukturierung von Schulden ist ein fester Bestandteil der westlichen Entwicklungshilfe, um den Zusammenbruch von Ländern in prekären Situationen zu verhindern. China verfolgt einen strengeren Ansatz, der für zahlungsunfähige Länder wie Sri Lanka schwerwiegende Folgen hat.

Dass sich Pakistan, Äthiopien, Ghana oder Sambia in einer ähnlich schwierigen Lage befinden, gibt Grund zur Sorge. Die Kluft, die sich zwischen den USA und China zur finanziellen Solidarität aufgetan hat, ist kein Geheimnis und beeinträchtigt die Fähigkeit des Westens, sein eigenes System der finanziellen Solidarität aufrechtzuerhalten.

Wir profitieren alle von der Stabilität der Länder in allen Teilen der Welt

Nehmen wir ein Land, das sowohl von westlichen Ländern als auch von China Kredite erhält und dem ein Zahlungsausfall droht. Würde der Westen einen Schuldenerlass akzeptieren, wenn er damit die Rückzahlung der Kredite an die chinesischen Kreditgeber ermöglicht? Wahrscheinlich nicht.

Ohne ein koordiniertes Vorgehen oder ein gemeinsames Regelwerk würden zwei potenziell antagonistische Kreditgeber einen Schuldenerlass unmöglich machen.

Eine Reform der Bretton-Woods-Institutionen, die multipolare Machtverhältnisse abbildet und die Bedürfnisse des globalen Südens berücksichtigt, ist dringend erforderlich. Die Stabilität der Länder in allen Teilen der Welt ist entscheidend für ihre Selbstbestimmung, ihren sozialen Zusammenhalt, die Bekämpfung der Armut und die innere und äußere Sicherheit.

Davon profitieren wir alle. Es ist auch unsere kollektive Verantwortung in einer global vernetzten Welt, in der sich Krisen über Grenzen hinweg ausbreiten und in der wir für eine nachhaltige und gerechte wirtschaftliche Entwicklung sorgen müssen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Staats- und Regierungschefs und die Experten der Welt die Gelegenheit nutzen, um einen kooperativen Ansatz für die finanzielle Solidarität in der ganzen Welt zu entwickeln. Nur so kann Krisenresilienz in der Zukunft aussehen.

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