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Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU).

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Update

„Rechtssichere Grundlage schaffen“: Kai Wegner hält an Berliner Antidiskriminierungsklausel fest

Nach dem Aussetzen einer Klausel, die Fördergelder an ein Bekenntnis gegen Antisemitismus knüpft, kündigt der Senatschef Nachbessern an. „Kein Geld für Antisemiten“, erklärte Wegner.

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Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner will an der umstrittenen Antidiskriminierungsklausel, die am Montag von Kultursenator Joe Chialo (CDU) ausgesetzt wurde, festhalten. „Das Aussetzen der Antidiskriminierungsklausel ist für uns ein Auftrag. Deshalb werden wir eine rechtssichere Grundlage schaffen“, sagte Wegner am Dienstag.

„Unser Ziel ist klar: kein Geld für politische oder religiöse Extremisten, und deshalb: kein Geld für Antisemiten“, sagte Wegner weiter. Er bekräftigte außerdem seine Absicht, den Kampf gegen Antisemitismus als Staatsziel in der Berliner Verfassung zu verankern. Darüber soll in der Koalition, im Senat und im Abgeordnetenhaus beraten werden.

Orkan Özdemir, Sprecher für Antidiskriminierung der Berliner SPD-Fraktion, sagte dem Tagesspiegel zu Wegners Vorstoß: „Eine gesetzliche Regelung gegen Antisemitismus haben wir in Berlin als eines der ganz wenigen Länder bereits konkret geregelt, und zwar über das Antidiskriminierungsgesetz.“

Die SPD sei immer offen, im Kampf gegen den Antisemitismus Hand in Hand weiterzugehen, „aber es wäre besser, das mit der zuständigen Senatsverwaltung zusammen zu erarbeiten und mit etwas Konkretem herauszugehen, statt einfach nur anzukündigen. Sonst passieren solche Dinge wie bei Herrn Chialo“, sagte Özdemir.

Offener Brief mit Kritik von Kulturschaffenden

Die unerwartete Einführung der Klausel Anfang Januar war im Berliner Kulturbetrieb sowie in der Landespolitik auf viel Kritik gestoßen. Auch aus Reihen des Koalitionspartners SPD war Unmut geäußert worden – nicht zuletzt wegen fehlender Abstimmung. Mit der Klausel sollte ein offizielles Bekenntnis gegen Diskriminierung und Antisemitismus auf Basis der Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) Voraussetzung für Kulturförderung in Berlin sein. Auch Bundesregierung und Bundestag haben sich die Definition zu eigen gemacht.

In einem offenen Brief mit dem Titel „Für die Wahrung von Kunst- und Meinungsfreiheit“ hatten im Anschluss zahlreiche Kulturschaffende gegen die Einführung protestiert. Sie mahnten an, dass es eine kontroverse Debatte um die Antisemitismus-Definition der IHRA gebe, die die Senatsverwaltung nicht anerkenne. Außerdem habe es keine vorherige Debatte oder transparente Entscheidungsfindung mit betroffenen Personen und Institutionen gegeben.

Kultursenator Chialo hatte die Aussetzung am Montag mit Zweifeln an der Rechtssicherheit begründet. „Als Senator nehme ich die Argumente der Verfassungsrechtler sehr ernst“, hatte Chialo im Kulturausschuss erklärt. Das Ziel einer diskriminierungsfreien Kultur bleibe selbstverständlich dennoch bestehen.

Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) hatte am Montag erklärt, dass die vor einem Monat eingeführte Antidiskriminierungsklausel vorerst nicht zur Anwendung kommt.
Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) hatte am Montag erklärt, dass die vor einem Monat eingeführte Antidiskriminierungsklausel vorerst nicht zur Anwendung kommt.

© dpa/Jörg Carstensen

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, teilte am Dienstag mit, dass er auf eine juristische Lösung hoffe. „Ich bin Joe Chialo für seinen Vorstoß dankbar, auch wenn die Anwendung der Klausel nun vorerst ausgesetzt wird“, sagte Schuster laut einer Mitteilung. „Es bleibt zu hoffen, dass eine juristisch fundierte Lösung schnellstmöglich erarbeitet und umgesetzt wird.“ Der Kern der Klausel, menschenfeindliche oder diskriminierende Inhalte nicht staatlich zu fördern, bleibe wichtig.

Schuster äußerte Unmut über den Aufschrei um die Antisemitismus-Definition der IHRA. „Ich habe ein gewisses Unverständnis für den breiten Protest gegen die Einführung der Antidiskriminierungsklausel, sobald es dabei auch um eine klare Definition von Antisemitismus geht“, teilte Schuster mit. „Statt einer klaren Positionierung gegen Antisemitismus entbrennt eine Debatte um Definitionen und Deutungshoheiten.“

Chialo kündigte Dialogverfahren an

Oliver Reese, Intendant des Berliner Ensembles (BE), sagte, er habe kein Problem mit der Klausen. An seinem Haus gebe es seit zwei Jahren einen Verhaltenskodex. Alle Mitarbeiter seien verpflichtet, rassistisches und antisemitisches Verhalten abzulehnen. „Als Theaterleiter habe ich die volle Verantwortung für das Programm und die Inhalte“, sagte Reese dem Tagesspiegel. „Und ich habe kein Problem damit, das noch einmal zu unterschreiben und uns somit auch öffentlich klar zu positionieren, wenn die rechtlichen Voraussetzungen stimmen.“ Die Antisemitismusklausel müsse so formuliert sein, dass sie die Freiheit der Kunst nicht tangiere. „Ihre Grenzen sind durch das Strafrecht definiert“, sagte Reese.

Der Psychologe und Autor Ahmad Mansour bezeichnete Chialo als starken Partner im Kampf gegen Antisemitismus. „Dennoch bin ich von der aktuellen Entscheidung etwas enttäuscht und hoffe sehr, dass das Vorhaben nun juristisch vorbereitet wird, damit es bald gesetzlich und juristisch verankert werden kann“, sagte Mansour. „Die Anerkennung der IHRA-Definition sollte nicht nur im Bereich Kultur und Kunst verpflichtend sein, sondern auch in der Präventions- und Integrationsarbeit.“

Wie es konkret weitergeht, ist unklar. Chialo kündigte am Montag parteiübergreifende Arbeitsgruppen sowie eine Arbeitsebene zwischen den Behörden an, um „intensiv an Austauschformaten“ zu arbeiten. Außerdem stellte er ein partizipatives Dialogverfahren in Aussicht und versicherte, dass es bereits Gespräche mit Berliner Kulturschaffenden zu einem gemeinsamen Gesetz gegeben habe.

In der Landespolitik war Chialos Ankündigung auf Erleichterung gestoßen. Daniel Wesener, Sprecher für Kulturfinanzierung bei den Grünen, lobte Chialo angesichts der mangelnden Fehlerkultur in der Berufspolitik für das Moratorium: „Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Signal, dafür will ich mich bei Ihnen bedanken.“

Auch Daniela Billig, Sprecherin für Kultur der Berliner Grünen, äußerte am Dienstag Verständnis für den Schritt des Senators. „Wir begrüßen das Moratorium ebenso wie das Angebot des Senators, gemeinsame Lösungen zu finden. Das können durchaus bestimmte Vorgaben in den Förderanträgen und Zuwendungsbescheiden sein, zumal es dergleichen in vielen anderen Bereichen ja schon heute gibt“, so Billig.

Vielfach bewährt hätten sich auch verbindliche Vorgaben durch die Fördernehmer selbst, etwa in Gestalt eines Code of Conduct. Sie betonte, dass ein Kompromiss in jeden Fall umsetzbar sein müsse. „Wenn sich das Ganze am Ende nicht als Papiertiger oder politisches Placebo erweisen soll, müssen die Regelungen für alle Betroffenen ebenso rechtssicher wie praktikabel sein.“

Manuela Schmidt (Linke) zollte Chialo ebenfalls Respekt und forderte für das weitere Vorgehen die Einbeziehung der Kulturschaffenden und -institutionen.

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