zum Hauptinhalt
22.06.2019, Berlin: Till Lindemann, Frontsänger von Rammstein, tritt beim Konzert im Olympiastadion auf (Archivbild).

© dpa/Christoph Soeder

„Sexueller Missbrauch“ als zulässiger Begriff?: Till Lindemann zieht Unterlassungsantrag gegen Campact zurück

Der „Rammstein“-Sänger wollte bestimmte Formulierungen in einer Petition gegen Berlin-Konzerte gerichtlich verbieten lassen. Lindemanns Anwälte erwirken weitere Verfügung gegen Tagesschau.de.

Die zahlreichen Vorwürfe gegen Till Lindemann beschäftigen seit Wochen neben Medien auch Gerichte, da der „Rammstein“-Sänger die Kanzlei Schertz Bergmann gegen Teile der Verdachtsberichterstattung vorgehen lässt. Lindemann und seine Anwälte konnten dabei mehrere Erfolge verbuchen. Im Fall einer im Juni auf der Plattform „Campact“ veröffentlichten Petition sieht es hingegen nach einer Niederlage aus.

„Die Anwaltskanzlei Schertz Bergmann, die Rammstein-Sänger Till Lindemann vertritt, hat ihren Unterlassungsantrag gegen Campact zurückgenommen“, teilte die Kampagnenplattform am Mittwochmorgen mit. In ihrer Unterlassungserklärung hatte die Kanzlei Campact dazu angehalten, zentrale Formulierungen in der Petition „Keine Bühne für Rammstein“ gegen Konzerte der Band in Berlin zu streichen.

„Mit großer Freude blicken wir auf den Ausgang des Verfahrens“, erklärte dazu Felix Kolb als Geschäftsführender Campact-Vorstand: „Till Lindemanns Kanzlei, Schertz Bergmann, hat ihren Verfügungsantrag gegen unsere WeAct-Petition zurückgenommen. Das Landgericht hatte den Parteien zuvor den Hinweis erteilt, dass man das Rekrutierungssystem als ,sexuellen Missbrauch’ bezeichnen darf. Der Rückzug der Kanzlei kommt damit einem Eingeständnis einer Niederlage gleich“, sagte Kolb weiter. „NDR“ und die „Süddeutsche Zeitung“ hatte zuerst darüber berichtet, dass Lindemanns Anwalt Simon Bergmann einen Unterlassungsantrag gegen Campact zurückgezogen habe.

Till Lindemanns Medienanwalt Simon Bergmann bestätigte am Mittwochmittag, dass der Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung gegen Campact zurückgenommen wurde. Dies stehe vor dem Hintergrund, dass ein effektiver Rechtsschutz nicht mehr erzielbar war. „Da die Konzerte zu diesem Zeitpunkt (Einschätzung der Rechtslage durch das Landgericht Berlin, Anm.d.Red) bereits lange Zeit zurücklagen und der begehrte Rechtsschutz dadurch zu spät gekommen wäre, sprachen prozessökonomische Gründe dafür, das Verfahren nicht weiter zu betreiben“, so Anwalt Bergmann. In der Sache werde aber dabei geblieben, dass die Begründung des Aufrufs rechtswidrig sei.

In der Petition, die zum jetzigen Zeitpunkt auf 77.935 Unterschriften kommt, wurde die Berliner Politik zur Absage der „Rammstein“-Konzerte im Juli aufgefordert. Zur Begründung heißt es unter anderem: „Der Rammstein-Sänger Till Lindemann soll junge Frauen bei Konzerten reihenweise und systematisch sexuell missbraucht haben“. 

„Sexueller Missbrauch“ als zulässige Meinungsäußerung

Entscheidend scheint der Begriff „sexueller Missbrauch“ zu sein, dessen Verwendung das Gericht offenbar für zulässig hält. „NDR“ und „Süddeutsche Zeitung“ zitieren aus einem Schreiben des Gerichts vom 27. Juli, wonach der Begriff „sexueller Missbrauch“ vor dem Hintergrund der „unstreitigen sexuellen Kontakte des Antragstellers im Zusammenhang mit seinen Konzerten“ als zulässige Meinungsäußerung gewertet werde. Von Till Lindemann und seinen Anwälten wird nicht bestritten, dass Lindemann im Rahmen seiner Konzerte viele sexuelle Kontakte mit jungen Frauen hatte. Die potenziellen Sexualpartnerinnen wurden Lindemann dabei organisiert zugeführt, wie die Berichterstattung offenlegte.

Den Berichten zufolge habe das Landgericht Berlin außerdem argumentiert, dass „sexueller Missbrauch“ keinem konkreten Straftatbestand entspreche. Demnach sei „die Bezeichnung als ‚Täter‘ eines sexuellen Missbrauchs nicht mit der Behauptung gleichzusetzen, der Antragsteller sei strafrechtlich verurteilt oder müsse sich auch nur gegen strafrechtliche Vorwürfe verteidigen.“

In Diskussionen über die Vorwürfe gegen Till Lindemann wird gerade von manchen „Rammstein“-Fans immer wieder darauf verwiesen, dass der Sänger bisher nicht juristisch verurteilt wurde.

Medienrechtliches Kräftemessen

Die Causa des „Rammstein“-Sängers Till Lindemann wird derweil mehr und mehr zum medienrechtlichen Kräftemesse. Der Mediendienst Turi meldete am Mittwochmorgen, dass der „Spiegel“ eine „sofortige Beschwerde“ gegen eine Entscheidung des Landgerichts Hamburg einlegen werde. Einem Sprecher des Magazinverlages zufolge geht es um den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen eine Pressemitteilung von Schertz Bergmann, die vom Gericht zurückgewiesen wurde. Der „Spiegel“ begründet seinen Widerspruch damit, dass die Kanzlei in der Mitteilung verschweige, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig sei.

Laut „Spiegel“ hat die Kanzlei Schertz Bergmann „nach Abmahnung bereits freiwillig klargestellt“, nicht mehr von „falschen Tatsachenbehauptungen“ in einem „Spiegel“-Artikel zum Rammstein-Sänger Till Lindemann zu sprechen: „Unseres Erachtens besteht aber dennoch ein Unterlassungsanspruch“, sagte ein Sprecher des Magazins. Das Gericht hatte dagegen argumentiert, dass nach der Klarstellung durch die Kanzlei keine Wiederholungsgefahr bestehe. Medienanwalt Christian Schertz sah in dem Vorgehen des „Spiegel“ gar „den beispiellosen Versuch, gegen uns als Rechtsanwälte vorzugehen, offenbar, um uns mundtot zu machen.“

Neue Verfügung gegen Tagesschau.de

In einer Pressemitteilung von Mittwoch teilte die Kanzlei Schertz Bergmann zudem mit, dass gegen den NDR wegen der Berichterstattung auf Tagesschau.de vom 17. Juli eine weitere Einstweilige Verfügung erwirkt wurde. Die Tagesschau habe wie die „Süddeutsche Zeitung“ über Vorgänge aus dem Jahr 1996 berichtet. Dabei sei eine Frau zitiert worden, die berichtet hatte, sie sei nackt und mit Unterleibsschmerzen in einem Hotel aufgewacht, nachdem sie den Abend zuvor mit Till Lindemann verbracht habe.

Das Landgericht Hamburg hat Schertz Bergmann zufolge dem NDR am 14. August untersagt, den Verdacht zu erwecken, „unser Mandant habe die Frau vergewaltigt bzw. sexuelle Handlungen an ihr ohne deren Einwilligung vorgenommen“. Dem Gericht zufolge fehlte es „für die Verdachtsberichterstattung an dem erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen“. Das neuerliche Verbot einer Verdachtsberichterstattung von NDR und „Süddeutscher Zeitung“ belege „die mangelhafte Recherchearbeit dieses in rechtlicher Hinsicht fragwürdigen Verbundes zwischen einem privaten Zeitungsverlag und einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt“, so die Kanzlei Schertz Bergmann.

Erfolgreiche einstweilige Verfügungen

Erst am 10. August hatte die Kanzlei Schertz Bergmann erfolgreich zwei einstweilige Verfügungen gegen „Süddeutsche Zeitung“ und „NDR“ erwirkt. Den Medien wurde verboten, den Verdacht zu erwecken, dass Lindemann an zwei Frauen sexuelle Handlungen ohne deren Zustimmung vorgenommen habe. Zuständig war das beim Thema Verdachtsberichterstattung als streng geltende Landgericht Hamburg.

Auch der Influencerin Kayla Shyx und dem „Spiegel“ waren bestimmte Aussagen bei der Verdachtsberichterstattung gegen Till Lindemann gerichtlich untersagt worden, der „Spiegel“ wehrt sich juristisch aber weiterhin dagegen.

Till Lindemann wurde von mehreren Frauen – teils anonym – vorgeworfen, er lasse systematisch junge Fans für Sex rekrutieren. Bei Aftershowpartys soll es zu sexuellen Handlungen gekommen sein. Lindemann weist die Vorwürfe gegen ihn zurück.

Seine Anwälte verweisen auf Behauptungen in sozialen Netzwerken, Frauen seien bei Konzerten „mithilfe von K.-o.-Tropfen beziehungsweise Alkohol betäubt worden, um unserem Mandanten zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an ihnen vornehmen zu können. Diese Vorwürfe sind ausnahmslos unwahr.“

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt von Amts wegen und wegen Anzeigen von nicht beteiligten Personen „wegen Tatvorwürfen aus dem Bereich der Sexualdelikte und der Abgabe von Betäubungsmitteln“.

Ergänzung: Mittlerweile wurde das im Text erwähnte Ermittlungsverfahren von der Staatsanwaltschaft mangels hinreichenden Tatverdachtes nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false