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Zwischen Straßenstrich und Kindergeburtstag. Christiane (Jana McKinnon, vorne), Stella (Lena Urzendowsky, l.) und ihre Freunde.

© Amazon Prime

„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ als Serie bei Amazon Prime: Dann sind wir Helden…

…für diese acht Teile. Amazon Prime versucht sich an einer Neuauflage von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“.

Ein 15-jähriges Mädchen sticht sich beim David-Bowie-Konzert in der Deutschlandhalle eine Nadel in die Vene. Im Hintergrund rufen Tausende nach dem Popstar. Musik dreht auf. Die Gefahr der Heroisierung, die sich bei der Verfilmung der Geschichte von „ Christiane F.“ auftun, ist in 40 Jahren die gleiche geblieben.

Die Tonbandprotokolle der drogenabhängigen Jugendlichen Christiane Felscherinow 1978, inszeniert fürs große Kino 1981 vom Regisseur Ulrich Edel mit viel David Bowie und nun, 2021, die achtteilige Serie von Amazon Prime Video – niemand kann sich ja ein Buch, einen Film oder eine Serie wünschen, die noch mehr Kinder zum Rauschgift und zur Prostitution treibt.

Von daher unterliegen diese über sieben Stunden Serienfernsehen um den ersten Schuss von Christiane F. herum, an denen neben dem Global Player Amazon Prime die Besten der hiesigen Branche mit Hand angelegt haben (Head-Autorin: Annette Hess; Regie: Philipp Kadelbach; Produzenten: Oliver Berben und Sophie von Uslar), besonderer Beobachtung.

Wie lässt sich aus der Geschichte, die von so vielen als 1970-und-80er-Jahre-Story mit Bowie-Musik im Ohr abgespeichert ist, die Coming-of-Age-Story einer Handvoll Jugendlicher mit zeitloser Musik und zeitlosen Orten machen, ohne an Kraft zu verlieren? („Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, Amazon Prime, acht Teile, ab 19. Februar).

Da kann man nicht mit dem Ausgang der Geschichte locken, der allseits bekannt sein dürfte. Die Frage „Wer stirbt? Wer bleibt?“ bei den jungen Junkies dräut. Da muss mehr gewollt werden. Das Autorenteam hat – mithilfe bislang unbekannter Protokollmitschnitte aus der damaligen „stern“-Recherche – die Welt der Erwachsenen in den traurigen Kosmos aus Straßenstrich und Fixerhölle um Christiane, Benno, Axel, Babsi, Michi und Stella hinein geholt. Wer schaut dabei zu, wenn diese sich kiffend, koksend und spritzend in die rauschenden Nächte Berlins stürzen, ohne Einschränkungen und Regeln?

Leider kommen die Nebenfiguren über reine Stichwortgabe und Abwehrhaltung (so wie die wollen wir nicht werden!) kaum hinaus. Allen voran Christianes F.’s Vater (Sebastian Urzendowsky ), leicht karikaturesk gezeichnet als Unlucky Loser zwischen Familien-Fürsorge, Goodwill, Dummheit und Freiheitsdrang.

Es bleiben die Fragen: Was umtreibt die sich ständig streitenden Eltern von Christiane F.? Was die Oma von Babsi in ihrer seltsam bunkerartigen Villa? Wie böse ist Tierhändler Günther, der den TeenagerInnen in seiner Wohnung Zeit und Raum für ihre Drogen-Eskapaden gibt, nicht ohne Gegengabe?

Da ist Berlin nicht mehr nur Mauerstadt, sondern liegt an den Bergen

Ein Pluspunkt dieser Serie auf jeden Fall: der Cast. Neben den arrivierten Jana McKinnon (Christiane) und Lena Urzendowsky (Stella) die neuen Talente Michelangelo Fortuzzi (Benno), Bruno Alexander (Michi), Jeremias Meyer (Axel) und Lea Drinda (Babsi) in den Rollen der berühmten Clique vom Bahnhof Zoo. Ebenso grandios: die Bilder. Regisseur Kadelbach zieht alle Register, kreiert zwischen Disco-Ekstase und Entzugsdelirien mitunter eine (gefährliche) Art Hyperrealität, korrespondierend zu den Trips der Protagonisten.

Da ist Berlin nicht mehr nur Mauerstadt, sondern liegt gleich an den Bergen. Da sehen sich die Mädchen vom Traumprinzen, dem coolen DJ aus dem „Sound“ gesehen, begehrt und entführt. Da schweben Teenies im seligen Rausch über einer tanzenden Menge. Da regnet es plötzlich mitten in Hallen. Das schneidet sich mit dem Dreh-Nachbau der 80er-Jahre-Innenhalle des historischen Bahnhof Zoos in Prag.

Und irritiert, wenn sich, bei den Jugendlichen der Kreislauf aus Anschaffen, Heroin, Entzug und Rückfall in cleanen Zeiten mit entwaffnender Naivität dem Charme von „Fünf Freunde“ oder „Frühlings Erwachen“ gegenüber steht. Das wirkt mitunter ähnlich unschlüssig wie der abrupte Wechsel von zeitgemäßem Sound (Bowie!) und moderner, fast techno-artiger Musik.

Und führt am Ende dazu, dass der Geschichte, ihren Figuren im wahrsten Sinne des Wortes Seele, Identität und Authentizität abzugehen drohen. Zu einer merkwürdigen Indifferenz gegenüber der Frage: Will man es wirklich noch wissen, ob Christiane F. der Drogensucht entflieht, wenn die abgeklärte, 16-jährige Aussteigerin später am bürgerlichen Abendbrottisch harte Sätze über Freier raushaut wie: „Ich hatte mal elf verschiedene an einem Tag. Das ist eine Fußballmannschaft“?

Vielleicht hat dieses Gefühl der Kälte, der Unentschlossenheit beim Zuschauen, das sich über die acht Folgen einstellt, dann eben doch mit dem Versuch der Macher zu tun, aus einer zeitlich und räumlich fest verorteten Geschichte etwas Zeitloses machen zu wollen. Wie sagt Oliver Berben: „Es geht darum, wie junge Menschen versuchen, den Platz in der Welt zu finden. In einer rauen und brutalen Welt.“

Dennoch: Es bleibt eine mutige, eine diskutable, eine problembewusste Produktion, immer wieder haarscharf daran vorbei, Drogen zu verherrlichen; mit zum stärksten gehörend, was an deutscher (Streaming-)Serie in jüngster Vergangenheit auf den Markt gekommen ist, ohne allerdings an die Stringenz von „Deutschland 83“ oder „Babylon Berlin“ heran zu kommen.

Sechs Jugendliche, die kompromisslos für ihren Traum von Glück und Freiheit kämpfen und dabei alle Probleme mit Eltern, Lehrern und anderen Spießern hinter sich lassen wollen, bis sie erkennen müssen, dass dieser Rausch nicht nur ihre Freundschaft zerstören, sondern sie in den Abgrund treiben kann – dafür hätte es, bei allem raffiniertem Storytelling, die düstere „Christiane F.“, die Protokolle von 1978, nicht wirklich gebraucht.

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