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Vor zehn Jahren wurde Papst Franziskus Oberhaupt der katholischen Kirche.

© action press/Zuma Press Wire / Zuma Press

10 Jahre Papst Franziskus: „Die erste Reform muss die der Einstellung sein“

Zehn Jahre nach seiner Wahl zum Papst erfreut sich Franziskus über die Konfessionsgrenzen hinaus großer Beliebtheit. In der Kurie ist er allerdings weniger populär.

Auch Päpste können sich irren. „Ich habe das Gefühl, dass mein Pontifikat kurz sein wird. Vier oder fünf Jahre. Ich weiß nicht, vielleicht auch nur zwei oder drei“, meinte Franziskus 2015, zwei Jahre nach seiner Wahl zum Papst am 13. März 2013.

Jetzt ist der Argentinier Jorge Mario Bergoglio, der erste nicht-europäische Papst der Kirchengeschichte, schon zehn Jahre Oberhaupt der katholischen Kirche. 86 Jahre alt ist Franziskus inzwischen. Das Gehen fällt ihm wegen seiner Knieschmerzen schwer, oft muss er sich im Rollstuhl bewegen. Aber ansonsten ist der Papst, wie er erst im Januar selbst bekannt gab, „bei guter Gesundheit“.

Fast zeitgleich mit seinem Amtsjubiläum beginnt das Pontifikat von Franziskus noch einmal neu: Ende 2022 verstarb sein Vorgänger Benedikt XVI., der in seinem kleinen vatikanischen Kloster wie ein unsichtbarer Schatten die ersten zehn Jahre von Bergoglios Wirken begleitet hatte.

Franziskus hebt sich von seinen Vorgängern ab

Es ist viel darüber spekuliert worden, ob und inwieweit die Gegenwart des konservativen Vorgängers, dieses einmalige Zusammenleben zweier Päpste im Vatikan, das Pontifikat von Franziskus beeinflusst hat.

In einem nicht ganz unwesentlichen Punkt hat sich der Nachfolger inzwischen bereits von seinem verstorbenen Vorgänger distanziert: Er sei der Ansicht, dass das Papstamt grundsätzlich auf Lebenszeit ausgeübt werde, solange es die Gesundheit erlaube, erklärte Franziskus vor kurzem.

Vor allem nach außen hat Franziskus aber das Pontifikat schon lange vor dem Tod seines Vorgängers komplett neu ausgerichtet. Das begann schon mit der Wahl seines Papstnamens: Zum ersten Mal hatte ein Papst den Mut und das Selbstbewusstsein, sich mit seinem Namen symbolisch in die Fußstapfen des Franz von Assisi zu begeben, des wichtigsten Heiligen der katholischen Kirche.

Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen!

Papst Franziskus

Der Bettelmönch aus Umbrien, sagte Bergoglio später einmal, sei für ihn „ein Mann der Armut, der Mann des Friedens, der Mann, der die Schöpfung liebt und bewahrt. Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen!“ Das war und ist das Programm. Franziskus forderte von seiner Kirche und besonders von der Kurie sofort ein radikales Umdenken: „Die erste Reform muss die der Einstellung sein.“

Denn das, was Franziskus im Kirchenstaat antraf, hat ihm nicht gefallen. Direkt und undiplomatisch bezeichnete er den kurialen Hofstaat ein halbes Jahr nach seiner Wahl als „Lepra des Papsttums“. Der Kirchenverwaltung und den Höflingen attestierte er nicht weniger als „fünfzehn Krankheiten“, darunter Selbstbezogenheit, Ruhmessucht, Kritikunfähigkeit, spirituelle und geistige Abstumpfung.

Abschied vom Fokus auf Sexleben der Gläubigen

Beliebt hat er sich in der Kurie damit nicht gemacht. Die Bescheidenheit und Demut, die er von seinem Hofstaat fordert, lebt er den verwöhnten Prälaten selber vor: Statt wie seine Vorgänger im pompösen apostolischen Palast wohnt er im vatikanischen Pilgerheim Santa Marta, wo er mit Vatikanangestellten in der Mensa essen geht.

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Umgekrempelt hat Franziskus auch die inhaltlichen Schwerpunkte. Insbesondere hat er die Fixierung seiner konservativen Vorgänger auf das Sexualleben der Gläubigen aufgegeben.

Johannes Paul II. und Benedikt XVI. erweckten mit ihrem Beharren auf der rigiden katholischen Sexualmoral gelegentlich den Eindruck, dass es in der Kirche und auf der Welt keine wichtigeren Probleme gebe, als die Einhaltung des Keuschheitsgebots vor der Ehe. Sie untersagten – selbst in Zeiten von Millionen Aids-Toten in Afrika – den Gebrauch von Präservativen.

Die Prioritäten haben sich unter Franziskus komplett geändert: In seinem 2016 veröffentlichten Schreiben „Amoris laetitia“ (Die Freude der Liebe) wendet er sich gegen eine „kalte Schreibtischmoral“ und fordert von den Seelsorgern Verständnis und Barmherzigkeit: Moralische Gesetze seien „keine Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft“.

Wer bin ich denn, um über Homosexuelle zu urteilen?

Papst Franziskus

Das war wohl der bemerkenswerteste Satz, den ein Papst je zum Thema Sexualmoral geschrieben hat. Ein weiterer denkwürdiger Satz lautete: „Wer bin ich denn, um über Homosexuelle zu urteilen?

Allerdings: Die Lehre als solche hat Franziskus wie seine Vorgänger nicht angetastet: Man kenne die Ansichten der Kirche, und er sei ein Sohn dieser Kirche, hielt er schon kurz nach seiner Wahl unmissverständlich fest. Dennoch befanden sich seine Gegner längst auf den Barrikaden.

Kapitalismuskritik des Papstes verärgert US-Konservative

Weil Franziskus in „Amoris laetitia“ die Möglichkeit erwähnte, dass in bestimmten Ausnahmefällen auch wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion empfangen könnten, verlangten vier Kardinäle – darunter die Deutschen Walter Brandmüller und Joachim Meisner – entsetzt eine „Klarstellung“. In den USA bezichtigten Ultrakonservative den Papst sogar der Ketzerei.

Vor allem in den USA ist die dogmatische Kritik am Papst aber nur vorgeschoben. Die katholische religiöse Rechte, die enge Verbindungen mit dem ehemaligen Trump-Berater Steve Bannon unterhält, stört sich vielmehr an den politischen Botschaften des Papstes, der immer wieder gegen die Auswüchse eines entfesselten Kapitalismus, Profitgier, Kaltherzigkeit gegenüber Migranten und die rücksichtslose Ausbeutung und Zerstörung der Schöpfung, also der Natur, seine Stimme erhebt.

Damit ist Franziskus in den Augen der konservativen US-Kardinäle nichts anderes als ein gefährlicher Kommunist auf dem Papstthron. Das ist blanker Unsinn: Der Pontifex aus Argentinien ist zweifellos ein sehr politischer und sozial wie ökologisch engagierter Papst, geprägt von seiner argentinischen Herkunft. Aber für totalitäre Systeme wie den Kommunismus hegt er keinerlei Sympathien.

Damit die Kirche im Dorf bleibt, hat Franziskus die Zulassung zur Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene schließlich wieder aufgegeben. Auch ein anderer Reform-Versuchsballon platzte: Bei der Amazonas-Synode im Jahr 2019 wollte der Papst die Teilnehmer wegen des dramatischen Priestermangels über eine Lockerung des Zölibats diskutieren lassen.

Es hagelte erneut Kritik der orthodoxen Fraktion, und, zumindest indirekt, auch von seinem Vorgänger Benedikt XVI.: Joseph Ratzinger stellte dem konservativen Kurienkardinal Robert Sarah einen von ihm verfassten Aufsatz über den Zölibat zur Verfügung. Diesen verwendete der afrikanische Kardinal Sarah anschließend in einem Pamphlet gegen die Abschaffung der priesterlichen Ehelosigkeit.

Die Rückzieher des Papstes bei der Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene und bei der Lockerung des Zölibats hatten zwangsläufig zur Folge, dass auch diejenigen enttäuscht wurden, die auf genau diese Reformen gehofft hatten. Besonders ernüchtert sind die Vertreter des „synodalen Wegs“ in Deutschland, die sich auch noch weiter gehende Änderungen wünschen, etwa die Priesterweihe für Frauen. Franziskus beschied den deutschen Bischöfen, dass es „in Deutschland schon eine schöne evangelische Kirche“ gebe.

Furcht vor erneuter Kirchenspaltung

Das war weniger salopp gemeint als es tönte: Der Papst wollte lediglich darauf hinweisen, dass ein Eingehen auf die Vorschläge des „synodalen Wegs“ direkt in eine neue Kirchenspaltung münden könnte. Als Jesuit versteht Franziskus viel von Kirchenpolitik: Er weiß, was in der katholischen Kirche möglich ist und was nicht. Die Vorschläge des „synodalen Wegs“ gehören seiner Meinung nach zur zweiten Kategorie. Und so bleibt die Reformbilanz des Pontifikats nach den ersten zehn Jahren durchwachsen.

Das gilt auch für die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche, bei der sich der Papst viel Zeit gelassen hat. Auch Franziskus hatte die Tragweite dieses Jahrhundert-Skandals (zu) lange unterschätzt und erst 2019 eine Missbrauchskonferenz einberufen. Immerhin: In den folgenden Monaten hat Franziskus zahlreiche Gesetze erlassen, dank denen sexueller Missbrauch durch Priester weniger leicht vertuscht und besser geahndet werden kann.

Als eigentlicher Durchbruch gilt vor allem die Abschaffung des „päpstlichen Geheimnisses“ für Missbrauchsfälle im Dezember 2019: Seither können Diözesen auf Antrag der zivilen Strafverfolgungsbehörden selbstständig Akteneinsicht erlauben, ohne sich kirchenrechtlich strafbar zu machen.

Unzählige Feinde unter den Konservativen, enttäuschte Progressive, eine eher bescheidene Reformbilanz – und doch: Bei den einfachen Gläubigen ist Franziskus trotz allem unglaublich populär, und das weit über die Konfessionsgrenzen hinaus.

Die Beliebtheit des leutseligen Argentiniers hat viel mit seiner bescheidenen und fröhlichen Art zu tun: Bei seinen öffentlichen Auftritten trägt Franziskus immer noch dieselben orthopädischen Straßenschuhe, die er schon als Erzbischof von Buenos Aires getragen hatte.

Er begrüßt die Massen auf dem Petersplatz weiterhin mit einem einfachen „Buongiorno“ oder „Buonasera“ und erinnert sie am Ende seiner Auftritte regelmäßig: „Und vergesst nicht, für mich zu beten.“

Und wenn Franziskus Sehbehinderten den Segen spendet, segnet er ihren Blindenhund danach gleich noch mit: Es waren von Anfang diese einfachen, rührenden und zutiefst menschlichen Gesten, seine Demut und Glaubwürdigkeit, kombiniert mit seinem Charisma und seinen sympathischen Extra-Touren in die Geschäfte der Römer Altstadt, die Jorge Mario Bergoglio zu einem Papst der Herzen gemacht haben.

Johannes Paul II. war bei den Gläubigen ebenfalls beliebt. Aber er ist wie Joseph Ratzinger letztlich ein unnahbarer Kirchenfürst geblieben. Franziskus dagegen ist zum ersten Volkspapst der Kirchengeschichte geworden. Und damit tut er mehr für die katholische Kirche, als es jede Reform vermocht hätte.

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