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Joe Chialo (CDU) hat die umstrittene Antidiskriminierungsklausel für Berlins Kulturförderung ausgesetzt.

© imago/IPON

Antisemitismus-Klausel – handwerkliche Fehler, guter Impuls: Berlins Kultursenator Chialo ist auf dem richtigen Weg

Es gab viel Kritik an der Antisemitismusklausel für Fördergeld aus dem Berliner Kulturhaushalt. Doch der vorläufige Rückzieher von Senator Chialo ist keine Niederlage. Im Gegenteil.

Ein Kommentar von Alexander Fröhlich

Richtig gelesen: Die vor einem Monat eingeführte und höchst umstrittene Antidiskriminierungsklausel für Berlins Kulturförderung wird ausgesetzt. Kultursenator Joe Chialo (CDU) hatte von jenen, die Steuergeld bekommen, ein offizielles Bekenntnis gegen Diskriminierung und Antisemitismus gefordert.

Basis war die Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz zum Holocaustgedenken (IHRA). Sie lautet: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Nur falls es jemand vergessen hat: Diese Definition ist von der Bundesregierung und vom Deutschen Bundestag als die maßgebliche Definition von Antisemitismus bestätigt worden.

In Kultur und Politik hatte die neue Berliner Förderklausel aber nicht nur breite Kritik ausgelöst, sondern sogar Boykottaufrufe. Der Vorwurf: Jeder, der sich der Vorgabe unterwirft, unterdrücke Solidarität mit Palästina.

Zunächst ist hier Rückbesinnung gefragt: Berlin stand unter dem Eindruck antiisraelischer Proteste und Aktionen von Kultureinrichtungen, die den massenhaften Mord, das blutige Vorgehen der Terrororganisation Hamas, die Vergewaltigungen und Geiselnahmen bejubelten und rechtfertigten.

Es mag sein, dass Chialo und die CDU überzogen, ein Schnellschuss abgegeben haben im Bewusstsein deutscher Staatsräson. Heraus kam das: Ein Eingriff in die Kunst- und Meinungsfreiheit bei der Vergabe staatlicher Gelder, die dem Staat möglicherweise in dieser Form nicht zustehen könnte.

Chialo hat mögliche Fehler erkannt und reagiert. „In meinem Handeln bin ich immer der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. (…) wenn es also berechtigte Zweifel gibt, dass die Klausel in dieser Form rechtssicher ist, dann ordne ich meinen politischen Willen der Rechtsstaatlichkeit unter.“

Rot-Grün-Rot ist in verstörender Stuhlkreis-Akrobatik gescheitert

Aber: Rot-Grün-Rot hat seit 2019 versucht, eine Antidiskriminierungsklausel auszuhandeln – und ist in verstörender Stuhlkreis-Akrobatik, die alle mitnehmen will, gescheitert. Dass Grüne und Linke nun die Fehlerkultur des Kultursenators loben, ist bemerkenswert.

Denn Chialo zeigt, dass er das Grundgesetz verstanden hat. Nämlich Artikel 20, dort die Gesetzesbindung des Staates und die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Derlei frühe Einsicht in rechtliche Fallstricke wäre Berlin beim ideologiegetriebenen Festhalten an Projekten wie dem Mietendeckel oder dem Vorkaufsrecht bei Wohneigentum bis zum kolossalen Scheitern vor den höchsten Gerichten zu wünschen gewesen.

Ist Chialo also eingeknickt? Nein! Er hat bemerkt, dass er den falschen Weg beschritten hat. Kluges Regieren heißt auch, den gangbaren rechtlichen Weg zu beschreiten. Und nicht zu riskieren, dass ein Förderbescheid vom Verwaltungsgericht kassiert wird.

Hier hilft ein Blick über die Grenzen Berlins hinaus, auch wenn die hiesige Kulturszene sich gern in ihrer Berlin-Arroganz beschwipst feiert. Chialos Schritt bei der Förderrichtlinie war nicht singulär, er hat aber möglicherweise beim Feinjustieren einen Fehler gemacht. Den will er nun korrigieren.

Schauen wir nach Schleswig-Holstein: Dort ist Karin Prien als Bildungs- und Kulturministerin im Amt, eine Christdemokratin mit jüdischer Herkunft. Ihre Großväter waren Juden. Sie sagt: Die Kunstfreiheit geht sehr weit, aber es gibt Grenzen.

Bereits im Juni 2023 hatte Schleswig-Holstein seine Förderrichtline geändert. Prien sagte im Lichte der überhitzten Berliner Debatte: „Für uns ist Voraussetzung für die Zuwendung von öffentlichen Mitteln, dass sich entsprechende Antragsteller unter anderem bekennen, sich gegen den Antisemitismus gleich welcher Art zu stellen.“

So what, Berlin?

So what, Berlin? Genau das ist möglich. Nämlich mit dem Hinweis auf die Landeshaushaltsordnung des Bundeslandes. Dort heißt es wie in der Berliner Haushaltsordnung: Gefördert wird nur, „wenn das Land an der Erfüllung (…) ein erhebliches Interesse hat, das ohne die Zuwendungen nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann“.

Heißt: Der Staat darf ein Interesse formulieren, Kulturprojekte haben nicht per se Anspruch auf Fördergeld. Der Antisemitismus-Skandal bei der documenta 2022 in Kassel und das Versagen der Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) sind noch nicht lange her.

Als Voraussetzung für Staatsgeld nennt die Richtlinie aus dem Norden dies: „Es werden Projekte gefördert, die sich zu einer vielfältigen Gesellschaft bekennen und sich gegen jedwede Diskriminierung und Ausgrenzung stellen und jede Form von Antisemitismus ablehnen.“ Zack!

Vielleicht war der eine Satz in der Berliner Vorgabe zu viel: Fördergeld-Empfänger „verpflichten sich dazu, alles Notwendige zu veranlassen, um sicherzustellen, dass die gewährten Fördergelder keinen Vereinigungen zugutekommen, die als terroristisch und/oder extremistisch eingestuft werden“. Der Extremismusverdacht war wohl ein Schritt zu weit.

Und dann rufen wir kurz die „Förderungsgrundsätze der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa“ von 2020 auf, drücken am Computer Strg+F für die Suchfunktion, geben „Antisemitismus“ ein – und haben null Treffer.

Wie peinlich. Ausgerechnet bei der Kulturförderung blieb die Bundeshauptstadt, die auch von der Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte als Reichshauptstadt kulturell, touristisch und wirtschaftlich lebt, auffällig schwammig. Also dort, wo die Shoa geplant, exekutiert und verwaltet wurde.

Gut, dass in Berlin nun darüber gesprochen wird, wo es Grenzen für die Vergabe von Fördergeld geben muss. Aber bitte nicht zu lange. Nicht alles muss mit jedem im Konsens verhandelt werden. Ansonsten landet Chialo dort, wo sich die Vorgängerkoalition verzettelt hat.

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