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Dr. Gideon Joffe

© dpa/Christophe Gateau

Update

Nach heftigem Streit um Jüdische Gemeinde zu Berlin: Zentralrat kündigt Konsequenzen an – Opposition will Wahl anfechten

Trotz gerichtlichen Verbots wurde am Sonntag das Berliner Gemeindeparlament gewählt. Ausschließlich Kandidaten von Gideon Joffes Bündnis wurden bestimmt. Der Zentralrat schreitet nun ein.

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Nach der umstrittenen Wahl zu ihrem Gemeindeparlament muss die Jüdische Gemeinde zu Berlin mit Konsequenzen des Zentralrats der Juden in Deutschland rechnen. Der Zentralrat erwarte dazu eine Empfehlung seines unabhängigen Gerichts, sagte ein Sprecher am Montag. Anschließend werde das Präsidium beraten. Möglich wären eine Rüge, eine Geldstrafe oder sogar ein befristeter Ausschluss der Gemeinde aus dem Zentralrat, dessen Mitglied die Gemeinde ist. Zudem will das Oppositionsbündnis Tikkun die Wahl anfechten.

Der Streit um die Wahl der Repräsentantenversammlung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin war zuvor weiter eskaliert. Denn obwohl das Gericht beim Zentralrat der Juden in Deutschland die Wahl in einem Eilverfahren untersagt hatte, wurde sie am Sonntag durchgeführt. Die Verantwortlichen in Berlin um den Gemeindevorsitzenden Gideon Joffe sahen sich nicht an die Entscheidung gebunden. Bis zu 9.000 Mitglieder waren aufgerufen, per Briefwahl ihre Stimme abzugeben. Wie aus den online veröffentlichten Ergebnissen hervorgeht, könnte Joffe Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde bleiben. Bei der Wahl zum Gemeindeparlament sind ausschließlich Kandidaten seines Bündnisses Koach! in die Repräsentantenversammlung gewählt worden.

Das Oppositionsbündnis Tikkun will die Wahl anfechten

Noch am Sonntagabend hat der Zentralrat der Juden in Deutschland daraufhin in einer Erklärung verkündet, die Wahl nicht anerkennen zu wollen. Auch das oppositionelle Bündnis Tikkun hat angekündigt, die umstrittene Wahl anzufechten. Es vertritt die Auffassung: „Die Wahl wurde gerichtlich untersagt und ihre Durchführung ist illegal. Die Wahl ist rechts- und verfassungswidrig. Sie ist nichtig. Die abgegebenen Stimmen sind unwirksam.“ Auch sei die Wahlbeteiligung mit nur etwa 20 Prozent sehr gering gewesen. Das Bündnis appellierte auch an die Gemeindemitglieder, die geplante Anfechtung zu unterstützen.

Tikkun sammelt nun nach eigenen Angaben Unterschriften für die geplante Anfechtung. Denkbar sei diese wieder vor dem Gericht beim Zentralrat, erklärte das Bündnis auf Anfrage. Es gebe viele rechtliche Möglichkeiten, gegen die Wahl vorzugehen, und diese würden umfassend ausgeschöpft. „Des Weiteren haben wir - auch in Vorbereitung der rechtmäßigen Wahl, die voraussichtlich am 05.12.2023 gemäß der alten Wahlordnung von 2011 stattfinden soll - dazu aufgerufen, sich der Bewegung Tikkun Berlin anzuschließen.“

Gericht hatte Bedenken wegen Chancengleichheit, Diskriminierung und Willkür

Im Frühsommer hatte die Führung um Joffe (51) die Wahlordnung geändert, unter anderem sah die neue Wahlordnung eine Altersgrenze von 70 Jahren für Kandidaturen vor. Joffes Vorgängerin Lala Süsskind, 77, klagte dagegen erfolgreich in einem Eilverfahren vor dem Instanzgericht beim Zentralrat der Juden in Deutschland. Das Gericht stoppte die Wahl mit einer Unterlassungsverpflichtung, weil die im Mai erlassene neue Wahlordnung der Berliner Gemeinde rechtswidrig sei.

Eine Wahl hätte nach den Vorgaben des Gerichts nur nach der alten Wahlordnung stattfinden dürfen, die Wahl nach der neuen Ordnung wurde untersagt – etwa wegen Bedenken an der Chancengleichheit, Diskriminierung und wegen Willkür. Doch Joffe ging über das Urteil hinweg, er hält das Gericht für nicht zuständig.

Dem widerspricht der Zentralrat. Gegen den Beschluss des Gerichts „hätte die Jüdische Gemeinde zu Berlin Einspruch einlegen können, was sie aber nicht getan hat“, heißt es in der Erklärung des Zentralrats. „Entgegen der Darstellung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ist das Gericht beim Zentralrat der Juden in Deutschland zuständig. Mangels eines sonst vorgesehenen justizförmigen Verfahrens würde sonst ein rechtsfreier Raum entstehen.“

Gideon Joffe könnte noch im September vom Gemeinderat wiedergewählt werden

Ein Sprecher der Gemeinde sagte, dass die konstituierende Sitzung der Repräsentantenversammlung voraussichtlich Ende September stattfinden wird. Dabei dürfte Joffe erneut zum Vorsitzenden gewählt werden. Er erhielt bei der Wahl auch die meisten Stimmen (911). Ein Oppositionsbündnis namens Tikkun wollte ursprünglich gegen Joffe und seine Unterstützer antreten, zog aber die Kandidaturen aus Protest zurück und rief zum Boykott der Wahl auf. Auch Lala Süsskind hat bereits Klage angekündigt. Zuletzt standen noch vier Tikkun-Kandidaten zur Wahl, sie erhielten aber alle viel weniger Stimmen als Joffe und seine Unterstützer.

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin hat nach unterschiedlichen Angaben zwischen 8200 und 9000 Mitglieder und ist damit eine der größten in Deutschland. (axf/dpa)

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