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Ob im Pflegeheim oder der Schule. Viele Einrichtungen profitieren von jungen Menschen, die sich freiwillig engagieren.

© IMAGO/Funke Foto Services/Oliver Mengedoht

„Vollzeit für gerade einmal 400 Euro“: Drohende Kürzungen bei Freiwilligendiensten – Demo in Berlin

Der Haushaltsentwurf der Bundesregierung sieht für die nächsten zwei Jahre bei den Freiwilligendiensten Kürzungen in Millionenhöhe vor. Gerade für junge Menschen wäre das ein großer Verlust.

Vor drei Jahren hat sich Hagen Karch für ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) an der Evangelischen Schule in Köpenick entschieden. „Das FSJ war eine unglaublich gute Möglichkeit, die Arbeit als Lehrer aus einer neuen Perspektive zu betrachten, mich auszuprobieren und festzustellen, ob es was für mich ist“, erzählt der 24-Jährige. Heute begleitet er Seminare und Workshops für FSJler. „Ich wusste schon in der Schule: Ich will später in einem sozialen Beruf arbeiten. Da war das FSJ genau das richtige für mich“, sagt er.

Bisher nutzen viele junge Menschen wie Hagen Karch die Möglichkeit, sich nach der Schule freiwillig zu engagieren und praktische Erfahrungen zu sammeln. Das könnte sich aber in Zukunft ändern: Der Entwurf des Bundeshaushalts sieht für die nächsten zwei Jahre enorme Kürzungen für das Freiwillige Soziale Jahr und den Bundesfreiwilligendienst (BFD) vor.

Deshalb veranstalten der Bildungsmarkt Unternehmensverbund und der Wohlfahrtsverband Diakonie am Mittwoch unter dem Motto „Kürzt uns nicht weg“ in Berlin-Mitte eine Demonstration gegen die geplanten Kürzungen. Der Protestzug soll um 13 Uhr am Potsdamer Platz starten und gegen 15 Uhr am Brandenburger Tor enden. Die Initiatoren fordern von der Bundesregierung, die Freiwilligendienste bedarfsgerecht auszubauen und zu stärken.

Deswegen wollen die Demonstrierenden auf ihrem Weg auch am Bundesfinanz- und am Bundesfamilienministerium vorbeiziehen. Hintergrund der Kundgebung ist der im Juli vorgelegte Haushaltsentwurf, der für die Freiwilligendienste im Jahr 2024 78 Millionen Euro weniger vorsieht. 2025 sind weitere Kürzungen in Höhe von 35 Millionen Euro vorgesehen. Das würde die Zahl der Plätze beim FSJ und BFD stark reduzieren. Jede dritte Einsatzstelle könnte bedroht sein, teilte die Diakonie am Dienstag mit.

Junge Leute arbeiten ein Jahr lang Vollzeit für gerade einmal 400 Euro im Monat.

Hagen Karch, ehemaliger FSJler

„Das ist ein Schlag ins Gesicht für Jugendliche, die sich sozial engagieren wollen und für all die Einsatzstellen, die den Dienst möglich machen“, hieß es. „Die drohenden Kürzungen betreffen die gesamte Gesellschaft, die von diesen Freiwilligendiensten profitiert.“ Schon jetzt sei die Finanzierung von Freiwilligendiensten prekär: Träger und Einrichtungen müssten Kosten übernehmen, erklärt Swantje Navasery, Teamkoordinatorin der Freiwilligendienste in der Diakonie. Mit noch weniger Geld könnten sich kleinere Einsatzstellen keine Freiwilligendienstleistenden mehr erlauben, sagt sie.

„Gerade benachteiligte junge Menschen werden unter den Einsparmaßnahmen leiden“, betont Navasery. Der Freiwilligendienst sei „eine wichtige Orientierungsmaßnahme“. Viele hätten sonst wenig Raum „zu merken, warum es wertvoll ist, mit anderen Menschen zu arbeiten“.

Hagen Karch geht morgen auch zur Demo, denn er empfindet das FSJ als große Bereicherung. So habe er gemerkt, dass ihm soziale Arbeit liegt. „Als Lehrer hat man eine sehr explizite Distanz zu Schülern. Ich will später aber noch näher mit den Menschen arbeiten und auf einzelne Bedürfnisse eingehen“, sagt er.

Hagen Karch ist FSJ-Teamer bei der Diakonie und ehemaliger FSJler in der Evangelischen Schule in Köpenick.

© Sebastian Hennig

„Ich bin über das Jahr sehr gewachsen und habe gemerkt, was mir Menschen zutrauen“, erklärt der ehemalige FSJler. Er kritisiert aber: „Junge Leute arbeiten ein Jahr lang Vollzeit für gerade einmal 400 Euro im Monat.“ Durch noch weniger Geld sinke die Qualität. „Die Chance, sich zu engagieren und auszuprobieren, fällt dann weg“, meint Karch.

Unzufrieden mit den finanziellen Verlusten ist auch Ulrich Davids, Leiter des Obdachlosen-Wohnheims Nostitzstraße in Kreuzberg. Die Sozialeinrichtung beschäftigt seit zehn Jahren BFDler. Diese seien dort ein fester Bestandteil des Teams, würden dieselben Aufgaben erledigen wie die Mitarbeiter im Wohnheim, erzählt Davids.

Ulrich Davids arbeitet seit zehn Jahren mit BDFlern zusammen.

© Sven Darmer

Bei Spaziergängen und Spielen mit den Obdachlosen sei es „immer gut, wenn sich auch noch die jungen Menschen einbringen“, sagt Davids. Er betont: „Wir profitieren unheimlich von den BFDlern, und umgekehrt ist das auch so.“ Viele würden sogar ihre Zeit im Wohnheim noch einmal verlängern und seien auch während des Studiums dort beschäftigt.

Davids hält die Demonstration vor den Ministerien für wichtig, „damit wir der Bundesregierung die Rote Karte zeigen“, sagt er. Vor allem SPD und Grüne hätten in ihren Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021 festgehalten, den Bundesfreiwilligendienst auszubauen. Seine Forderung an den Haushalt 2024: Die Kürzung fallen lassen und sogar mehr Geld für den BFD zu lockern, damit das Taschengeld für die BFDler zumindest an den Mindestlohn angeglichen werden kann.

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