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Aufgrund der beschädigten Kertschbrücke muss Russland den Nachschub auch über Kampfschiffe organisieren.

© Reuters/Alexey Pavlishak

„Die Russen werden zehn Jahre brauchen“: Darum erweisen sich die ukrainischen Marinedrohnen als so effektiv

Durch den Angriff auf die Krimbrücke ist der russische Nachschub in die Südukraine gestört. Ausgeführt wurde er mit Überwasserdrohnen – gegen die Russland die Mittel fehlen.

Eines der sichersten gehüteten Geheimnisse des ukrainischen Militärs ist grau gefärbt und etwas mehr als fünf Meter lang. Die Form erinnert an ein sehr breites Kanu – nur könnte die Funktion viel unterschiedlicher nicht sein. Statt mehreren Menschen transportiert das Boot bis zu 300 Kilogramm Sprengstoff. Die Rede ist von einer Marinedrohne.

Zwei solcher Drohnen waren für den Angriff auf die Kertschbrücke, die das russische Festland mit der ukrainischen Halbinsel Krim verbindet, am 17. Juli verantwortlich. Seit zwei Wochen ist der russische Nachschub in die Südukraine durch die Explosion, die die Fahrbahnen stark beschädigte, gestört. Das berichtet auch die Sprecherin des Befehlshabers der ukrainischen Truppen im Süden des Landes, Natalia Hemeniuk.

Statt über die Brücke muss Russland vermehrt die Ausweichroute über das besetzte ukrainische Festland im Süden nehmen. Der russische Nachschub werde an Touristen, die zur Krim fahren oder sie verlassen, vorbeigeführt, um diese als menschliche Schutzschilder zu nutzen, sagt Hemeniuk im ukrainischen Fernsehen. Sie berichtet zudem, dass Russland seit dem Drohnenangriff Kampfschiffe nutzen müsse, um Equipment über die Meerenge auf die Krim zu transportieren.

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Für die Ukrainer, die im Gegensatz zu Russland keine richtige Schwarzmeer-Flotte haben, ist die Entwicklung der Überwasserdrohnen ein immens wichtiges Projekt. Die regierungsnahe Organisation „United24“ sammelte dafür Geld von Firmen und Privatpersonen auf der ganzen Welt, um es auf verschiedene Entwickler und Initiativen zu verteilen. Aus Sicht des ukrainischen Militärs haben sich die Investitionen gelohnt.

Innerhalb weniger Tage kamen sechs Millionen Euro für 25 Drohnen zusammen, die Zielmarke sind 100. Wie viele Marinedrohnen die Ukrainer bis heute entwickelt haben, ist nicht bekannt. Die erste Marinedrohne erhielt den Namen „Cherson“, die dritte den Namen „Mariupol“. Den zweiten Namen durften sich die Bürger in Litauen aussuchen, da sie allein rund 225.000 Euro spendeten. Sie nannten die Drohne „Peace Dec“.

Der US-amerkanische TV-Sender CNN erhielt nun als erstes Medium exklusive Einblicke in die Militärbasis, wo die Marinedrohnen getestet werden. Die Sicherheitsvorkehrungen, die dort getroffen werden, sind immens. Nur wenige Aufnahmen waren überhaupt möglich. Die Soldaten, mit denen CNN auf der Militärbasis sprach, wollten alle anonym bleiben.

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Einer der Soldaten, der „Shark“ genannt werden wollte, ist Drohnenpilot. Seine Ausrüstung: ein Hartschalen-Aktenkoffer. Darin befindet sich das Kontrollzentrum der Drohne, mit dem diese gesteuert wird – mit verschiedenen Hebeln, Joysticks, Monitoren und Knöpfen. Einzelne Knöpfe haben eine Schutzkappe, damit sie nicht versehentlich gedrückt werden. Diese Knöpfe tragen Beschriftungen wie „Detonation“.

Ein Entwickler der Drohnen erzählt CNN, dass das Projekt erst mit Kriegsbeginn im Februar 2022 startete. Es sei „sehr wichtig gewesen, weil wir nicht viel hatten, um uns einem Land mit einer Seeflotte entgegenzustellen“, sagt er. „Wir mussten selbst etwas entwickeln, weil wir keine bestehenden Kapazitäten hatten.“

Mindestens zwei erfolgreiche Angriffe führten die Ukrainer bereits mit den entwickelten Überwasserdrohnen aus: Auf die im Hafen von Sewastopol auf der Krim liegende „Admiral Makarov“, das Flagschiff der russischen Schwarzmeer-Flotte, im Oktober 2022. Und auf die Kertschbrücke Mitte Juli 2023.

Zwei Marinedrohnen beschädigten die Kertschbrücke stark.
Zwei Marinedrohnen beschädigten die Kertschbrücke stark.

© Imago/Konstantin Mihalchevskiy

Der Entwickler sagt, dass die Drohnen eine „vollständig ukrainische Produktion“ seien. „Sie wurden hier designed, gebaut und getestet.“ Sogar mehr als die Hälfte der Teile werde in der Ukraine produziert.

Für die Russen sei es noch immer schwierig, ein funktionierendes Mittel gegen die Marinedrohnen zu finden, sagt der Entwickler. „Die Geschwindigkeit der Drohnen übertrifft die jedes Schiff ihrer Schwarzmeer-Flotte.“ Auch seien die Drohnen aufgrund ihrer Größe schwer zu identifizieren. Die Kombination aus diesen beiden Punkten erkläre, wie die Überwasserdrohne vor zwei Wochen nachts unentdeckt unter die Kertschbrücke gelangen konnte.

Die Realität ist, dass die Ukraine mit ihren günstigen Angriffen hohe Kosten verursacht.

Samuel Bendett, Drohnenexperte

Aus Sicht des Drohnenexperten Samuel Bendett vom Center for Naval Analyses (CNA) bereiten die Marinedrohnen dem russischen Militär „ernsthafte Kopfschmerzen“. Die russische Marine suche händeringend nach schnellen Lösungen gegen die erfolgreichen ukrainischen Angriffe, schreibt Bendett via Twitter. Mögliche Lösungen, die Russland in Betracht ziehe, seien mobile Geräte zur elektronischen Kriegsführung und Luftabwehrsysteme. So könnte russischen Quellen zufolge eine maritime Version des Pantsir-Systems auf Schiffen angebracht werden.

Auf Bildern in sozialen Medien ist am Montag außerdem zu sehen, wie schwimmende Zäune um die Kertschbrücke aufgebaut werden. „Die Realität ist, dass die Ukraine der russischen Flotte mit ihren günstigen Angriffen mit Marinedrohnen hohe Kosten verursacht. Sich gegen solche Angriffe zu verteidigen, bedeutet, jederzeit dafür gewappnet zu sein und die Spannung hochzuhalten“, schreibt Bendett.

„Die Produktionskosten dieser Drohnen sind gering im Vergleich dazu, sich gegen sie zu verteidigen“, sagt Bendett dem „Business Insider“. Schon grundlegende Maßnahmen, die die Drohnen abfangen oder zerstören sollen, seien demach sehr teuer. Das Ergebnis sei ein „asymmetrischer Vorteil“ für die Ukraine. „Es ist schwer, ein Gebilde wie die Kertschbrücke mit geeigneten Mitteln und komplett zu schützen“, so Bendett.

Russlands Rache heißt Odessa

„Die Drohnen wurden gebaut, um Schiffe der Flotte zu zerstören – solche Waffen, die recht erfolgreich eingesetzt wurden und deren Verlust den Russen Angst einjagt“, sagt „Shark“. Das soll die russische Flotte weiter ins Schwarze Meer treiben und Angriffe auf ukrainische Ziele erschweren. Städte wie Odessa könnten dadurch sicherer werden, sagt der Entwickler.

Kurzfristig trat das Gegenteil ein: Russland griff als Reaktion auf die Explosion an der Kertschbrücke die ukrainische Hafenstadt tagelang massiv mit Raketen an. Dort, so heißt es aus Moskau, liege das Trainingszentrum der ukrainischen Drohnenflotte. Mit den Schiffen der Schwarzmeer-Flotte führt Russland viele Raketenangriffe aus. Am Wochenende verkündete Präsident Wladimir Putin, dass rund 30 weitere Schiffe dazukommen werden.

„Das Equipment, das die Russen auf ihren Schiffen haben, ist darauf ausgelegt, andere Schiffe anzugreifen. Sie können solch kleine Drohnen nicht angreifen, weil sie schneller sind als alles andere im Schwarzen Meer“, sagt der ukrainische Drohnenentwickler. Es sind tatsächlich bislang wenige Fälle bekannt, in denen die russische Flotte ukrainische Marinedrohnen ausschalten konnte.

„Ich denke, es wird zehn Jahre oder länger dauern, bis sie ein effektives Mittel gegen unser Equipment gefunden haben“, sagt der Entwickler über die Russen. „Ihr Equipment stammt aus dem 20. Jahrhundert, unseres aus dem 21. Es liegen 100 Jahre zwischen uns.“

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