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Talep Mohammadi (53), Ömer Ayranci (39) und seine Frau Tugba (38) sowie Melanie Bayram (43) sind inzwischen ein eingespieltes Team (von links). 

© Alena Schmick

Den roten Faden gefunden: Avanta-Stickerei gewinnt den Berliner Inklusionspreis

In der Avanta-Stickerei arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung Hand in Hand. Der Chef Ömer Ayranci empfindet es als Bereicherung.

Seit seiner Geburt ist Talep Mohammadi gehörlos. Eine Kommunikation zwischen ihm und seinen Mitmenschen ist nur über die Gebärdensprache möglich. Dass der 53-Jährige trotz seiner Behinderung einer Arbeit nachgeht, verdankt er auch dem Engagement der Avanta Textilproduktion & Handel GmbH in Berlin-Tempelhof (www.stickerei-avanta.de), die in diesem Jahr mit dem Inklusionspreis für Kleinunternehmen ausgezeichnet wurde.

Avanta handelt mit Arbeits- und Werbetextilien, stellt Embleme, Fahnen und Wimpel her und bietet Textilveredelung mittels Stickerei oder Textildruck auf T-Shirts, Jacken und Berufsbekleidung, etwa für Arztpraxen, Gastronomie- und Handwerksbetriebe.

Als einer von zwei Schwerbehinderten arbeitet Mohammadi seit 2020 hier an den computergesteuerten Stickmaschinen, im Druck und in der Näherei. Zu seinen Aufgabenbereichen gehören unter anderem die Bedienung der Maschinen, das Nähen von Stoffteilen und die Vorbehandlung von Kleidung vor dem Druck. Alles, was er braucht, um seine Aufgaben zu erfüllen, lernt er direkt im Unternehmen.

 Wir haben uns ein kleines Vokabular der Gebärdensprache angeeignet. Das ist auch für uns eine Bereicherung.

Ömer Ayranci, Avanta-Chef

Für Absprachen oder Erklärungen von Arbeitsschritten müsse Mohammadi die Arbeit immer vollständig unterbrechen, sagt der Avanta-Gründer Ömer Ayranci. Gemeinsam mit seiner Frau Tugba führt er das Unternehmen. Sie leitet den Verkauf und die Kundenberatung, während er sich um die Produktion kümmert.

„Für die Begriffe, die wir regelmäßig im Alltag benötigen, um uns zu verständigen, haben wir uns ein kleines Vokabular der Gebärdensprache angeeignet. Das ist auch für uns eine Bereicherung“, sagt er. „Es ist eine vierte Sprache, die wir gelernt haben – neben Türkisch, Deutsch und Englisch.“

Melanie Bayram arbeitet seit 2021 bei Avanta. Die 43-jährige gelernte Malerin und Lackiererin ist hörbehindert und auf ein Hörgerät angewiesen. Sie ist zuständig für das Erstellen von Mustern, die Instandhaltung und Wartung von Maschinen und Anlagen oder Reparaturarbeiten an gebrauchter Arbeitskleidung.

Gutes Beispiel in Sachen Inklusion

Wie Mohammadi wird sie durch Ömer Ayranci und seine Frau angelernt. Eine anerkannte Ausbildung inklusive Unterricht in der Berufsschule ist dies nicht, am Ende winkt kein Gesellenbrief. „Im Prinzip ist es Learning by Doing unter Aufsicht“, erklärt der 39-jährige Geschäftsführer. „Der korrekte Ausbildungstitel für diesen Beruf wäre Maschinen- und Anlagenführer mit der Fachrichtung Stickerei“, sagt er. Weil er kein geeignetes Fachpersonal für sein frisch gegründetes Unternehmen finden konnte, begann Ayranci, sich für das inklusive Konzept zu interessieren.

Innerhalb Berlins sei Avanta eines der wenigen Unternehmen, in denen dieser Beruf ausgeübt werde. Mit zwei schwerbehinderten Menschen von insgesamt fünf Mitarbeiter:innen stellt das 2015 gegründete Familienunternehmen eine Ausnahme dar.

57
Prozent der 4,9 Millionen Menschen mit Behinderung zwischen 15 und 64 Jahren berufstätig oder arbeitssuchend.

Laut dem statistischen Bundesamt sind Menschen mit Behinderung am deutschen Arbeitsmarkt noch immer unterrepräsentiert. 2019 waren knapp 57 Prozent der 4,9 Millionen Menschen mit Behinderung zwischen 15 und 64 Jahren berufstätig oder suchten nach einer Tätigkeit. Die Erwerbsquote nichtbehinderter Menschen dagegen betrug knapp 82 Prozent.

Zwei von insgesamt fünf Avanta-Beschäftigten haben eine Schwerbehinderung.

© Alena Schmick

Um mehr Menschen mit Schwerbehinderung in den Arbeitsmarkt einzubinden, müssen Arbeitgeber, die über mindestens 20 Arbeitsplätze verfügen, eine bestimmte Anzahl an Schwerbehinderten einstellen. Viele Betriebe wählen die Alternative und zahlen eine Ausgleichsabgabe. Kleinunternehmen wie Avanta mit weniger als 20 Mitarbeitenden betrifft diese Regelung nicht. Doch einer Statistik der Arbeitsagentur zufolge hat die Beschäftigung schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter Menschen bei Kleinbetrieben zwischen 2015 und 2020 stark zugenommen.

„Schwerbehinderte Menschen haben gute Fähigkeiten“

Für Ömer Ayranci ist eine Behinderung kein Grund, jemanden nicht einzustellen. „Unsere beiden Mitarbeiter haben Hörschwierigkeiten. Wir haben diese Barriere überwunden, indem wir uns darauf eingelassen haben“, sagt er. „Ein inklusiver Betrieb zu sein bedeutet für mich, dass wir schwerbehinderte Menschen nicht als benachteiligt einstufen, sondern versuchen, eine Verbindung in unsere Arbeitswelt herzustellen, sodass sie, auch wenn sie behindert sind, die Arbeit ausführen können.“ Er ist sicher: „Wenn jemand schwerbehindert ist und etwas nicht kann, hat er stattdessen andere gute Fähigkeiten.“ Anderen Betrieben rät er, das inklusive Konzept einfach auszuprobieren.

Die Auszeichnung gibt uns Rückenwind und bestätigt uns darin, dass wir auf einem guten Weg sind.

Ömer Ayranci, Avanta-Chef

Diese Einstellung kommt bei seinen Angestellten offenbar gut an. Die Zusammenarbeit in der Belegschaft funktioniere wunderbar, so Ayranci. „Man braucht etwas Zeit, um sich an die Gebärdensprache zu gewöhnen. Gespräche dauern insgesamt länger, das ist ja klar. Wir sind eben etwas kleiner als andere inklusive Betriebe und haben keinen extra Betreuer oder Übersetzer.” Auch Melanie Bayram macht die Arbeit bei Avanta Spaß. „Die Zusammenarbeit mit den Kollegen gefällt mir gut“, wird sie in der Bewerbung für den Inklusionspreis zitiert. Sie arbeite gerne bei Avanta und möchte dort auch gerne bleiben.

Während der Pandemie hat Avanta auf Kurzarbeit verzichtet. Laut Ayranci hat nur die Geschäftsleitung die eigenen Gehälter reduziert. Außerdem habe er einen Kredit aufgenommen und die Räumlichkeiten verkleinert. Deshalb freut sich der Unternehmer besonders über die Anerkennung durch den Inklusionspreis. „Die Auszeichnung gibt uns Rückenwind und bestätigt uns darin, dass wir auf einem guten Weg sind“, sagt er.

Der Preis ist mit 10.000 Euro dotiert, Ömer Ayranci möchte das Geld in die Weiterentwicklung der Firma investieren. Für die Zukunft wünscht er sich, dass sein Unternehmen erhalten bleibt „und im besten Fall irgendwann von unseren zwei Kindern fortgeführt wird“, wie er sagt. Die Zeichen dafür stehen nicht schlecht. Aktuell sucht Avanta ausgebildete Kaufleute für das Büromanagement.

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