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Verhinderter Sieger: Alberto Núñez Feijóo, Spitzenkandidat der Volkspartei, im Konfettiregen.

© IMAGO/ZUMA Wire/Luis Soto

Drei Lehren aus der Spanien-Wahl: Erst Jubel, dann Stille, dann der Schock über die Blockade

Anders als in Deutschland bleiben die Volksparteien stark. Und doch nimmt die Spaltung der Gesellschaft zu, weil sie nicht miteinander können. Für die EU wird es nun ganz bitter.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Der Jubel blieb den Siegern im Hals stecken. Spaniens bürgerlich-konservative Volkspartei hat die Zahl ihrer Parlamentssitze triumphal steigern können, von 89 auf 136. Aber zum Regieren reicht es nicht.

Wahlsieger Alberto Núñez Feijóo wollte sich von der rechtspopulistischen Partei Vox zur Macht verhelfen lassen. Die verlor jedoch ein Drittel ihrer Sitze.

Die spanische Dialektik: Die Wähler verlangen keine Brandmauer nach rechts. Die PP gewann stark hinzu, obwohl – oder: weil? – ihre Anhänger wussten, dass sie mit der Vox kooperieren möchte.

Brandmauer nach rechts? Nicht in Spanien

Das Wahlergebnis errichtet aber die Brandmauer gegen ein Bündnis mit den extremen Rechten, die es in Spanien offiziell nicht gibt. Vox brach ein.

Bei den bisher regierenden Sozialdemokraten währten Freude und Erleichterung freilich auch nicht lange. Sie wurden zwar nicht direkt abgewählt, aber eine Regierungsmehrheit hat Pedro Sánchez ebenso wenig.

Sein Koalitionspartner, das neue Linksbündnis Sumar, wollte Vox Platz 3 streitig machen, schwächelte jedoch. Linkspopulismus ist für Spanier nach den Erfahrungen mit einer Koalition unter Einschluss von Podemos offenbar nicht attraktiver als Rechtspopulismus.

Spaniens Paradox: Die Mitte ist breiter als in Deutschland

So folgen in beiden Lagern auf den Jubel erst die Stille der Ernüchterung und dann der lähmende Schock über die drohende politische Blockade. Die hat auch Folgen für Europa. Spanien hat gerade die EU-Präsidentschaft übernommen, wird auf absehbare Zeit aber keine Regierung haben, die sich auf eine Mehrheit stützen kann. Das Land steuert womöglich auf Neuwahlen zu. Es wären die sechsten in den acht Jahren seit 2015.

Wer das Muster der deutschen Parteienlandschaft auf Spanien anlegt, stößt auf ein Paradox. Lehre 1: Die Mitte hält. Die beiden großen Volksparteien erzielen weit bessere Ergebnisse als ihre deutschen Pendants. Die PP erreichte rund 33 Prozent (die CDU liegt in Umfragen bei 26 Prozent), die PSOE 32 Prozent (SPD 18 Prozent).

Gemeinsam binden sie zwei Drittel der Wählerschaft. Doch der Ausweg, der in Deutschland bei diesem Wahlergebnis nahe läge, die Große Koalition, bietet sich in Spanien nicht. PP und PSOE stehen für gegensätzliche Weltanschauungen, für verfeindete Lager – eine Spaltung, die sich aus dem Bürgerkrieg herleitet.

Beiden Volksparteien fehlen verlässliche Partner

Lehre 2: Selbst mit einer nach deutschen Maßstäben erfolgreichen Regierungsarbeit vermag die Partei an der Macht nicht die Prozentpunkte hinzuzugewinnen, die ihr für eine Koalitionsmehrheit fehlen. Der amtierende Premier Sánchez ist nicht unpopulär. Seine PSOE hat sogar zwei Mandate hinzugewonnen.

Aber die Schwäche seiner Koalitionspartner verhindert die Bildung einer Mehrheit links der Mitte. Sánchez war schon in den vergangenen vier Jahren ein Premier ohne eigene Mehrheit. Die Duldung durch separatistische Regionalparteien aus Katalonien und dem Baskenland mobilisierte Wähler, für die PP zu stimmen. Sie fürchten um den Zusammenhalt des Landes.

Diese Motivation ist für viele offenkundig stärker als die Ablehnung eines Zusammengehens der bürgerlichen PP mit der rechtsextremen Vox, obwohl die offen Frauenfeindlichkeit und Chauvinismus zelebriert sowie den Klimawandel und die Corona-Pandemie leugnet.

Lehre 3: Der von den Meinungsforschern prognostizierte Sieg der Rechten in Spanien ist bei dieser Wahl ausgeblieben. Er bleibt aber ein Szenario für die nächste Wahl.

Spanien taugt jedenfalls nicht als Beispiel, wie sich der Trend zum Rechtsruck in Europa stoppen lässt. Die Warnung des britischen Europa-Experten Hans Kundnani vor einem Denkfehler in den Erwartungen an die Zukunft der EU bleibt aktuell.

Besonders in Deutschland stellt man sich die EU gerne als liberale, aufklärerische Kraft und als Bollwerk gegen einen Rückfall in aggressiven Nationalismus vor. Eine immer tiefere Integration in der EU sei die Zukunft moderner Staatlichkeit. Sie werde die Nationalstaaten überwinden und die Deutschen von den dunklen Seiten ihrer Geschichte befreien.

Die meisten Völker Europas betrachten ihre Nationalstaaten aber gar nicht als überholt oder gar böse. Die Mehrheitsverhältnisse in der heutigen EU deuten zumindest derzeit auf die gegenteilige Entwicklung hin. Die EU wird zu einem lockeren Bündnis von Staaten, in denen rechte und nationalistische Kräfte regieren.

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