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Sie wollen Berlin regieren: Am Donnerstag wurden die neuen Senatorinnen und Senatoren ernannt und vereidigt.

© AFP/ODD ANDERSEN

Nach der Zitterpartie bei der Wegner-Wahl: Ist diese Koalition noch zu retten?

Erst im dritten Wahlgang reichten die Stimmen für Kai Wegner. Was heißt das für die Koalition? Das sagen Experten zum Start von Schwarz-Rot in Berlin.

Die chaotische Wahl des Regierenden Bürgermeisters sei typisch Berlin, heißt es nun wieder im ganzen Land. Diese Koalition sei schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt, wird allenthalben geunkt. Doch was sagen Experten zum Start von Schwarz-Rot in der Hauptstadt?

Der Politikforscher Thorsten Faas hält einen längerfristigen Imageschaden für Wegner für möglich. „Er ist ein neuer Bürgermeister, für viele Bürgerinnen und Bürger ist er ein unbeschriebenes Blatt und dann als Erstes mit so einer misslungenen Wahl sichtbar zu werden, das ist schon ein Fehlstart“, sagt Faas. Dies könne sein Image nachhaltig prägen. „Insofern ist der Start missglückt, aber das heißt jetzt keineswegs, dass da nicht trotzdem eine inhaltliche Arbeit in den Fokus geraten kann.“

Dem neuen Senat räumt Faas trotzdem Chancen ein. „Man kann schon davon ausgehen, dass wenn es um das Abarbeiten des Koalitionsvertrages geht, sicher auch Auseinandersetzungen kommen werden, aber wir jetzt nicht permanent einen Senat erleben, der um die eigene Mehrheit bangen muss“, sagt der Politikwissenschaftler. „Die ist ja auch gar nicht so knapp, da kommt es nicht auf jeden und jede einzelne an.“

Die SPD steht nach Ansicht des Politologen vor einer Gratwanderung. „Das ist für die SPD keine einfache Entscheidung gewesen. Mit dem rot-grün-roten Bündnis steht ja auch weiterhin grundsätzlich eine Alternative zur Verfügung, die für viele inhaltlich näher liegt“, sagt Faas.

Wenn das Bündnis nicht funktioniere, sei es nicht nur für die frühere Regierende Bürgermeisterin und jetzige Senatorin Franziska Giffey schwierig. „Der schmale Grat, den es zu finden gilt, ist eben zu sagen: Wir wollen dieses Bündnis zum Erfolg führen, aber noch besser wäre es, wenn wir an der Spitze stünden. Da muss man schauen, wie gut das funktioniert.“

Typischer Berliner Hammer

Wolfgang Schroeder, Professor in Kassel

In einigen politischen Feldern seien im neuen Bündnis aus CDU und SPD kaum Übereinstimmungen zu erwarten, sagt Uwe Bettig, Professor für Management und Betriebswirtschaft an der Alice-Salomon-Hochschule. Er nennt als Beispiele die Bebauung des Tempelhofer Feldes und insbesondere die Verkehrspolitik.

Bettig sieht aber auch Chancen in den Bereichen, in denen Berlin schon gut aufgestellt sei und in denen er weiteres, großes Potenzial sieht. „Das gilt etwa im Bereich der Hochschulen und auch der Kultur.“ Sein Wunsch: „Es ist es an der Zeit, das bereits beschlossene Promotionsrecht für Hochschulen für Angewandte Wissenschaften so umzusetzen, dass wichtige Branchen wie z. B. das Gesundheits- und Sozialwesen gestärkt werden können.“ Auf diese Weise könne Berlin künftig Akzente setzen, um dem Fachkräftemangel nachhaltig zu begegnen.

Wolfgang Schroeder, Professor für das Politische System in der Bundesrepublik Deutschland an der Universität Kassel, bezeichnet die Wahl des Regierenden als einen „typischen Berliner Hammer“. Mehr Misstrauen säen gehe kaum noch, sagte er im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

„Das ist eine Hypothek, die so schnell nicht abgebaut werden kann. Zumal niemand in der SPD und der CDU eine Idee zu haben scheint, wie man aus diesen innerparteilichen Kulturkämpfen wieder rauskommen kann.“

Für ihn spricht einiges für eine endlose politische Achterbahnfahrt in Berlin. Schroeder ist aber nicht ohne Hoffnung, dass die neue Regierung jetzt eine Wende einläuten kann – trotz Startschwierigkeiten.

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„Menschen, die auf bezahlbare und gute Wohnungen, ökologische Verkehrslösungen, zeitgemäße Infrastruktur, bürgerfreundliche Verwaltungen warten, brauchen jetzt konkrete Antworten.“ Gefordert sei eine funktionierende Politik. „Arm und sexy war gestern.“

Das bunte Personal der neuen Regierung entspreche dem Selbstverständnis Berlins, sagt Schroeder. „Die CDU nutzt den Einzug ins Rote Rathaus, um sich zu verjüngen, will wieder attraktive Großstadtpartei werden. Die SPD hält ihren Einfluss, gleichzeitig kann ihre Regierungsbeteiligung zur Zerreißprobe werden. Eine Regierung, die etwas bewegen will, braucht auch eine konstruktive Opposition und eine kooperative Stadtgesellschaft. Berlin ist zum Gelingen verdammt.“

In einigen politischen Feldern, wie dem Tempelhofer Feld und insbesondere der Verkehrspolitik, sind kaum Übereinstimmungen zu erwarten.

Uwe Bettig, Professor für Management und Betriebswirtschaft an der Alice-Salomon-Hochschule.

Kai Wegrich ist Professor für Verwaltungswissenschaften an der Hertie School of Governance in Berlin. Der frisch ins Amt gestolperte Senat sei selbst ein Produkt des Verwaltungsversagens, sagt er.

Aufgrund der vergeigten Abgeordnetenhauswahlen 2021 hatten die Berliner erneut ihre Stimmen abgeben müssen. Und jetzt? Kommt der große Wurf? Werden Probleme wie „Zuständigkeitswirrwarr“ und „Personalmangel“ endlich an der Wurzel gepackt?

Hohe Erwartungen in technologische und strukturelle Lösungen scheitern an den Problemen des Alltags.

Kai Wegrich, Professor für Verwaltungswissenschaften an der Hertie School.

Bitte nicht, meint Wegrich. „Der Wunsch ist verständlich, doch eine umfassende Verwaltungsreform würde kurzfristig eher Beratungshäusern statt Bürgern nutzen.“ Fast alle Erfahrungen mit radikalen Verwaltungsreformen ließen sich nüchtern zusammenfassen: „Hohe Erwartungen in technologische und strukturelle Lösungen scheitern an den Problemen des Alltags. Lange bevor eine einzige Reform zu spürbaren Verbesserungen führt, müssen politische Kämpfe ausgetragen werden.“ Mit Blick auf den Wahl-Krimi zur Bestätigung von Kai Wegner lasse das nichts Gutes erahnen.

„Wenn zur Bestätigung des eigenen Bürgermeisters schon drei Wahlgänge nötig sind, wie kompliziert könnten Verhandlungen werden, sobald es um handfeste Sachthemen geht, bei denen sich politische Partner auch profilieren möchten?“

Große Verwaltungsreformen brauchen vor allem Zeit, die in einer verkürzten Legislaturperiode niemand habe, meint Wegrich. „Anstatt der Illusion des großen Wurfes zu folgen, liegt der Weg einer Verwaltungsreform im intelligenten Durchwursteln. Kein weiter so, sondern dort löschen, wo es brennt.“ (mit dpa)

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