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Fabian Engelsdorfer (links) und Ruben Scholl planen, produzieren und gestalten Fernsehbeiträge.

© Aleksandra Lebedowicz

Schnitt für Schnitt: Deutsche Welle erhält den Berliner Inklusionspreis

Für eine Ausbildung als Mediengestalter:in bei der Deutschen Welle ist eine Behinderung keine Hürde. Dafür sorgt auch eine Vertrauensperson.

Fesselnde Bilder zu kreieren, ist seine Spezialität. „Das hier ist ein klassisches News-Beispiel“, sagt Fabian Engelsdorfer. Der 28-jährige Cutter sitzt in einem Postproduktionsbüro der Deutschen Welle in der Voltastraße in Berlin Mitte und spielt auf seinem Computer Videos mit Tonspuren ab. „Ein Bericht über Somalia“, sagt er und lässt die Finger über eine ungewöhnlich bunte Tastatur fliegen. Die farbliche Sortierung der Buchstaben und Zeichen erleichtert den professionellen Videoschnitt, erklärt der gebürtige Niederbayer. Seine Aufgabe: Die perfekten Sequenzen des gefilmten Rohmaterials finden und zu einem Fernsehbeitrag zusammenfügen.

Im August 2022 schloss Fabian Engelsdorfer die Ausbildung zum Mediengestalter für Bild und Ton bei der Deutschen Welle ab. Zuvor studierte er Japanisch und Englisch in Hamburg – und wollte eigentlich zum Film. „Die Ausbildung war ein Kompromiss. Mediengestaltung ist ein technischer Beruf, wir lernen hier alle Grundlagen: Kamera, Licht, Ton und Schnitt, die man später auf andere Bereiche übertragen kann“, sagt er.

Die Ausbilder nehmen sich Zeit für uns.

Ruben Scholl, Auszubildender bei der DW

In seinem Job als Cutter sind Kreativität, ein gutes Gespür für Timing und jede Menge Klicks nötig. Schneiden, entfernen, einfügen: Oft muss es schnell gehen, etwa wenn der Beitrag für die nächste News-Show innerhalb einer Stunde gebraucht wird. Alles kein Problem für Engelsdorfer: „Ich bin sehr gering eingeschränkt im Alltag“, sagt er. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn sein linker Unterarm ist seit Geburt fehlgebildet. Dennoch kommt er ganz ohne Hilfsmittel klar und konnte bereits während der Ausbildung in allen Bereichen arbeiten. „Auch wenn es ein bisschen schwieriger für mich war, zum Beispiel eine Kamera bei Live-Aufnahmen zu bedienen und gleichzeitig Fokus und Blende zu benutzen“, sagt er.

Eine Behinderung ist kein Hindernis

Zum Glück gibt es bei der Deutschen Welle Kolleg:innen, die diese Aufgaben gern übernehmen. Ruben Scholl etwa. Der 21-Jährige absolviert gerade die gleiche Ausbildung wie Engelsdorfer, ist momentan im zweiten Lehrjahr und möchte Kameramann werden. Seine nicht sichtbare, psychische Behinderung ist dabei kein Hindernis.

Den Wunsch, bei einem größeren Sender einzusteigen, hatte der gebürtige Berliner bereits mit 17. Später bewarb er sich an diversen Stellen. Die DW, ein unabhängiges, internationales Medienunternehmen, das Menschen aus der ganzen Welt beschäftigt und Inhalte in 32 Sprachen produziert,  war ein Glücksgriff. Besonders aufregend findet Scholl die Abwechslung und die vielen Möglichkeiten, die den Auszubildenden hier geboten werden.

Neben Schnitt- und Drehprojekten gehören auch Mitlaufwochen dazu, in denen Azubis Mitarbeitende im Sender in ihrem Arbeitsalltag begleiten. „Wir haben echt Glück, dass die Deutsche Welle die Ressourcen und das Personal hat, um all das zu ermöglichen. Die Ausbilder nehmen sich Zeit für uns“, sagt er.

Wenn ich der Meinung bin, dass meine schwerbehinderten Bewerber:innen fachlich mithalten, dann kriegen sie den Job.

Kerstin Nitz, Vertrauensperson für Menschen mit Behinderung

Insgesamt sechs Ausbildungsplätze für Mediengestalter:innen gibt es jedes Jahr am Berliner Standort. Dafür, dass immer ein schwerbehinderter Bewerber in diese Reihe rutscht, sorgt Kerstin Nitz. Seit einigen Jahren kümmert sie sich als Vertrauensperson um Belange von Mitarbeitenden mit Behinderung. „Mein Herz schlägt für diesen Job“, sagt Nitz, die seit 1991 bei der DW arbeitet.

Sobald sich eine schwerbehinderte Person bei der DW bewirbt, werden Nitz und ihr zweiköpfiges Team ins Boot geholt: „Unsere Expertise ist sofort gefragt.“ Sie werden zu Bewerbungsgesprächen eingeladen und nehmen am gesamten Auswahlverfahren teil. „Wenn ich der Meinung bin, dass meine schwerbehinderten Bewerber:innen fachlich mithalten, dann kriegen sie den Job“, sagt sie.

Mehr gelebte Inklusion

Das war nicht immer so. In der Personalabteilung, berichtet Nitz, habe sie lange dicke Bretter bohren müssen. „Mittlerweile lautet unser Motto: gleiche Eignung, bevorzugt eingestellt“, sagt sie. „Dafür kämpfe ich wie eine Löwin.“ Dieses Engagement wurde nun mit dem Inklusionspreis gewürdigt.

Ich glaube, eine Vertrauensperson muss selbst sehr aktiv sein, damit diese Arbeit läuft.

Kerstin Nitz, Vertrauensperson für Menschen mit Behinderung

Aktuell arbeiten 101 Menschen mit Behinderung bei der DW, das entspricht einer Quote von sechs Prozent. Im kommenden Jahr soll sie im Rahmen einer Diversity-Gesamtstrategie weiter steigen. Das Ziel: acht Prozent. Außerdem beteiligt sich das Unternehmen an zwei Initiativen für mehr gelebte Teilhabe: „Innoklusio“ und „Inklupreneur“. Dabei geht es darum, mehr Bewusstsein für Inklusion in der Belegschaft zu schaffen, aber auch um ganz praktische Dinge: Zum Beispiel prüfen externe Expert:innen, wie barrierefrei das Unternehmen ist und was man noch verbessern kann.

Am Berliner Standort betreut Kerstin Nitz 40 feste und 20 freie Mitarbeiter:innen mit Schwerbehinderung und Gleichstellung. Und die Zahl wächst stetig. Den Kolleg:innen zur Seite zu stehen und Hürden aus dem Weg zu räumen, damit sie arbeiten und am Leben teilhaben können, sei enorm wichtig.

Fabian Engelsdorfer (links) schloss seine Ausbildung im August 2022 ab. Ruben Scholl ist im zweiten Lehrjahr.

© Aleksandra Lebedowicz

„Ich weiß, wie schön es ist, wenn man gebraucht wird, statt zu Hause zu sitzen und über seine Behinderung nachzudenken“, sagt Nitz. 2012 stellte sie selbst einen Antrag auf Schwerbehinderung, weil sie mit ihren Augen stark beeinträchtigt war. „Ich glaube, eine Vertrauensperson muss selbst sehr aktiv sein, damit diese Arbeit läuft.“

Junge Leute, die zu ihr kommen, seien in der Regel besser informiert als ältere Kolleg:innen, sagt Nitz. Dennoch tauchen immer wieder mal Fragen auf. „Ich wusste zum Beispiel nicht, dass ich mehr Urlaubstage habe“, sagt Fabian Engelsdorfer.

Als er im zweiten Ausbildungsjahr aufgrund einer psychischen Erkrankung länger in der Klinik war, war Kerstin Nitz auch immer ansprechbar. „Allein zu verstehen, in welcher Situation ich vertraglich bin und wie man das Bürokratische regelt, war schon eine große Hilfe“, sagt er.

In zwei Jahren möchte Kerstin Nitz in Rente gehen. Bevor es so weit ist, würde sie ihr Fachwissen aber gern noch an Nachwuchskräfte weitergeben. „Aber da ist niemand“, sagt sie. Für die Zukunft wünscht sie sich deshalb, dass man bei der DW Tandem-Modelle schafft. Jung und Alt an einem Arbeitsplatz: Dagegen hätten auch Fabian Engelsdorfer und Ruben Scholl sicherlich nichts einzuwenden.

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