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Ein Handwerker macht Siesta auf einer Fensterbank in Palma de Mallorca in Spanien.

© Imago/Pemax

Ein Modell für den Rest Europas?: Die Gabe des Mittagsschlafs – Spanien führt die Siesta wieder ein

Nach der bereits vierten Hitzewelle in diesem Sommer hat die spanische Regierung die Siesta wieder eingeführt – per Gesetz. Arbeitgeber müssen Beschäftigte vor großer Hitze schützen.

Spanien hat in diesen Tagen schon mit seiner vierten extremen Hitzewelle in diesem Sommer zu kämpfen. In der Hauptstadt Madrid wurden gerade Temperaturen von über 40 Grad gemessen – im Schatten. Der Asphalt glüht, die Luft flimmert, das Atmen fällt schwer. Was liegt da näher als eine Ruhepause in der Mittagszeit?

Und so hat Spaniens Regierung vor Kurzem ein „Siesta-Gesetz“ beschlossen. Der Erlass schreibt vor, dass alle Arbeitgeber, deren Beschäftigte unter freiem Himmel arbeiten, ihre Mitarbeiter bei großer Hitze schützen müssen – etwa indem für Straßen- und Bauarbeiter oder Erntehelfer während der heißesten Sonnenstunden Ausruhen angeordnet wird.

Dabei war die Siesta in Spanien schon totgesagt worden. Mit der seit Jahrzehnten anhaltenden Landflucht und der Verstädterung des Lebens befand sich das Mittagsschläfchen auf dem Rückzug. Doch seit immer größere Hitzewellen schon im Frühjahr und erst recht nun im Sommer die Menschen ins Schwitzen bringen, kommt die Ruhezeit nach dem Mittagessen wieder ins Gespräch – und zwar nicht nur in Spanien.

Wenn wir eine Siesta schlafen, verbessert sich unsere körperliche und mentale Gesundheit. Aber sie sollte nicht mehr als 30 Minuten dauern.

Empfehlung der Herzstiftung Spaniens

In vielen europäischen Ländern wird inzwischen darüber diskutiert, ob die Einführung einer Siesta im Sommer sinnvoll sein könnte, um Beschäftigte vor den steigenden Temperaturen zu schützen.

In Spanien erreichten die Temperaturen in den vergangenen Wochen bereits mehrfach örtlich 45 Grad im Schatten ­– sogar auf Mallorca. Jetzt im August werden weitere extreme Tage erwartet. Spaniens Zivilschutz warnt deshalb auf allen Kanälen: „Vermeiden Sie zur Mittagszeit die Sonne.“

Angesichts der Bullenhitze ist es selbst an den spanischen Stränden kaum noch auszuhalten. Der Sand glüht derart, dass die Fußsohlen schmerzen. Das Wasser des Mittelmeers, das nahezu 30 Grad warm ist, bringt nur wenig Abkühlung.

Mittags packen deswegen viele Urlauber ihre Sachen und machen Siesta-Pause. Die Zeiten, in denen Familien wie früher den ganzen Tag mit den Kindern am Strand verbrachten, sind im Zeitalter des Klimawandels vorbei.

Die Siesta wurde schon immer als Spaniens heimlicher Nationalsport bezeichnet – vor allem, wenn es draußen heiß wird. „Jetzt im Sommer sehnen sich viele danach, Siesta zu machen“, schreibt die Zeitung „El País“.

Spaniens Herzstiftung bestätigt, dass die mittägliche Sofapause empfehlenswert ist: „Wenn wir eine Siesta schlafen, verbessert sich unsere körperliche und mentale Gesundheit. Aber sie sollte nicht mehr als 30 Minuten dauern.“ Also kein Tief-, sondern ein Turboschlaf.

Ein Café in Spanien hat während der Mittagszeit geschlossen.
Ein Café in Spanien hat während der Mittagszeit geschlossen.

© Imago/Chromorange

Immer längere Hitzeperioden, immer höhere Temperaturen – der Klimawandel sorgt für eine Renaissance der Siesta. „Dieser Sommer ist eine gute Gelegenheit, um sich unserer alten Tradition zu erinnern“, empfiehlt ein Mediziner im spanischen Radio. Neue Arbeitszeitmodelle erleichtern dies.

Zwei Drittel aller iberischen Unternehmen erlauben inzwischen ihren Angestellten, ganz oder teilweise im Homeoffice zu arbeiten. Das vereinfacht es, sich zwischendurch kurz aufs Ohr zu legen.

Viele Firmen haben hitze- und siestafreundliche Arbeitszeiten eingeführt, bei denen die Mitarbeiter früh starten und zur spanischen Mittagszeit gegen 14 bis 15 Uhr Feierabend haben. Rund 20 Prozent der Angestellten arbeiten mit diesem Sommerrhythmus – Umfragen zeigen, dass dies die Zufriedenheit erhöht.

Manche Unternehmen wie etwa Spaniens großer Fleisch- und Wurstfabrikant El Pozo haben inzwischen „Siesta-Säle“ eingerichtet, um eine Ruhepause zu erleichtern. Ein bemerkenswerter Wandel in der Unternehmenskultur: Früher wurde die Siesta mit Faulenzerei in Verbindung gebracht. Inzwischen weiß man, dass eine kurze Schlafpause an einem langen Arbeitstag die Leistungsfähigkeit steigert.

Der spanische Siesta-Experte und Uni-Dozent Miguel Ángel Hernández spricht von einer „überraschenden Wende, die sich in den vergangenen Jahren ereignete“: Die Siesta sei im Wirtschaftsleben zum Werkzeug geworden, um die Arbeiter effizienter zu machen. Hernández hat ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Die Gabe des Mittagsschlafs.“

Da können wir von den Mittelmeerländern lernen. Vonseiten der Arbeitsmedizin kommen wir nicht drumherum, Überlegungen in Richtung Siesta zu machen.

 Christine Marty, Schweizer Arbeitsmedizinerin

Darin verteidigt er, dass die Siesta auch als angenehme Abschaltpause verstanden werden sollte, um dem täglichen Zeitdruck zu entfliehen.

Die Kunde vom Nutzen der Siesta vor allem im Sommer ist mittlerweile im deutschsprachigen Raum angekommen: Ausruhen bei hohen Temperaturen sei keine schlechte Idee, sagt Deutschlands Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der Wiener Umweltmediziner Hans-Peter Hutter meint: Bei Hitze sollte man zwischen 12 und 16 Uhr nicht arbeiten.

Und die Schweizer Medizinerin Christine Marty erklärt: „Da können wir von den Mittelmeerländern lernen. Vonseiten der Arbeitsmedizin kommen wir nicht drumherum, Überlegungen in Richtung Siesta zu machen.“

Tritt die Siesta, die zum Symbol für den lockeren Lebensstil der Spanier wurde, nun den Siegeszug in Europa an? Anzeichen dafür gibt es inzwischen in einer Zeit, in der die Erderwärmung zu einer der größten Herausforderungen wurde. Den Klimawandel werde man mit der Siesta zwar nicht aufhalten können, kommentierte die spanische Journalistin Helena Rosana: „Aber sie wird uns immerhin helfen, den Temperaturanstieg besser zu ertragen.“

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