zum Hauptinhalt
Teil VI der Menschenrechtsserie zum Human Rights Day 2022

© Fotos: Sophie Peschke/ Montage: Manuel Kostrzynski

„Entrissen vom Heimatland“: Eine Kurdin hat Sehnsucht nach zuhause

Menschenrechtsserie Teil VI: Vom kurdischen Volk hört man vor allem im Kriegskontext. Trotz Assimilationsversuchen und Unterdrückungspolitik haben Kurden Sehnsucht nach ihrer Heimat.

Von

Die Hermannstraße in Berlin beherbergt einen Garten, der sich hinter einer Kirche versteckt. Sein Name – „Hevrin Khalaf“ – wird einer kurdischen Politikern gewidmet, die 2019 bei einer türkischen Militäroffensive in Nordsyrien ermordet wurde. In diesem Garten pflückt eine Frau mit kurdischer Abstammung namens Zilan Sarah Kössler ein paar Blätter, während sie durch die Hochbeete stolziert. „Tirşok“ – das kurdische Wort für das Kräutergewächs Sauerampfer hält sie in ihren Händen. Sie liebt dieses Gewächs.

Zilan ist 30 Jahre alt und arbeitet in Berlin als Kinder- und Jugendtherapeutin. Vor 13 Jahren floh sie mit ihrer Familie aus der kurdischen Region im Osten der Türkei nach Deutschland. Sie hat Sehnsucht nach ihrer Heimat, nach den Bergen. „Als ich mich auf der Reise nach Deutschland befand, warf ich einen letzten Blick auf die Berge. Und diese Berge waren richtig sauer auf mich: Du verlässt uns. Das ist sehr emotional gewesen.“

Sie hat „ihren Ort, ihre Berge verlassen müssen“, weil die existenziellen Rechte von Kurdinnen und Kurden eingeschränkt gewesen seien. „In den 1990er Jahren wurden im Osten der Türkei viele Dörfer verwüstet und angezündet, damit die Kurden aus ihrer Heimat vertrieben werden.“ Auch ihre Region war betroffen. Sie erinnert sich, dass der Wald neben ihrem Dorf in Brand gesteckt wurde.

Im Video: Zilan Kössler

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Kössler kommt aus einer „sehr politisierten“ Familie. Ihr war das System hinter der Unterdrückung, die sie erlebte, nicht fremd. Auch sie ist politisch aktiv, das sei das Einzige, was sie gegen den Heimatschmerz tun könne. Ein „Heimatsschmerz“, den sie immer spüre.

„Ich werde niemals diesen Geschmack oder dieses Gefühl haben, irgendwohin zu gehören. Mit diesem Bewusstsein bin ich auch hierher gekommen.“ Über ihr Leben in Deutschlang sagt sie: „Du bist in Deutschland immer eine Fremde. Du wirst als Fremde gesehen. Sobald du diese Blicke siehst, fühlst du diesen Heimatsschmerz.“

Der Großteil der Kurdinnen und Kurden leben in der Türkei, dem Irak, dem Iran und Syrien. In allen vier Ländern erlebt das Volk seit mehreren Jahrzehnten Unterdrückung. So wurde in Form von Assimilationspolitik des jeweiligen Nationalstaates die kurdische Sprache verboten und die kurdische Identität fortwährend kriminalisiert.

Über dokumentierte Vertreibungen und Diskriminierung der Kurdinnen und Kurden im Osten der Türkei sagt Direktor von Human Rights Watch Wenzel Michalski: „Das könnten Kriegsverbrechen sein, die die Türkei dort begeht.“

Vor dieser Unterdrückung entfloh Zilan gemeinsam mit ihrer Familie. „Wenn du Kurdisch sprichst, wenn du deine Meinung äußerst, wenn du deine Kultur lebst, dann bist du täglich bedroht, ins Gefängnis zu kommen oder umgebracht zu werden“, sagt die Therapeutin, die gleichzeitig als Vertreterin der Frauen der demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien in Deutschland aktiv ist, vielen bekannt unter dem kurdischen Namen „Rojava“.

Ich werde niemals diesen Geschmack oder dieses Gefühl haben, irgendwohin zu gehören.

Zilan Sarah Kössler, geflüchtete Kurdin

Im Garten, ein Projekt des von ihr mitgegründeten Sozialunternehmens Flamingo, treffen sich regelmäßig Frauen und gärtnern zusammen, um aus den Heilpflanzen Tees und Salben zu produzieren und sie auf einer Website zu verkaufen.

Die Einnahmen gehen in ein Frauendorf in Rojava. „Wenn ich in einen Garten komme, habe ich ein Heimatgefühl. Ich selbst wurde entrissen von meinem Heimatland, von der Erde dort.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false