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Teilnehmer der Demonstration „Nie wieder ist jetzt!“ am 27. Januar in Frankfurt an der Oder.

© dpa/Patrick Pleul

Der Wert der Demokratie von unten: Lokale Proteste können als globales Signal wirken

Wenn der Widerstand gegen Rechtsextremismus in Deutschland nicht nur Symbolkraft entfalten soll, muss er zielgerichtet und inklusiv sein.

Ein Kommentar von Anja Wehler-Schöck

Deutschland setzt ein Zeichen. Hunderttausende sind in den vergangenen Tagen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Überall im Land – in großen Städten wie in kleinen Kommunen.

Es ist ein Aufstand, der aus der Bevölkerung kommt. Nicht Parteien und Verbände waren es, die unmittelbar nach den Enthüllungen um das Treffen rechtsextremer Akteure in Potsdam dazu aufriefen, Flagge zu zeigen, sondern einzelne Bürgerinnen. „Demokratie braucht Demokraten“, wusste bereits Friedrich Ebert, das erste demokratisch gewählte Staatsoberhaupt Deutschlands.

Die aktuelle Mobilisierung ist ein eindrucksvolles Bekenntnis zur Demokratie. Und gegen eine schleichende Normalisierung und Akzeptanz rechtsextremer Bestrebungen, die mit dem Erstarken der AfD vermehrt ihren Weg in die deutschen politischen Institutionen finden.

Demonstration gegen Rechtsextremismus am 19. Januar in Hamburg.
Demonstration gegen Rechtsextremismus am 19. Januar in Hamburg.

© dpa/Jonas Walzberg

Er habe in den letzten Monaten das Gefühl gehabt, dass es in Deutschland eine große schweigende Mehrheit gebe, bekannte Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, vor kurzem. Für die Jüdinnen und Juden würden die Demonstrationen „wieder Vertrauen in die demokratischen Verhältnisse in der Bundesrepublik schaffen“. Das wiegt schwer.

Die Fähigkeit westlicher Staaten, für Demokratie zu werben, hat in den letzten Jahren stark gelitten. Proteste, wie sie gerade in Deutschland stattfinden, können dem entgegenwirken. Sie demonstrieren die Resilienz liberaler Demokratien.

Mit greifbaren Konsequenzen? Ob die Demonstrationen in Deutschland über die reine Symbolkraft hinaus Wirkung entfalten, ob sie die Unterstützung für rechtsextreme Parteien senken und sich konkret auf den Ausgang von Wahlen auswirken, hängt vor allem von zwei Voraussetzungen ab.

Erstens: ein eindeutig definiertes Ziel. Klare Kante gegen die Feinde der Demokratie. Und nicht die Bewertung einer bestimmten Politik oder Regierung. Zweitens: Inklusion und Toleranz. Sprich: Respekt und Zivilität gegenüber Andersdenkenden innerhalb des demokratischen Spektrums und keine ideologische Silobildung.

Die deutschen Proteste wirken nicht nur nach innen. Auch außerhalb Deutschlands werden sie wahrgenommen. Von „Al Jazeera“ bis zur „Washington Post“ berichten internationale Medien darüber. In einer Zeit, in der die Demokratie weltweit Rückschritte verzeichnet und autokratische Tendenzen wachsen, kommt dem eine besondere Bedeutung zu. Im Superwahljahr 2024, in dem etwa die Hälfte der Weltbevölkerung zumindest an nominellen Wahlen teilnehmen kann, gilt dies umso mehr.

Dass ein konzertiertes und fokussiertes Vorgehen Wahlen beeinflussen kann, bestätigen die Erfahrungen anderer Länder. So zum Beispiel 2002 in Frankreich, als sich in der Stichwahl um die Präsidentschaft der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen und der Konservative Jacques Chirac gegenüberstanden. Zehntausende gingen damals auf die Straße und bildeten eine breite politische Front gegen Le Pen. Mit Erfolg. Viele Franzosen aus dem linken Spektrum stimmten – als Ausdruck ihres Widerwillens mit einem Handschuh bekleidet – für den konservativen Chirac und brachten ihm so die Mehrheit.

Jacques Chirac 2002 nach der Stichwahl gegen den Rechtsextremen Le Pen, in der er gut 80 Prozent der Stimmen geholt hatte. Chirac erreichte damit das beste Ergebnis bei einer Präsidentenwahl in der französischen Nachkriegsgeschichte
Jacques Chirac 2002 nach der Stichwahl gegen den Rechtsextremen Le Pen, in der er gut 80 Prozent der Stimmen geholt hatte. Chirac erreichte damit das beste Ergebnis bei einer Präsidentenwahl in der französischen Nachkriegsgeschichte

© dpa

Gelingt es in Deutschland in den kommenden Wochen, ein inklusives Bündnis, eine effektive Brandmauer gegen Rechtsextremismus zu bilden, kann dies ein weiteres Erstarken der AfD bei den anstehenden Landtagswahlen verhindern. Und nicht nur das. Es kann über die Landesgrenzen hinaus Strahlkraft entwickeln. Nicht nur in Europa, wenn im Juni die Wahlen zum Europäischen Parlament anstehen, sondern am Ende vielleicht sogar über den Atlantik.

Denn genau das kann die erfolgreiche Strategie gegen Donald Trump sein, der aus seinen autokratischen Ambitionen für eine zweite Amtszeit keinen Hehl macht: Amerikaner, die in den kommenden Monaten millionenfach auf die Straße gehen. Nicht für eine Partei oder eine bestimmte Politik. Sondern für den Rechtsstaat und die Demokratie. Friedlich und vereint. Eine solche Bewegung könnte eine Mehrheit der Wähler mobilisieren, auch diejenigen ohne Enthusiasmus für Joe Biden.

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