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Joe Chialo, Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, im Oktober 2023.

© IMAGO/Funke Foto Services

Update Exklusiv

Antidiskriminierungsklausel für Kulturschaffende in Berlin: Koalitionspartner SPD kritisiert CDU-Kultursenator Chialo

Kulturschaffende müssen sich fortan gegen Rassismus und Antisemitismus bekennen. Die SPD sieht offene Fragen in Sachen Rechtssicherheit und Sanktionsmöglichkeiten.

An der von CDU-Kultursenator Joe Chialo eingeführten Antidiskriminierungsklausel gibt es nun auch Kritik vom Koalitionspartner SPD. „Es ist richtig, bei der Vergabe von Fördermitteln stärker darauf zu achten, jeglicher Form von Antisemitismus, Rassismus und Diskriminierung keinen Raum zu geben“, sagte die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Melanie Kühnemann-Grunow, dem Tagessspiegel. Ob eine Antidiskriminierungsklausel hierfür das richtige Instrument sei, müsse erörtert werden.

„Ich hätte mir gewünscht, dass der Kultursenator hier zunächst das Gespräch mit den Kultureinrichtungen sucht“, sagte die SPD-Politikerin weiter. „Zudem stellen sich bei der Klausel viele praktische Fragen, etwa nach der Rechtssicherheit oder Sanktionsmöglichkeiten.“

Chialo: „Kunst ist frei! Aber nicht regellos“

Die Kulturverwaltung hatte die Einführung der Klausel Ende vergangener Woche bekannt gegeben – nach Tagesspiegel-Informationen ohne vorher den Koalitionspartner SPD zu informieren. „Kunst ist frei! Aber nicht regellos“, heißt es in einem Statement von Chialo dazu. „So tragen die Kulturinstitutionen sowie fördernde Stellen Verantwortung dafür, dass mit öffentlichen Geldern keine rassistischen, antisemitischen, queerfeindlichen oder anderweitig ausgrenzenden Ausdrucksweisen gefördert werden.“

Zuwendungsbescheide werden demnach nur noch mit einer Antidiskriminierungsklausel verschickt, die sich im Bereich Antisemitismus auf die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) bezieht. Diese lautet: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Auch die Förderrichtlinien würden entsprechende angepasst, teilte die Kulturverwaltung mit. Zudem ist nun eine entsprechende Selbsterklärung Voraussetzung für eine Förderung.

Schlagabtausch im Ausschuss

Chialo verteidigte das Vorgehen am Montag im Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses. Die Attacke der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 stelle eine Zäsur dar, die entschiedenes Handeln verlange. Zuwendungsempfänger müssten sich „gegen jede Form von Antisemitismus stellen“ und dazu verpflichten, alles Notwendige zu veranlassen, damit die gewährten Mittel keinen Vereinen oder Gruppen zugute kämen, die extremistisch oder terroristisch sind, erklärte Chialo.

Er bezeichnete den Schritt mehrfach als Anfang und nicht das Ende eines notwendigen Dialogs, stellte aber zugleich klar, dass die Klausel nicht auf den Kulturbereich beschränkt sei. Auch Akteure aus dem Bereich der Demokratieförderung oder dem gesellschaftlichen Zusammenhalt fielen unter die Klausel, erklärte Chialo und wurde dafür - erneut wegen fehlenden Vorabsprachen - von Ex-Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) scharf kritisiert. Daniel Wesener (Grüne) erklärte, seine Fraktion habe einen fünfseitigen Fragenkatalog erarbeitet und erwarte Antworten.  

Juristen äußern Zweifel

Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler kritisieren diese neue Antidiskriminierungsklausel und haben sich unter dem Titel „Für die Wahrung von Kunst- und Meinungsfreiheit“ in einem offenen Brief dagegen ausgesprochen. Auch mehrerer Kulturvereinigungen wenden sich in einem gemeinsamen Statement gegen die Klausel.

Die aktuelle Form der neuen Antidiskriminierungsklausel verfehle die angestrebten Ziele, heißt es darin. „Sie kollidiert mit dem Grundgesetz und bringt eine mannigfaltige Rechtsunsicherheit, zweifelhafte Praktikabilität und die Gefahr der Diskriminierung mit.“ Dies resultiere vor allem aus der engen Verbindung der Klausel mit der ausschließlich für Monitoring-Zwecke formulierten IHRA-Definition von Antisemitismus.

Weiter heißt es: „Wir, der Rat für die Künste, die Koalition der Freien Szene, der bbk berlin, der LAFT Berlin, inm berlin sowie festiwelt – Netzwerk Berliner Filmfestivals, rufen daher sowohl den Berliner Senat, insbesondere Kultursenator Joe Chialo, als auch die kulturpolitischen Sprecher*innen aller Parteien dazu auf, diese Antidiskriminierungsstrategie im gemeinsamen Dialog zu überarbeiten.“

Bestätigt werden die Zweifel an der Praktikabilität der IHRA-Definition auch von Juristen. So schreibt unter anderem der Straf- und Völkerrechtler Kai Ambos in einem Beitrag für den „Verfassungsblog“: „Die IHRA-Arbeitsdefinition zur prinzipiellen Grundlage von Förderungsrichtlinien zu machen, ist rechtlich problematisch.“ Eine zu extensive Nutzung der IHRA-Arbeitsdefinition und eine Selbstzensur würde auch dort eingreifen, wo es die Bekämpfung von Antisemitismus nicht mehr erfordere.

Die CDU ist unterdessen offen, die Antidiskriminierungsklausel auch auf die Wissenschaft auszuweiten. Das sagte Adrian Grasse, wissenschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, auf Anfrage. Er begrüße die Initiative von Senator Chialo für eine Antidiskriminierungsklausel, sagte Grasse. „Aus meiner Sicht gilt auch in der Wissenschaft, dass mit Steuergeldern keine rassistischen oder antisemitischen Projekte unterstützt werden dürfen.“ Inwiefern eine solche Klausel auf den Wissenschaftsbereich übertragbar ist, würde zunächst in der Koalition diskutiert werden. Die Wissenschaftsverwaltung lehnte eine Einführung auf Anfrage ab.

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