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Werner Graf, Co-Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen, in seinem Büro im Abgeordnetenhaus Berlin in der Niederkirchner Straße in Berlin-Mitte.

© Doris Spiekermann-Klaas/Tagesspiegel

Grüne Pläne für die Verkehrswende: „Wir wollen die Zahl der Parkplätze in Berlin halbieren“

Der Grünen-Fraktionschef Werner Graf spricht über neue Mobilität in Berlin, Ideen für eine Verwaltungsreform und Lehren aus den Silvester-Ausschreitungen.

Herr Graf, Sie leben in Schöneberg. Haben Sie von den Angriffen in der Silvesternacht persönlich etwas mitbekommen?
Nein, ich habe im kleinen Kreis mit Freunden gefeiert. Für mich persönlich war es ein sehr ruhiges Silvester im Kreise von wenigen engen Freunden.

Sie waren immer gegen ein Böllerverbot. Hat sich an Ihrer Haltung durch die Silvesternacht etwas verändert?
Die Angriffe auf Rettungskräfte und Polizisten sind entsetzlich und müssen zukünftig verhindert werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Ein Böllerverkaufsverbot, wie wir Grünen es wollen, wird im Bund wohl vorerst an der Blockade der FDP und der SPD-Innenministerin scheitern. Daher muss Berlin tun, was es selbst tun kann. Einfach nur die Verbotszonen auszuweiten und zu sagen, „Polizei setz mal um!“, ohne dass es die Kapazitäten gibt, das auch zu überwachen, funktioniert aber nicht.

Sondern?
Ich fände es sinnvoll, aus Erfahrung, zum Beispiel vom 1. Mai, zu lernen. Dazu gehört, an besonderen Tagen große, friedliche Feiern, zu veranstalten. Zu Silvester könnten wir in der ganzen Stadt sechs bis zwölf große Feste mit einem offiziellen Feuerwerk veranstalten, wo wir es schaffen, dass eine halbe Million bis einer Million Menschen gemeinsam friedlich feiert, ohne selbst dort Raketen abzufeuern.

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Die Randalierer werden wohl eher nicht auf die offiziellen Feste gehen.
Stimmt. Dadurch können wir die Gruppen auch besser trennen. Auf den großen Feiern sind vor allem Menschen, die keine Straftaten begehen und sicher feiern wollen. Da brauchen wir weniger Polizei. Und auf den sonstigen Straßen, sind dann weniger Menschen, wodurch es für die Polizei einfacher wird, die Straftäter zu identifizieren und zu verfolgen. Durch die Trennung von friedlich Feiernden und Böller-Chaoten würden wir viel schneller positive Effekte erzielen und die Polizei entlasten.

Rufe nach „mehr Polizei“ sind meist nur symbolhafte Vorstöße.

Werner Graf, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus

Brauchen Rettungskräfte mehr Schutz durch die Polizei?
Ich glaube nicht, dass es gut ist, alles was schief läuft, mit mehr Polizei zu beantworten. Die Polizei ist jetzt schon am Rande dessen, was sie personell leisten kann. Dashcams in den Einsatzwägen und schnelle Gerichtsverfahren bringen dauerhaft viel mehr.  Rufe nach „mehr Polizei“ sind meist nur symbolhafte Vorstöße wie beispielsweise auch bei der Kotti-Wache. Die wird auch nichts bringen, so wie sie jetzt aufgesetzt ist.

Warum das?
Das ist am Ende des Tages nur ein gut beleuchteter Schreibtisch, der drei Millionen Euro kostet. Selbst die Polizei sagt, dass sie nicht mehr Sicherheit bringt. Das ist rausgeschmissenes Geld. Wir brauchen keinen Schreibtisch am Kotti, sondern müssen ständig mit den gleichen Polizeibeamten vor Ort sein, die die Probleme kennen und wissen, mit welchen Eltern und Verwandten sie sprechen müssen. Das würde etwas bringen.

Die Debatte um die Silvesternacht drehte sich zuletzt vor allem um die Täter, für die Silvester nur der Anlass zur Eskalation gewesen sei. Worin sehen Sie die Gründe für die Angriffe?
Einerseits haben wir einen Rückgang an Straftaten generell. Zugleich sehen wir Bereiche, in denen es immer wieder große Gewaltexzesse gibt. Dort haben wir mit Menschen zu tun, die sich abgehängt fühlen, finanziell schwach sind und denen es an Teilhabe an der Gesellschaft fehlt. Da kommt einiges zusammen. Natürlich brauchen wir dort schnelle gerichtliche Verfahren. Aber wir müssen auch die Jugendsozialarbeit, sei es in den Schulen oder in den Freizeiteinrichtungen, deutlich ausbauen und verstetigen. Wir müssen gerade noch Corona das „Wir“ in der Gesellschaft wieder stärken.

Probleme bei der Integration spielen keine Rolle?
Ich warne vor einer Reduzierung darauf. Man muss das ins Verhältnis setzen: Menschen mit Migrationshintergrund machen in Berlin einen großen Teil der Bevölkerung aus. Gewalt geht vor allem von Männern aus. Und wir sehen vor allem in den Kiezen vermehrt Gewalttaten, wo viele finanzschwache Menschen leben  – egal ob mit sogenanntem Migrationshintergrund oder Deutsch. Dort gilt es anzupacken, indem wir den Menschen Zukunftschancen geben. Zuerst einmal sind wir alle Berliner*innen und als solche müssen wir überlegen, wie wir gemeinsam zusammenleben.

Werner Graf in Begleitung von Bettina Jarasch (M) und Nina Stahr (r) auf dem Weg zu Koalitionsverhandlungen im Jahr 2021. Graf will das rot-grün-rote Bündnis unter grüner Führung fortsetzen.

© picture alliance/dpa / Annette Riedl

Die stellvertretende Landesvorsitzende der CDU, Falko Liecke, spricht von „arabischen Jugendlichen, die völlig frei drehen“. Klingt so ein möglicher Koalitionspartner der Grünen für die Zeit nach der Wahl?
Als Koalitionspartner haben wir eine klare Präferenz: Wir wollen mit der SPD und der Linken in einem progressiven Bündnis unter Führung der Grünen regieren. Dass zwischen der CDU und uns Grünen innenpolitisch Welten liegen, ist keine neue Erkenntnis.

Dennoch wollen sie ein Bündnis mit der CDU ebenso wenig ausschließen wie mit der FDP, obwohl deren Spitzenkandidat den Grünen bereits faktisch eine Absage erteilt hat.
Ich glaube, dass es sinnvoll ist, den Leuten zu sagen, was man machen will. Wir haben schon vor einem Jahr bewiesen, dass wir nach der Wahl das tun, was wir vorher angekündigt haben und nicht für das Rote Rathaus unsere Inhalte über Bord schmeißen. Bei der SPD sind wir uns da nicht sicher. Um Regierende Bürgermeisterin zu bleiben, würde Franziska Giffey auch mit der CDU und FDP eine Deutschlandkoalition eingehen. Für uns ist daher wichtig, dass die SPD bei einem Wahlsieg der Grünen auch als Juniorpartner bereitstehen würde und sich nicht in eine rechte Koalition oder in die Opposition verabschiedet. Das fänden wir sehr schade.

Auf Ihren Wahlplakaten steht „Zeit für Grün“. Aber Ihre Partei ist bereits seit sechs Jahren in Regierungsverantwortung. Warum wurden die Dinge nicht längst angepackt, die Sie ändern wollen?
Wenn wir Berlin ein Update geben wollen, damit es wieder funktioniert, wird das nur aus dem Roten Rathaus heraus funktionieren. Eine der wichtigsten Sachen, die wir umsetzen wollen, ist die Verwaltungsreform. Wir haben eine Legislaturperiode lang mitregiert und dadurch auch von innen gesehen, was in den Verwaltungen falsch läuft. Unsere Pläne zur Verbesserung wurden zwar im neuen Koalitionsvertrag mit eingebracht. Doch seither müssen wir feststellen, dass das vom Roten Rathaus überhaupt nicht angegangen wird.

Wir fordern ein Recht auf E-Mail-Verkehr mit dem Amt.

Werner Graf, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus

So richtig scheint niemand zu verstehen, was genau ihre Partei eigentlich in der Verwaltung ändern will. Können Sie es uns erklären?
Das liegt auch daran, dass die Berliner Verwaltung eben überkomplex ist. Wir brauchen in Berlin eine klare Aufteilung der Aufgaben zwischen Land und Bezirken, die mit einer klaren Zuständigkeit einhergeht. Ich sehe da etwa Handlungsbedarf bei der Gewerbeüberwachung. Die liegt zu kleinen Teilen bei der Polizei und dann bei den Bezirken, die dafür kaum Personal haben. Wir wollen das Thema komplett auf Landesebene ziehen. Dort kann man dann spezielle Einheiten für Industrie oder Restaurants schaffen. Die Frage, wo ein Spielplatz sein soll, lässt sich hingegen viel besser vor Ort im Bezirk regeln.

Was soll sich für die Bürger denn konkret verbessern?
Die Menschen treffen die Verwaltung vor allem im Bürgeramt an. Dort müssen wir die Digitalisierung vorantreiben und fordern ein Recht auf E-Mailverkehr mit dem Amt. In der Corona-Pandemie waren Ummeldungen oder Anträge für Geburtsurkunden digital und per Mail möglich. Was während der Pandemie ging, muss auch danach gehen. Die Bürger müssen per E-Mail mit den Mitarbeitenden Kontakt aufnehmen können.

Bettina Jarasch hat höheres Gehalt für Bedienstete mit dem Verweis auf die Tarifeinheit der Länder ausgeschlossen. Wie wollen sie den Beruf attraktiver machen, wenn nicht mit Geld?
Die Berlinerinnen und Berliner, die in der Verwaltung arbeiten, leisten einen Hammer-Job. Aber sie scheitern oft an den Strukturen und wir muten ihnen Arbeitsbedingungen zu, die katastrophal sind. Es braucht flexiblere Arbeitszeiten und mehr Homeoffice-Möglichkeiten. Zudem haben wir kaum Räume und gut ausgestattete Arbeitsplätze. Ich halte ein neues Berliner Verwaltungshochhaus für wichtig. Das hilft uns, wenn es Sanierungen gibt, aber auch wenn für die Verwaltung neue Aufgaben hinzukommen. Aktuell können wir erst ein neues Bürogebäude bauen, wenn wir eins zu eins nachweisen können, wofür. Davon müssen wir weg und Platz auf Vorrat schaffen.

Ein anderes zentrales Wahlkampfthema für die Grünen ist die Verkehrswende. Auch unter grünen Verkehrssenatorinnen nahm die Zahl der Autos in den vergangenen Jahren zu. Wie wollen Sie das verhindern?
Wir brauchen Pull- und Pushfaktoren. Zum ersteren gehört, den ÖPNV auszubauen, Fahrradwege sicherer zu machen, Gehwege für die Schwächsten so zu gestalten, dass ältere Menschen und Kinder dort ohne Angst unterwegs sein können. Wir müssen aber auch an die Auto-Infrastruktur ran. Wir wollen als Grüne in den nächsten zehn Jahren die Parkplätze in Berlin halbieren. Und wir dürfen den öffentlichen Raum nicht einfach nur verschenken. Im Moment kostet ein Anwohnerparkplatz 10, 20 Euro im Jahr. Das ist ein Witz. Die Deutsche Umwelthilfe fordert 360 im Jahr. Das ist glaube ich eine gute Zielgröße, zu der wir in mehreren Schritten gelangen sollten. Wenn Herrn Wegner das Auto so wichtig ist, dann sollte ihm das schon einen Euro am Tag wert sein, finde ich.         

Die CDU hat sich kürzlich selbst als neue Klimapartei bezeichnet. Man wolle liefern und nicht nur darüber reden? Sind die Vorwürfe berechtigt?
An Greenwashing versuchen sich ja sehr viele. Aber die Wahrheit ist, wenn es hart auf hart kommt, ist die CDU nicht für mehr Klimaschutz. Sie wirbt damit, sich das Autoverfahren nicht verbieten zu lassen, die A100 weiter zu bauen und will offensichtlich keine Verkehrswende in der Stadt. Die CDU will liefern, aber wenn ein Parkplatz abgeschafft wird, werden sie zum Gralshüter des Parkplatzes. Auf der anderen Seite haben wir viel vorangebracht. Wir haben europaweit den größten elektronischen Fuhrpark im ÖPNV, wir haben das erste elektronische Feuerwehrauto, nirgendwo in Deutschland gibt es mehr Mieterinnenstrom-Lösungen.

Das emotionalste Verkehrs- beziehungsweise Klimathema sind zurzeit die Proteste der Aktivisten „Letzte Generation“. Halten Sie das Vorgehen der Gruppe für in Ordnung?
Ziviler Ungehorsam ist Teil einer lebendigen Demokratie und vom Grundgesetz gedeckt. Die Frage, inwieweit diese einzelnen Aktionen gedeckt sind, müssen die Gerichten beantworten. Ich finde nicht, dass es Politikern ansteht, sich als die besseren Richter aufzuspielen. Bei der Debatte hat man das Gefühl, dass der Fortbestand der Menschheit bedroht ist, wenn man einmal kurz im Stau steht - sie ist aber bedroht, wenn wir nicht mehr Klimaschutz betreiben. Wenn die Aktionen wirklich so schlimm sind, frage ich mich, warum wir nicht einfach ihre Forderungen nach einem Tempolimit und einem 9-Euro-Ticket umsetzen? Das sind ja nicht wirklich radikale Forderungen.

Halten Sie die Klebeaktionen denn für ein geeignetes Mittel, um die Forderungen zu erreichen?
Ich finde als Politiker steht es mir nicht zu, für Aktivisten zu sprechen. Ich selbst habe auch schon Castoren blockiert, weil ich gegen die Atomkraft demonstriert habe. Und natürlich, wenn einen das immer wieder trifft, nervt ein ziviler Ungehorsam. Ob sie damit jetzt für mehr oder weniger Bereitschaft für Klimaschutz sorgen, ist eine relevante Frage, die sie sich selbst stellen müssen. Ich habe da manchmal meine Zweifel. Aber ich finde, das müssen die Aktivisten beantworten.

Bis zur Wahl sind es noch knapp fünf Wochen. Haben Sie denn Lust auf den Wahlkampf?
Keiner von uns wollte diesen Wahlkampf. Wir hätten lieber in Ruhe diese Wahlperiode genutzt, um Berlin grün und gerecht umzubauen. Für Berlin ist das ein Desaster. Aber jetzt steht diese Wahl an und ich glaube, das beste was passieren kann, ist eine grüne Regierende Bürgermeisterin Bettina Jarasch.

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