zum Hauptinhalt
Ein Teil der Krimbrücke ist durch den Drohnenangriff abgesackt.

© Imago/Konstantin Mihalchevskiy

Folgen des Angriffs auf die Krimbrücke: Tausende Urlauber blockieren Russlands Versorgungswege

Die Brücke vom russischen Festland auf die Krim ist eine der wichtigsten Militärachsen in die Südukraine – und Route zur beliebten Urlaubsregion. Deshalb drohen jetzt logistische Probleme.

Die Explosionen an der Kertschbrücke, die die ukrainische Halbinsel Krim mit dem russischen Festland verbindet, könnten die russischen Besatzer vor größere Probleme im Süden der Ukraine stellen.

Der Zugverkehr über die Brücke lief zwar wenige Stunden nach dem Angriff am Montag schon wieder. Allerdings ist der Straßenverkehr weiterhin gestört, nur eine Spur konnte bislang wieder freigegeben werden. Die andere Spur, auf der die Fahrbahn an einer Stelle abgesackt ist, soll erst zum 1. November wieder befahrbar sein.

Die strategisch wichtige Brücke auf die 2014 annektierte Halbinsel war in der Nacht auf Montag beschädigt worden. Nach russischen Angaben wurde sie mit unbemannten ferngesteuerten Booten angegriffen.

Moskau macht die Ukraine verantwortlich, Präsident Wladimir Putin droht mit militärischer Vergeltung. Der Nachrichtenagentur AFP gegenüber verlautete aus Kreisen des ukrainischen Inlandsgeheimdiensts, der SBU und die Marine hätten den Angriff mit Marinedrohnen ausgeführt.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Die Besatzungsverwalter haben die Menschen mittlerweile aufgefordert, sich alternative Routen zu suchen, um die Staus in Grenzen zu halten. Da viele russische Touristen nach dem ukrainischen Drohnenangriff die Halbinsel verlassen, wird das akute Problem wahrscheinlich noch einige Tage andauern.

„Ich bitte die Bewohner und Gäste der Halbinsel, von Reisen über die Krim-Brücke abzusehen und aus Sicherheitsgründen eine alternative Route über Land durch die neuen Regionen zu wählen“, erklärte der von Moskau eingesetzte Gouverneur der Krim, Sergej Aksjonow, am Montag.

Angesichts zunehmender Staus schlugen die Behörden zurückreisenden Russen eine 400 Kilometer lange Route durch von der russischen Armee kontrollierten Gebiete in der Ukraine vor. Diese sind teils von Gefechten betroffen. Das russische Staatsfernsehen zeigte eine Karte der Strecke, die durch die besetzte südukrainische Stadt Melitopol zur großteils zerstörten Hafenstadt Mariupol geht und in der südrussischen Stadt Rostow endet.

Rund 50.000 Touristen sollen auf der Krim sein

Dadurch soll es nun auch im Norden der Krim und in den Regionen Cherson sowie Saporischschja zu massiven Staus gekommen sein. Diese dürften, so schreiben es die US-Experten vom „Institute for the Study of War“ (ISW), zu Einschränkungen für den Nachschub in den Regionen gesorgt haben – und voraussichtlich weiterhin führen.

Die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti bezifferte die Anzahl der Touristen auf der Krim-Halbinsel auf rund 50.000 – die meisten von ihnen seien mit dem Auto angereist. Das Transportministerium der Krim veröffentlichte eine Checkliste mit Dingen, die Touristen auf der Strecke beachten sollten. „Machen Sie Platz für Armeefahrzeuge und Kolonnen“, heißt es darin etwa.

Russische Zeitungen ermutigten die Leser am Tag nach dem Angriff auf die Brücke dazu, weiterhin Urlaub auf der Krim zu machen. Sie warnten allerdings davor, auf der 400 Kilometer langen Ausweichroute über das besetzte südukrainische Festland zu stoppen. Der angebliche Grund: „An den Seiten der Straßen könnten Minen liegen.“

Luftbild des Schadens an der Krimbrücke
Luftbild des Schadens an der Krimbrücke

© AFP/Maxar Technologies

Die ISW-Experten sehen die logistischen Probleme nun als Folge des taktischen Fehlers, dass der Kreml die russische Bevölkerung nicht über die Gefahren des Kriegs – der weiterhin „militärische Spezialoperation“ genannt wird – aufgeklärt hat.

Die Krim wurde und wird weiterhin als Urlaubsziel beworben, um den Schein der Normalität zu wahren. Die Russen wurden dabei nicht explizit darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie sich dort auf umkämpftem Kriegsgebiet befinden. Auch das Ehepaar, das bei dem Drohnenangriff getötet wurde, soll auf dem Weg in den Urlaub gewesen sein.

Die russischen Besatzer haben schon seit längerer Zeit Probleme, die tourismusbedingten Verkehrsprobleme an der Kertschbrücke zu mildern. Russische Militärblogger gehen nicht davon aus, dass sich an der Strategie des Kreml wegen des Drohnenangriffs etwas ändern wird. Moskau scheint zu sehr auf die Einnahmen durch den Tourismus auf der Krim angewiesen zu sein.

Die russischen Streitkräfte müssen damit rechnen, dass nun vermehrt Angriffe auf ihre Stützpunkte auf der Krim stattfinden werden.

Carlo Masala, Militärexperte

Die Kertschbrücke ist eine von zwei Hauptversorgungsrouten für die Russen im Süden der Ukraine, die andere verläuft über die Regionen Donezk, Saporischschja und Cherson auf dem Festland. Dass beide Routen aufgrund der Staus nun eingeschränkt nutzbar sind, ist für die Russen ein potenziell fatales Hindernis – da die ukrainische Gegenoffensive vorankommt.

Das Problem für die Russen könnte deshalb ein so Großes werden, weil im Süden der ukrainische Hauptangriff erwartet wird. Russlands Verteidigungslinien, die über Monate aufgebaut wurden, halten dort weiterhin, stehen aber unter großem Druck. Der Drohnenangriff dürfte daher ein taktisches Manöver der Ukrainer gewesen sein.

So sieht es auch der deutsche Militärexperte Carlo Masala, der an der Bundeswehr-Universität in München lehrt: „Der Angriff auf die Krimbrücke hat auch einen psychologischen Effekt: Die russischen Streitkräfte müssen damit rechnen, dass nun vermehrt Angriffe auf ihre Stützpunkte auf der Krim stattfinden werden“, sagte Masala dem Tagesspiegel. „Das ist insofern von Bedeutung, als es auch den russischen Bürgern unmittelbar zeigt, dass Krieg herrscht und die Krim, die einen hohen symbolischen Wert für Russland hat, von diesem Krieg nicht mehr ausgenommen ist.“

Kritiker des Nachschubs können sich bestätigt fühlen

Den ISW-Experten zufolge können sich die russischen Kritiker der Truppenversorgung in der Südukraine durch die kurz- und mittelfristig zu erwartenden logistischen Probleme bestätigt fühlen. Zuletzt hatte sich Befehlshaber Ivan Popow derart krtisch geäußert, dass er von Moskau abgesetzt wurde.

„Ich habe die Aufmerksamkeit auf die größte Tragödie des modernen Kriegs gelenkt – auf das Fehlen der Artillerieaufklärung und -bekämpfung und die vielfachen Toten und Verletzten durch die feindliche Artillerie“, hatte Popow gesagt.

Popow, dessen Armee im südukrainischen Gebiet Saporischschja kämpfte, übte harte Kritik an seinen Vorgesetzten, allen voran Oberbefehlshaber Walerij Gerassimow. Er warf ihnen vor, die russischen Truppen aufgrund mangelnder Munitionsversorgung im Stich zu lassen.

Es gibt keinen sicheren Weg, um sich gegen diese Boote zu verteidigen.

Samuel Bendett, Drohnenexperte

Nach Einschätzung der ISW-Experten dürfte sich dieser Zustand aufgrund der blockierten Nachschubwege weiter verschlimmern – keine guten Aussichten also für das in der ultranationalistischen Community umstrittene russische Verteidigungsministerium.

Russische Militärblogger, unter anderem auch der prominente Ex-Offizier Igor Girkin, kritisieren Moskau dafür, sich zu sehr auf die Sicherheit des Straßenverkehrs auf der Brücke konzentriert zu haben. Der Angriff mit maritimen Drohnen habe die russischen Behörden überrascht. Die Behörden hätten viel Energie darauf verwendet, die Autos vor der Brücke zu kontrollieren – was zu langen Staus führt. Das habe den Fokus komplett an den Gefahren, die auf dem Seeweg lauern könnten, vorbeigelenkt.

Auch Drohnenexperte Samuel Bendett vom US-Forschungszentrum Center for Naval Analyses (CNA) sieht in der Art und Weise des Angriffs ein langfristiges Problem für Russland. „Es gibt keinen sicheren Weg, um sich gegen diese Boote zu verteidigen“, sagte er zur „New York Times“. Die Drohnen kosten jeweils nur wenige 100.000 Euro, können aber Millionenschäden anrichten und die russischen Befehlshaber weiter bloßstellen.

Die militärische russische Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Die ukrainische Luftabwehr teilte am Dienstag mit, sechs russische Marschflugkörper vom Typ Kalibr und 25 Schahed-Drohnen iranischer Bauart über der Hafenstadt Odessa abgeschossen zu haben. Dabei seien „Einrichtungen der Hafeninfrastruktur“ und „mehrere Wohnhäuser“ von Raketentrümmern und der beim Abschuss entstandenen Druckwelle beschädigt worden. Ein Mann sei verletzt worden. 

Russland sprach von einem „Vergeltungsschlag“ für den ukrainischen Angriff auf die Krimbrücke. Die russische Armee habe in der Nacht einen Gegenschlag gestartet „auf Einrichtungen, in denen Terror-Akte gegen Russland unter Verwendung von Marinedrohnen vorbereitet wurden“, erklärte das russische Verteidigungsministerium am Dienstag. Dabei sei auch der Herstellungsort der Drohnen in einer Werft nahe Odessa getroffen worden, hieß es weiter. (mit Agenturen)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false