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Sexueller Übergriff.

© Foto: Jens Kalaene/picture alliance /dpa

Update

Freispruch nach sexuellem Übergriff: Zynisches Zehn-Sekunden-Urteil im Fall einer 17-Jährigen empört Italien

Einem Gericht in Rom zufolge muss eine bis zu zehn Sekunden lange Berührung nicht als sexuelle Belästigung gelten. Zuvor hatte ein Hausmeister einer Schülerin zum „Spaß“ in die Hose gegriffen.

| Update:

Ist sexuelle Belästigung anhand der Dauer einer Berührung definierbar? Diese Frage erscheint absurd. Doch in Italien wird sie nun ernsthaft diskutiert, weil ein Gericht einen Grapscher mit einer sonderbaren Begründung vom Vorwurf des sexuellen Übergriffs freigesprochen hat.

Anlass für den Gerichtstermin war ein Vorfall im April vergangenen Jahres am Rosselini-Institut, einer Filmschule in Rom. Damals zeigte eine 17-jährige Schülerin den 66-jährigen Hausmeister wegen eines sexuellen Übergriffs auf dem Weg zum Unterricht an.

Der Mann habe ungefragt und wortlos seine Hände von hinten in ihre Hose und unter ihren Slip gesteckt, sie am Po gepackt und leicht angehoben, sagte die Schülerin bei dem Gerichtstermin, von dem der „Corriere della Sera“ berichtet. Danach soll er ihr gesagt haben: „Du weißt, dass das ein Scherz war.“

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Vor Gericht räumte der Hausmeister die Berührung zwar ein, allerdings ohne seine Hände in die Hose der Schülerin gesteckt zu haben. Erneut argumentierte er damit, sich lediglich einen „Spaß“ erlaubt zu haben. Dieser sogenannte Scherz – die von ihr ungewollte Berührung durch den Mann – habe „zwischen fünf und zehn Sekunden gedauert“, erklärte die Schülerin.

Und ebenjene Zeitangabe veranlasste die Richter zu einer eigenwilligen Interpretation: Da die Berührung weniger als zehn Sekunden dauerte, handele es sich nicht um eine sexuelle Belästigung und somit auch nicht um eine Straftat. Vielmehr sei der Vorfall als ein „ungeschicktes Manöver ohne Triebhaftigkeit“ zu werten.

Obwohl sie den Angaben der Schülerin glaubten, sprachen die Richter der fünften Strafkammer den Hausmeister vom Vorwurf des sexuellen Übergriffs frei – statt ihn, wie vom Staatsanwalt gefordert, zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren zu verurteilen.

Die junge Frau reagierte entsetzt auf die Schlussfolgerung der römischen Richter, bei dem Vorfall habe es sich lediglich um einen Scherz gehandelt. „Für mich ist das kein Scherz. So sollte ein alter Mann nicht mit einem Teenager ‚scherzen‘“, sagte sie dem „Corriere della Sera“.

Protest unter den Hashtags #10secondi und #palpatabreve

Die Schülerin ist nicht die Einzige, die die Begründung als zynisch empfindet. In Sozialen Netzwerken, allen voran auf Instagram und TikTok, bekunden Tausende ihre Solidarität mit der 17-Jährigen – und verdeutlichen ihre Entrüstung über die juristische Interpretation des Vorfalls.

Unter den Hashtags #10secondi und #palpatabreve (kurzes Begrapschen) posteten sowohl Nutzerinnen als auch Nutzer verschiedene kritische und empörte Beiträge zu dem jüngsten MeToo-Vorfall in Italien.

Viele luden Videos hoch, die auf kreative Weise die Absurdität des Richterspruches verdeutlichen – und demonstrieren sollen, wie lang sich zehn Sekunden anfühlen können.

In den meisten Videos sind Personen zu sehen, die zehn Sekunden im Intimbereich berührt werden. In Verbindung mit dem begleitenden Schweigen wird dabei eine unangenehme Stimmung kreiert.

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Unter den Unterstützenden sind auch zahlreiche prominente Personen, wie die erfolgreiche italienische Influencerin Chiara Ferragni und der Schauspieler Paolo Camilli („White Lotus“).

Einen der bekanntesten Posts zu dem Thema stellte die Fotografin Camilla Pagliarosi online. Ihr Instagram-Video, in dem sie von der Seite aus von einer Hand an die Brüste gefasst wird, wurde bereits mehr als 355.000 Mal abgespielt.

Auch der Influencer Francesco Cicconetti meldete sich der BBC zufolge auf TikTok zu Wort. „Männer haben nicht das Recht, den Körper von Frauen zu berühren, nicht einmal für eine Sekunde – geschweige denn fünf oder zehn“, kritisierte er die Justiz.

Die 17-jährige Schülerin empfindet den Richterspruch als Hohn. „Ich fange an zu denken, dass es falsch war, den Institutionen zu vertrauen. Das ist keine Gerechtigkeit“, sagte sie dem „Corriere della Sera“.

Sie fühle sich demnach nun doppelt betrogen, sowohl von der Justiz als auch von ihrer Schule. „Diese Handvoll Sekunden“ seien mehr als ausreichend gewesen, die Hände des Hausmeisters auf sich spüren zu können. (cst)

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