zum Hauptinhalt
Ungarische Soldaten errichten am 14.09.2015 in Röszke an der Grenze zwischen Serbien und Ungarn einen Zaun.

© dpa/MTI/Balazs Mohai

Beschluss zur Asylrechts-Verschärfung: Die EU ungarisiert ihre Migrationspolitik

Ungarn, das 2015 noch Europas Paria war, hat sich durchgesetzt. Mit den Beschlüssen von Donnerstag schafft Europa das Recht auf Zuflucht praktisch ab.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Wäre die Verzweiflung nicht übers große Ganze so groß, man könnte sich über Weniges freuen: Erstmals sollen Länder, die sich strikt weigern, Geflüchtete aufnehmen, zahlen, 20.000 Euro pro Person. Ein einfaches Rausstehlen aus der Verantwortung soll es nicht mehr geben.

Und die Union anerkennt damit, sehr konkret, dass sie eine gemeinsame Verantwortung in der Migrations- und Flüchtlingspolitik hat. Eine Lösung, die auf andern Feldern Schule machen könnte. Man wird sehen, ob sie’s tut.

Die allermeisten brauchen Schutz

Wer ankommt, wird kaserniert, das Elendssystem der griechischen Inseln wird sozusagen offizielle europäische Politik. Zum Argument, so werde man die wahrhaft Bedürftigen identifizieren: Im vergangenen Jahr nahm die EU gerade einmal 217 Afghaninnen und Afghanen in Schutzprogramme, 0,1 Prozent der 270.000, die als schutzbedürftig bereits festgestellt waren.  

So viel Brutalität, um welches Problem zu lösen? Um uns im reichen Norden der Welt vor der Ankunft einiger hunderttausend Menschen im Jahr zu bewahren, die seit Jahrzehnten als Protagonisten für Untergangsszenarien missbraucht werden. Dabei sind sie es, die vor dem Untergang fliehen, vor Kriegen, Naturkatastrophen, Landraub, die ihnen das Leben am Ort ihrer Herkunft unmöglich machen. Die deutsche Schutzquote von fast 86 Prozent im Jahr vor dem Ukrainekrieg spricht Bände.

Allein Deutschland brauchte statt Grenzbefestigungen etwa eine halbe Million Menschen jährlich, wenn es nicht wirklich aussterben, sondern seine Produktivität und sein Sozialsystem erhalten will.

Keins der Aufnahme-Probleme ist unlösbar

Natürlich ist es kein Spaziergang, für viele Menschen möglichst rasch Sprachkurse und Wohnraum zu schaffen und genug Lehrkräfte für ihre Kinder zu finden. Aber keines dieser Probleme ist unlösbar, das hat etwa die Bundesrepublik unzählige Male bewiesen – ihre Geschichte als (Massen-)Einwanderungsland begann schließlich gleich 1949 mit den deutschen Flüchtlingen aus dem Osten.

Würde man in Integration investieren statt in Grenzzäune, entstünde auch nicht immer wieder Produktenttäuschung gegen die Politik: Im Vereinigten Königreich, das, befreit von bisher europäischen Fesseln (take back control) die brutalstmögliche Einwanderungspolitik ins Werk gesetzt hat, herrscht aktuell blankes Entsetzen über eine, trotz alledem, Rekordzahl von Neuankünften.  

Auch wenn Ungarns Demokrator Orbán sogar die geplanten Strafzahlungen gegen den Strich gehen, über die er sich am Tag nach den Luxemburger Beschlüssen lauthals beschwert: Die Einigung von Donnerstag hat die Ungarisierung der EU-Migrationspolitik besiegelt. Orbán, vor acht Jahren noch ein Paria, hat sich durchgesetzt.

Niemand darf mehr legal in die Union, es sei denn, an den Grenzen hebt wer den Daumen, nach Kriterien, über die nur noch das Gutdünken der EU-Länder entscheidet, aber nicht mehr die tatsächliche Not und Schutzbedürftigkeit der Ankömmlinge. Möglichkeiten, diesen Schutz einzuklagen, wie es in einem „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts” (EU-Eigen-PR) selbstverständlich sein sollte, wird es praktisch nicht mehr geben.

Der Rechtsextremismus wird gefüttert statt gezähmt

Hat die EU-Mehrheit mit diesem Entgegenkommen wenigstens den Rechtsextremismus gezähmt, der sich in Europa immer giftiger ausbreitet? Die Erfahrung lehrt das Gegenteil: Leute wie Orbán leben von Feindschaften, jeder Etappensieg zwingt sie, mehr zu fordern, um den Spitzenplatz im Wettlauf der Radikalen zu halten.

Und noch etwas anderes lehrt der real regierende Rechtsextremismus: Gegen Fremde, Flüchtlinge, Migranten geht es nie allein. Wer Mitmenschlichkeit ihnen gegenüber lächerlich macht und unterbindet, hat auch Probleme mit der Freiheit von Frauen, von sexuellen Minderheiten, mit Selbstbestimmung überhaupt und mit der Freiheit, sich zu versammeln und den Mund aufzumachen.

Die Freiheit, Sicherheit und das Recht derer, die an Europas Grenzen ankommen, sind in dieser Woche zuschanden gegangen. Europas Bürgerinnen und Bürger sollten sich nun ernsthaft Sorgen machen um ihre eigene Freiheit, Sicherheit und ihre Rechte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false