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Mit bloßen Pflastersteinen gegen Panzer.

© dpa/-

Aufstand in der DDR: Halbe Freiheit gibt es nicht, die Menschen des 17. Juni wussten das

Der niedergeschlagene Aufstand in der DDR lehrt uns: Selbst gescheiterte Revolutionen verändern die Menschen. Und Frieden in Europa gibt es nicht umsonst.

Ein Kommentar von Robert Ide

In fünf Jahren denken wir mal wieder dran. Der 17. Juni 2028 soll in Berlin ein Feiertag sein, hat das Abgeordnetenhaus beschlossen. Der Volksaufstand in der jungen DDR wird dann 75 Jahre her sein. Werden dann noch Zeitzeugen leben? Wird dann die Erinnerung endgültig tot sein?

Ja, es nervt, sich mit Geschichte zu befassen. Opfer und Hinterbliebene verlangen Zuwendung nach ihrem Leiden mit jahrzehntelangen Folgen. Und natürlich entrückt die Vergangenheit in einer hektischen Gegenwart und einer knapper werdenden Zukunft: Haben wir nicht andere Sorgen als den 17. Juni? Ja, zum Glück. Eben, weil es den 17. Juni gab.

Das Aufbegehren gegen die kommunistische Diktatur, die Niederschlagung mit sowjetischem Militär, das gewaltsam unterdrückte, aber nie niederzuringende Streben nach Freiheit bis hin zur geglückten Revolution und dem glücklichen Mauerfall 1989. Berlin und Deutschland, so frei wie wir heute sind, würde es nicht geben ohne das Fanal vor 70 Jahren.

Die DDR wollte der bessere Staat sein – war es aber ganz und gar nicht. 

Robert Ide, Autor

Warum ist uns eines der bedeutendsten deutschen Freiheitsereignisse so wenig wert, warum finden sich kaum Spuren in Stadt und Land vom Aufstand im angeblichen Arbeiter- und Bauernstaat? Weshalb prägt die westdeutsche Studentenrevolte von ’68 (bei der das osteuropäische ’68, der Prager Frühling, allzu oft vergessen wird) die Berliner Republik viel mehr als das Einstehen von einer Million Mutigen für die Demokratie 1953 – mit bloßen Pflastersteinen gegen Panzer?

Der „Prager Frühling“ war das osteuropäische ‘68.
Der „Prager Frühling“ war das osteuropäische ‘68.

© imago/CTK Photo/imago stock&people

Weil wir unsere Freiheit schon zu selbstverständlich nehmen. Und weil allzu viele davon leben, die so hart erkämpfte Demokratie lieber verächtlich zu machen, anstatt sich in ihr zu engagieren. Eine halbe Freiheit gibt es nicht. Die Menschen des 17. Juni wussten das.

Selbst gescheiterte Revolutionen sind nie gescheitert. Sie verändern das Volk. Die unterdrückten Menschen merken, welch eine Kraft sie gemeinsam haben. Und die Unterdrücker erholen sich nie wieder von ihrer Angst vor denen, die sie niedergeworfen haben. So ist es aktuell in Belarus, im Iran, auch in Hongkong. Dort und an vielen Brennpunkten der Welt riskieren Menschen weiterhin ihr Leben für die Freiheit, die uns allzu leichtlippig vom Munde geht.

Wie würde man selbst sich einer Diktatur verhalten?

Genauer auf den 17. Juni zu schauen, hilft uns heute, die Menschen zu sehen, denen es deutlich schlechter geht als uns. Und es hilft auch in Ostdeutschland gegen manch nostalgische Jammerei über die (ja tatsächlich noch nicht verheilten) Wunden der schnellen Einheit aus zwei lange geteilten Deutschlands.

Die DDR wollte der bessere Staat sein – war es aber ganz und gar nicht. Viele Westdeutsche wollten hinterher die besseren Menschen gewesen sein – waren es aber natürlich nicht. Wie würde man selbst sich einer Diktatur verhalten, die alles Private politisch verfolgt? Das kann man nur beantworten, wenn man in einer gelebt hat. Die Frage danach ist trotzdem wichtig, besonders an sich selbst.

Heute muss in Kiew die Freiheit siegen

Was der 17. Juni uns auch lehrt und insbesondere Linke und vom Krieg in Europa verängstigte Pazifistinnen und Pazifisten lehren sollte: Imperialismus muss nicht immer kapitalistisch, amerikanisch, westlich sein. In Osteuropa war er zuerst faschistisch und kam aus Deutschland, dann kommunistisch und kam aus Moskau.

Auch heute bedroht der Kreml die Freiheit der Welt, lässt für den Wahn von einer wiederauferstehenden Weltmacht Russland unschuldige Länder überfallen und unschuldige Menschen abschlachten. Die demokratische Ukraine braucht deshalb Waffen, um sich wehren zu können und Europas Frieden wiederherzustellen. Heute muss in Kiew die Freiheit siegen, darf nicht niedergewalzt werden wie vor 70 Jahren in Ost-Berlin. Einen halben Frieden gibt es nicht. Auch das zeigt uns der 17. Juni.

Ja, Geschichte kann anstrengend sein – die deutsche ist es besonders. Welch ein Glück für uns, dass es neben den immerwährend dunklen Verbrechen, die von deutschem Boden ausgingen und die nie vergessen und relativiert werden dürfen, auch Momente des Heldenmuts zu erzählen gibt, von denen wir heute noch alle zehren und lernen können. Frieden und Freiheit gibt es nicht gratis. Und der Kampf für sie ist niemals umsonst.

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