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Charlie (Lea Drinda) fühlt sich weder als Frau noch als Mann – und entdeckt den Begriff nicht-binär.

©  ZDF/Philip Jestädt

Neue Serie „Becoming Charlie“: ZDF bringt erste non-binäre Hauptfigur ins deutsche Fernsehen

Die ZDF-Serie „Becoming Charlie“ erzählt von der berührenden Identitätssuche eines jungen Menschen aus Offenbach - toll gespielt von Lea Dindra.

Stress, Stress, Stress. Im Leben von Charlie (Lea Drinda) geht es gerade drunter und drüber. Ein Streit mit der Tante endet mit Gebrüll, einer Verfolgungsjagd und einer zerkratzten Motorhaube. Zu Hause wird der Strom abgestellt, und dann gibt’s auch noch Schläge von einem Typen. Die Wunde, die dabei am Ende der zweiten Episode von „Becoming Charlie“ in die linke Augenbraue der Hauptfigur gerissen wird, bleibt für den Rest der sechsteiligen ZDF-Serie sichtbar. Sie erinnert stets daran, dass hier eine verletzliche, aber ungemein zähe Person im Mittelpunkt steht.

Charlie ist Anfang 20, wohnt noch bei der Mutter in einem Offenbacher Plattenbau. Das Geld ist ständig knapp, der Pizza-Lieferjob bringt nicht viel ein, aber Charlie rackert immer weiter, hilft zum Schuldenabstottern auch noch im Mietshaus von Tante Fabia (Katja Bürkle) aus. Der größte Kampf findet allerdings in Charlies Innerem statt.

„Ich bin keine Frau“, sagt Charlie mit Tränen in den Augenn

Er scheint auf in den Rap-Texten, die abends im Bett entstehen: „Check nicht, was es ist/ Schau in den Spiegel und erkenn mich nicht.“ Womit Charlie ringt, ist die Gender-Identität. Von der Umgebung als Frau wahrgenommen, fühlt sich Charlie überhaupt nicht wohl mit dieser Rolle. Weite Klamotten verhüllen den Körper. Die riesige, orangefarbene Lieferdienstjacke, die einen leuchtenden Kontrast zum Wintergrau der Stadt bildet, ist ein perfektes Versteck.

Charlies Mutter Rowena (Bärbel Schwarz) missfällt dieser Stil. Als sie einmal versucht, ihrem Kind weibliche Kleidung aufzudrängen, sagt Charlie mit Tränen in den Augen: „Ich bin keine Frau.“ Woraufhin Rowena schreit: „Ich hab eine Tochter geboren, ob es dir passt oder nicht.“ Dass sie da falsch liegt und Geschlechtsidentität nichts ist, worüber von außen entschieden werden kann, zeigt die Serie auf einfühlsame und überzeugende Weise.

Die jeweils rund 16-minütigen Folgen nehmen das Publikum mit auf die Selbstfindungsreise eines jungen Menschen, der langsam zu verstehen beginnt, wer er ist. Hilfreiche Impulse kommen dabei von Psychologiestudentin Ronja (Sira-Anna Faal), die Charlie nach den bevorzugten Pronomen fragt und später mit dem Wort „non-binary“ bekannt macht.

[„Becoming Charlie“, ZDF-Mediathek und ZDF Neo, 24.5., ab 20.15 Uhr]

Dieser Begriff ist der Schlüssel zu Charlies Identität – und zur Serie, die zum ersten Mal überhaupt im deutschen Fernsehen einen nicht-binären Charakter ins Zentrum stellt, also eine Person, die sich weder als weiblich noch als männlich identifiziert. Denn dass Charlie sich nicht als Frau fühlt, heißt nicht, dass Mann der passende Begriff wäre. Keiner von beiden Begriffen stimmt. Einfach nur Charlie-Sein, darum geht es. Die Serie macht diesen Coming-of-Age-Prozess auch für Zuschauer*innen nachvollziehbar, die noch nie etwas von Nicht-Binarität gehört haben. Denn der Hauptfigur geht es ja genauso, sie ist auf der Suche.

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Das Drehbuch zu „Becoming Charlie“ hat mit Lion H. Lau eine Person geschrieben, die selbst nicht-binär ist. Lau sieht die Serie laut Pressematerial als „Liebesbrief an meine Gemeinschaft der bisher Unsichtbaren“. Das Ziel, eine Identifikationsfigur zu schaffen, hat Lau jedenfalls erreicht. Großen Anteil daran hat Hauptdarsteller*in Lea Drinda. Bekannt aus der Amazon-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ verkörpert Drinda Charlie in einer sofort sympathischen Mischung aus Unsicherheit und Selbstbehauptungswillen.

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„Becoming Charlie“ setzt eine Reihe von jüngeren, öffentlich-rechtlichen Produktionen mit queerer Perspektive fort. In der ZDF-Mediathek liefen kürzlich etwa die Mini-Serie „Loving her“ über eine junge lesbische Frau in Berlin und „Wir“, das von einer nach langer Zeit wiederentflammten Liebe zwischen zwei Frauen erzählt.

Die ARD zeigte gerade die zweite Staffel der Schwulen-Serie „All You Need“ und machte mit „KaDeWe“ sogar eine queere Serie zum Weihnachtsprogramm. Dass diese Bemühungen um mehr Diversität nun auch eine nicht-binäre Figur einschließen, ist eine begrüßenswerte Entwicklung, wobei „Becoming Charlie“ überdies in einem sehr diversen Umfeld spielt.

So gibt es zahlreiche Charaktere mit Migrationsgeschichte, und Tante Fabia ist mit einer Frau verheiratet. Hier scheint die Handschrift von Kerstin Polte durch, die bei den ersten drei „Becoming- Charlie“-Folgen Regie führte (Greta Benkelmann bei den restlichen) und schon „Wir“ mit einem ausgesprochen diversen Cast realisiert hatte. So sieht deutsches TV langsam ein bisschen mehr so aus wie die deutsche Realität. Zeit wird’s.

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