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Das Bundesverfassungsgericht hat im Eilverfahren über eine mögliche Verschiebung der Wahl entschieden und diese abgelehnt. Allerdings haben die Richter des zweiten Senats noch nicht in der Sache entschieden, also über die Verfassungsbeschwerde selbst. 

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Update

Nach Beschluss zur Wahlwiederholung: Was die 43 Berliner Wahl-Rebellen antreibt

Trotz der geplanten Wahl-Durchführung sehen die Politiker, die sich dagegengestellt hatten, einen Teilerfolg. Doch sie rätseln über die Gründe der Entscheidung. Warum geben sie nicht auf?

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Beliebt haben sie sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde nicht gemacht: Politiker, Kandidaten, Wähler, die, so sagt einer der Beteiligten, „erschüttert“ waren über die Argumentation des Landesverfassungsgerichtes zur Wiederholungswahl in Berlin. Acht Abgeordnete sind dabei, darunter versierte Rechtspolitiker. 43 Wahl-Rebellen sind es insgesamt. Was treibt sie an?

Im Senat hatte man nach dem Urteil der Berliner Richter im November die Linie ausgerufen, dieses zu akzeptieren. In Parteizentralen und Rotem Rathaus geht nach dem Urteil im November eine Sorge um: Je länger der Streit schwelt, desto mehr Vertrauen geht kaputt. Durch die Verfassungsbeschwerde ist nun genau das passiert, was die Parteistrategen befürchtet hatten: Noch über die Wahlwiederholung hinaus wird über die alte Wahl diskutiert.

Erste Kontakte zwischen den Wahl-Rebellen entstanden nach dem Urteil im November, auf den Fluren im Parlament, in Ausschusssitzungen. Der Impuls soll von einem FDP-Politiker gekommen sein, weitere Abgeordnete schlossen sich an. Erst aus der SPD, dann auch von der Linkspartei. Die Idee: Es soll keine Partei-Initiative sein, sondern ein überparteiliches Bündnis. Auch von den Grünen machen Politiker aus den Bezirken mit. CDU-Politiker halten sich raus, die AfD wird nicht gefragt.

Die Richter wollten der Berliner Politik eins mitgeben. So funktioniert das im Rechtsstaat aber nicht.

An der Beschwerde beteiligter Politiker

Vorsichtig wurde in den Wochen nach dem Urteil die renommierte Kanzlei „Redeker Sellner Dahs“ angefragt, die hatte schon den Senat im Wahlprüfungsverfahren vertreten. Die Anwält:innen Ulrich Karpenstein und Roya Sangi hatten während der ersten Verhandlung viele Zuhörer beeindruckt, indem sie die auch von Juristen als wacklig empfundene Argumentation der Verfassungsrichter zerlegten. Die meisten Journalisten waren da schon gegangen.

Die Abgeordneten selbst treibt Unterschiedliches an: Einige halten das Urteil der Berliner Richter für überzogen, gar demokratieschädigend. Manche auch für politisch motiviert. „Die Richter wollten der Berliner Politik eins mitgeben“, sagt einer der Politiker. „So funktioniert das im Rechtsstaat aber nicht.“

Und dann ist da dieser Verdacht, der seit Monaten durch die Flure des Abgeordnetenhauses geistert: Der mächtige Vize-Präsident des Gerichts, Robert Seegmüller, ist gleichzeitig auch CDU-Mitglied und leitet den Landesarbeitskreis Christlich Demokratischer Juristinnen und Juristen Berlin. „Das Auslegen von Verfassungsrecht ist immer auch Politik“, sagt ein ehemaliger Mitarbeiter des Gerichts. Die CDU wollte diese Wahl wie niemand sonst. Nachprüfbar ist der Vorwurf aber kaum.

CDU-Generalsekretär Stefan Evers stellte die Frage, ob die Politiker vom Senat gesteuert seien, ob die Kanzlei womöglich noch mit Senatsmitteln am Verfahren arbeite. Alles sauber getrennt, sagen die Beschwerdeführer. Nachprüfen lässt sich das freilich ebenfalls nicht. Nach Tagesspiegel-Informationen kostet das Verfahren die Beteiligten eine hohe fünfstellige Summe.

Manche der Politiker stammen auch aus Bezirken, in denen kaum Wahlfehler vorkamen. Sie fragen sich, warum auch dort die Wahl wiederholt werden soll? Es gab dort keine Schlangen, keine falschen Stimmzettel, kaum zu lange Öffnungszeiten. Diese betrafen maximal zehn Prozent der Berliner Wahllokale. So ihre Argumentation.

Ja, die Wahl sei schiefgelaufen. So etwas dürfe nie wieder passieren. Das sagen auch die Beschwerdeführer. Sie plädieren in der Verfassungsbeschwerde deshalb für eine teilweise Wahlwiederholung.

Mit Verwunderung reagierten die Beschwerdeführer deshalb am Dienstag auf den ohne Begründung kommunizierten Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes, die Wiederholungswahl am 12. Februar stattfinden zu lassen. In einer Stellungnahme, die dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es: „Die Verfassungsbeschwerdeführer bedauern die Entscheidung. Wegen der bislang fehlenden Begründung könnte über die tragenden Erwägungen des Gerichts derzeit nur spekuliert werden.“

Die fehlende Begründung deute darauf hin, dass sich die Richter die Entscheidung nicht leicht gemacht hätten. „Dafür, dass das Bundesverfassungsgericht der Verfassungsbeschwerde weiterhin Gewicht beimisst, spricht auch die inzwischen erfolgte Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts zur kurzfristigen Stellungnahme in der Hauptsache bis zum 2. März 2023“, heißt es weiter.

Viele Beobachter hatten mit einer viel schnelleren Ablehnung der Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht schon rund um die Weihnachtszeit gerechnet. Laut der Rechtsprechung der letzten Jahre sahen sich die Richter in Karlsruhe gerade nicht als Kontrollinstanz der Landesverfassungsgerichte.

Nun findet eine gründliche Prüfung aber offenbar statt, inklusive der Durchsicht von Niederschriften und neuer Stellungnahmen zum Fall – auch wenn sich die Richter letztlich immer noch für unzuständig erklären könnten. Dass die Wahl noch kippt, ist kaum wahrscheinlich. Das alles, so sehen das viele der Berliner Wahl-Rebellen, gibt ihrer Sicht der Dinge aber doch ein gutes Stück recht.

Das Bundesverfassungsgericht könnte, davon gehen viele Juristen aus, ganz grundsätzliche Entscheidungen im Laufe des weiteren Verfahrens treffen. Wie muss eine Wahl ablaufen? Wie wird sie überprüft? Was für Maßstäbe gelten? Und zwar überall in Deutschland. Wenn das gelänge, sagt einer der Poliker, dann sei schon viel gewonnen. Seinen Namen soll man lieber weglassen.

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