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Isabel Schayani ist Moderatorin des „Weltspiegel“ und Leiterin der Redaktion „WDRforyou“.

© WDR/Annika Fußwinkel

Iran-Expertin Isabel Schayani: „Was, wenn der Krisen-Akku voll ist?“

Die WDR-Journalistin ist gefragt wie nie. Doch Isabel Schayani treibt die Sorge um, dass das öffentliche Interesse an den Protesten erlahmen könnte.

Als Ende November Künstlerinnen und Journalistinnen im Berliner Ensemble ein Zeichen setzen wollten gegen die Gewaltherrschaft und für die Freiheitsbewegung in Iran, reiste auch Isabel Schayani aus Köln an. Das Thema treibt sie um, nicht nur weil sie Tochter eines Iraners ist, der in den 1950ern nach Deutschland kam. Expertinnen wie sie sind gerade gefragt wie nie, weil sie die persische Lage erklären können, ob im Fernsehen, auf Twitter oder eben auf der Theaterbühne.

Werden die Proteste erstickt?

Und so konnte man an jenem Abend in Berlin verfolgen (und hier in der ARD-Mediathek), wie Schayani im Gespräch mit ihrer deutsch-iranischen ARD-Kollegin Natalie Amiri die Besonderheit der Proteste herausarbeitete, die seit dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini Mitte September andauern. Die Sorge schwang dabei mit, wenn die Welt den Blick weniger auf Iran richtet, dass es dort noch dunkler wird und die Proteste erstickt werden wie in all den Jahren zuvor. Dem Internet als „kommunizierende Röhre“ maß Schayani deshalb größte Bedeutung zu.

Die von ihr verantwortete Online-„Röhre“ WDRforyou zum Beispiel hat sich zu einer wichtigen Anlaufstelle für hier lebende Iranerinnen und Iraner entwickelt. In live gestreamten Instagram-Talks auf Persisch und Deutsch teilen sie Informationen und Emotionen über die Revolution. Dass es dieses Angebot überhaupt noch gibt, ist Schayani zufolge „nicht selbstverständlich“.

Als 2015/16 die Fluchtbewegungen vor allem aus Syrien ungeahnte Ausmaße annahmen, bündelte der WDR alles Wissenswerte für Geflüchtete auf einem crossmedialen Portal. Schayani war kurz zuvor als New-York-Korrespondentin zurückgekehrt. WDRforyou baute sie mit auf, auch mit dem Ziel, den öffentlich-rechtlichen Gedanken in eine Bevölkerungsgruppe zu tragen, wo der WDR, die ARD kaum eine Rolle spielen. Offenbar mit Erfolg. Im siebten Jahr ist WDRforyou der drittgrößte Facebook-Kanal in der ARD, nach „Tagesschau“ und „Extra 3“.

Integration durch deutsche Programme?

Auch SWR und ZDF stemmten seinerzeit Angebote für die Neuankömmlinge, stellten diese aber bald wieder ein. Ein genaues Zielgruppenprogramm habe sich „nicht als sinnvoll herausgestellt“, begründete der damalige ZDF-Intendant Thomas Bellut den Schritt; es müsse das Ziel sein, Migranten eher über die üblichen Programme anzusprechen. Gemäß der Logik: Wer sich integriert und deutsch spricht, kann auch den Nachrichten von ARD und ZDF folgen.

Dass ihr eigener Sender bis heute an WDRforyou festhält, hält Schayani sehr wohl für sinnvoll, weil Integration von Menschen, die vor Krieg und aus einem anderen Kulturkreis geflohen sind, „eben nicht ratzfatz passiert“, wie es Behördenbroschüren glauben machten. „Die Leute kommen her, bestehen den Deutschkurs B1 und dann ist alles gut? Nein, so läuft es eben nicht.“ Nach der Erleichterung, in Sicherheit zu sein, folge eine Phase der Depression und Desorientierung. Und da setze WDRforyou an. „Wir wollen digitale Heimat sein und fragen nach, was beschäftigt euch, was wollt ihr wissen.“

Dauerbrenner sind Fragen rund um Einbürgerung und Familienzusammenführung. Stehen gesetzliche Änderungen an, wird darüber auf Arabisch, Farsi und neuerdings auch Ukrainisch berichtet. Aber auch heikle Themen wie Atheismus oder LGBTQ spart WDRforyou nicht aus. Fingerspitzengefühl sei gefragt, sagt Schayani, denn man könne nicht davon ausgehen, dass etwa die afghanische Gesellschaft ähnliche Vorstellungen über gleichgeschlechtliche Liebe habe wie die Mehrheit in Deutschland. Langwieriger als gedacht sei auch, den Menschen, die in Autokratien wie Syrien oder Iran sozialisiert wurden, journalistisch darzustellen, wie Demokratie funktioniert.

Schayanis Aufgaben beim WDR, wo sie ihr gesamtes Berufsleben bisher verbracht hat, beschränken sich indes nicht auf die Redaktionsleitung von WDRforyou. Sie moderiert die WDR-Ausgaben des „Weltspiegel“, kommentiert in den „Tagesthemen“ oder zieht als Reporterin hinaus. In diesem Sommer berichtete sie einen Monat lang aus der Ukraine. Für ihre Reportagen aus dem Flüchtlingslager Moria 2019 wurde sie vielfach ausgezeichnet.

Würde sie auch aus Iran berichten? Als Journalistin, als Angehörige der religiösen Minderheit Bahai und „als jemand, der das auch versucht zu artikulieren“, sei die Lage im Moment zu gefährlich, glaubt Schayani, die 1967 in Essen geboren wurde. 2004 reiste sie zum letzten Mal in die Heimat ihres Vaters. Mit Blick auf die aktuelle Lage lebe sie „im Handy, wie die meisten Iranerinnen und Iraner“.

Wie schnell wird man den Iran wieder vergessen?

Isabel Schayani

2009, als die Mittelschicht auf die Straße ging gegen die Wiederwahl von Ahmadinedschad, widmete Schayani den Protesten ihren allerersten „Tagesthemen“-Kommentar. Das Thema Iran damals überhaupt in die ARD zu bekommen, war nicht einfach, und auch diesmal habe es „ein wenig gedauert“, bis es Fahrt aufnahm, „so wie auch die Politik anfangs zurückhaltend war“.

Die Aufmerksamkeit sei momentan groß, aber Schayani ist skeptisch, wie lange noch: „Was ist, wenn der Krisen-Akku voll ist und die nächste Krise kommt? Wie schnell wird man den Iran wieder vergessen? Bleibt das Interesse der Öffentlichkeit und in den Redaktionen so groß, dass die Entwicklungen in Iran angemessen abgebildet werden?“

Über die Frage, was „angemessen“ ist, wird gestritten. Deutsche Medien würden sich von der iranischen Propaganda „einlullen“ lassen und die Proteste als „,Kopftuch-Unruhen‘ kleinreden“, lautet der Vorwurf aufseiten der deutsch-iranischen Community. Dieser wiederum wird eine idealisierende Sicht aus dem Ausland vorgeworfen. Vor allem die aus dem Iran stammenden Journalistinnen und Experten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk trennten nicht zwischen Aktivismus und faktenbezogener Berichterstattung.

Dass zu viel Nähe angreifbar macht, dessen ist sich Isabel Schayani bewusst, aber die WDR-Journalistin betont auch die Vorteile: „Jemand, der die Kultur kennt, die Sprache spricht, ihre Temperatur fühlt, hat andere Einsichten als jemand, der eher von außen draufschaut. Beide sind wichtig.“ Das sei auch der Grund, warum sie aus der Ukraine berichtet habe und wieder berichten werde.

Die Sendefläche dafür wird im Ersten derweil immer kleiner. Ab Januar entfällt das Samstagnachmittagformat „Weltspiegel-Reportage“. Für den Blick nach draußen und das Verstehen der Welt, zu dem Isabel Schayani beiträgt, ist das keine gute Nachricht.

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