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Raed Saleh, Landesvorsitzender der SPD Berlin und Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

© dpa/Carsten Koall

„Das Konzept der Grünen ist gescheitert“: Berliner SPD-Chef fordert Mobilitätsgipfel für die Hauptstadt

Der SPD-Landesvorsitzender und Fraktionschef Raed Saleh spricht im Interview über den neuen Koalitionspartner CDU, die Empörung der Grünen und seine Ziele für die Wahl 2026.

Herr Saleh, die Stadt ist in Aufruhr, selbst in Paris oder Amsterdam wird nach Berlin geschaut, weil der Bau von Radwegen gestoppt wurde. Haben Sie diese neue Koalition schon bereut?
Nein, bisher nicht. Wichtig ist, dass wir in der Gesellschaft eine breite Diskussion um die Mobilitätswende führen, ohne dass im Vorfeld Fakten geschaffen werden. Die polarisierte Debatte, die von der CDU sehr ungeschickt und ohne Not entfacht wurde, hilft dabei recht wenig – ebenso wenig wie die künstliche Empörung der Grünen. Es ist klar, dass es am Ende auch um eine Neuverteilung des öffentlichen Raums gehen muss. Und wir müssen Verkehrssicherheit als den höchsten gemeinsamen Wert definieren. Ich möchte, dass wir in Berlin die Anzahl der Verkehrstoten auf Null reduzieren.

Sie bezeichnen die CDU als ungeschickt. Trotzdem haben Sie die Entscheidung für diese Koalition bislang nicht angezweifelt?
Nein. In den vergangenen sechseinhalb Jahren lief auch vieles nicht perfekt, gerade bei der Mobilitätswende. Die vergangenen Jahre waren in der Verkehrsverwaltung von einem „Kopf durch die Wand“-Vorgehen geprägt. Es gab kein Gesamtkonzept für eine echte Mobilitätswende. Wir als SPD-Fraktion wollen Vorrang für den ÖPNV und unsere Einsatz- und Rettungskräfte, und wir wollen das Mobilitätsgesetz da anfassen, wo es um mehr Verkehrssicherheit geht.

Es wäre klug, wenn die Verkehrssenatorin alle Beteiligten im Rahmen eines Mobilitätsgipfels an einem Tisch zusammenbringt.

SPD-Fraktionschef Raed Saleh

Ich fordere die Verkehrsverwaltung dazu auf, einen ehrlichen Dialog mit allen Beteiligten zu führen: Land, Bezirke, Radfahrer, Autofahrer, Fußgänger, BVG, Polizei und Feuerwehr. Auch die Sichtweise von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen muss vertreten sein. Es wäre klug, wenn die Verkehrssenatorin alle Beteiligten im Rahmen eines Mobilitätsgipfels an einem Tisch zusammenbringt. Wir brauchen ein echtes, pragmatisches Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden und kein ideologisches Gegeneinander. Die Berliner haben diese Polarisierung satt.

Wissen Sie denn, warum nun fünf Radwege nicht gebaut werden? Selbst die IHK, die normalerweise nicht als Radfahrer-Lobbyorganisation bekannt ist, kritisiert, dass in der Grunewaldstraße ein sehr langer Beteiligungsprozess ignoriert wird und Fördermittel verfallen.
Dazu kann ich nichts sagen. Die Themen, die an mich gerade herangetragen werden, sind auch eher andere: Wie geht man mit den steigenden Kosten in dieser Stadt um? Viele Menschen haben Angst vor Verdrängung.

Sie haben die Koalition mit der CDU damit begründet, dass viele sozialdemokratische Inhalte möglich sind. Wie zufrieden sind Sie nun nach Vorliegen des Haushaltsplans?
Ich bin sehr zufrieden, denn der Senat hat einen Haushaltsentwurf vorgelegt, der die Themen Soziales, Integration, Demokratieförderung und Antidiskriminierung so stark gewichtet wie noch nie zuvor. Wir haben an keiner Stelle Geld gespart, sondern wir versuchen mit dem, was wir haben, das Maximale rauszuholen.

Mir war es auch sehr wichtig, dass wir bei den Bezirken nochmal nachbessern. Das ist geschehen. Die Bezirke leisten vor Ort die Arbeit, auf die es ankommt. Trotzdem gilt auch beim Haushaltsentwurf der Satz des von mir hochgeschätzten ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck: Kein Gesetz verlässt am Ende das Parlament so, wie es reingekommen ist.

In Krisenzeiten muss der Staat seine Aufgabe neu definieren und die soziale Marktwirtschaft neu gestalten.

SPD-Fraktionschef Raed Saleh

Sie sehen also Nachbesserungsbedarf?
Das ist unsere Rolle als Parlament. Haushaltsrecht ist am Ende immer Königsrecht des Parlaments, von den Regierungsfraktionen, aber auch von der Opposition, die man an so einem Prozess beteiligen muss.

Welche Schwerpunkte wollen Sie als SPD-Fraktion setzen?
Wir warten da die Diskussion unserer Fachsprecherinnen und Fachsprecher ab. Ich will, dass die Breite der Fraktion mitgenommen wird. Zum Beispiel setzt sich unser Sprecher für Soziales und Inklusion für neue Inklusionsspielplätze in Berlin ein. Ein Projekt, dass ich wirklich gut finde und sehr unterstütze.

Berlins Finanzsenator Stefan Evers, der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (beide CDU) sowie Franziska Giffey (SPD), Senatorin für Wirtschaft, bei der Vorstellung des Haushaltsentwurfs.

© dpa/Paul Zinken

Wie erklärt sich der harte Ton in den vergangenen Wochen? Die Liga der freien Wohlfahrtspflege sprach mit Blick auf die Haushaltspläne von einer sozialen, wirtschaftlichen und politischen „Bankrotterklärung“. Es gab diesen Brandbrief aus Neukölln. War das alles nur heiße Luft?
Es ist ein Stück weit normal, dass man zu Beginn der Haushaltsberatungen lauter wird. Natürlich melden die Häuser und auch die Bezirke viele Wünsche an, die sie gerne umsetzen würden. Aber es gibt einen Koalitionsvertrag mit festen Verabredungen, und diese haben Vorrang. Aus vorheriger Kritik ist inzwischen doch vielfach Lob geworden. Viele Verbände loben jetzt den Entwurf des Senats.

Der Haushalt fällt jetzt mit 40 Milliarden üppig aus – dafür werden aber auch Berlins Rücklagen komplett aufgebraucht. Wird der Sparzwang dadurch nicht nur auf den nächsten Haushalt verlagert?
Mein Grundsatz ist: In der Krise spart man nicht! Ich bin stolz, dass die Koalition diesem Grundsatz gefolgt ist. Und wissen Sie, warum ich immer sage, in der Krise spart man nicht? Weil man am Ende aus der Krise herauswachsen muss. Und das kriegen wir doch nicht hin mit einem Sparhaushalt, mit sozialem Kahlschlag.

Vielmehr müssen wir doch die soziale Infrastruktur stärken, die Wirtschaft weiter ankurbeln und die Stadt für die Menschen bezahlbar halten. Dass der Haushalt so aussieht, wie er jetzt aussieht, ist doch kein Zufall: Dieser Haushalt trägt eine sozialdemokratische Handschrift, die Berlin guttut.

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Für den Klimaschutz haben Sie ein zehn Milliarden schweres Sondervermögen angekündigt. Was kann man damit überhaupt machen? In bestehende Projekte kann man das Geld offenbar nicht stecken. Kann es sein, dass Sie am Ende ganz viel Geld haben, aber nicht so richtig das machen können, was Sie eigentlich wollen?
Die große Herausforderung ist, vor 2045 klimaneutral zu sein. Das sind wir nicht nur kommenden Generationen, sondern auch unserer eigenen Generation schuldig. Die zehn Milliarden sind ein großer Beitrag. Der größte Klimakiller sind unzureichend sanierte Gebäude, das wollen wir angehen. Auch bei der eigenen ÖPNV-Flotte, so ist mein Stand, können wir das Geld verwenden. Gerade in Krisenzeiten muss der Staat seine Aufgabe neu definieren und die soziale Marktwirtschaft neu gestalten.

Sie meinen, der Staat braucht in so einer Zeit der dauerhaften Krise deutlich mehr Eingriffsrechte?
Nichts anderes meine ich und nichts anderes tun wir in den letzten Jahren. Wenn wir den Wohlstand bewahren und den sozialen Frieden sichern wollen, dann muss der Staat stärker eingreifen. Wir wollen den Rahmen setzen, damit nicht der Markt alles regelt. Das, was wir tun können, um zu regulieren, haben wir getan. Deshalb will ich jetzt die Öffnungsklausel für einen Mietendeckel im Bund.

Mit der FDP wird das kaum machbar sein, oder?
Es ist vieles mit der FDP machbar gewesen, was man vorher nicht gedacht hätte. Ich fordere, dass man diese Diskussion im Bund intensiv führt.

Wenn die Öffnungsklausel kommen sollte – würden Sie dann wieder einen Mietendeckel einführen wollen?
Eine Expertenkommission hat festgestellt, dass Vergesellschaftung grundsätzlich möglich ist – es sei denn, es gibt ein milderes Mittel, wie etwa eine Begrenzung der Mieten. Und ich glaube, allein vor diesem Hintergrund hätte auch unser Koalitionspartner Interesse an so einer Begrenzung.

Aber zeigt gerade das Beispiel Mieten nicht auch, dass alles, was bisher gemacht wurde, nicht ausreicht?
Deshalb machen wir zusätzlich etwas nie Dagewesenes! Wir haben uns in dieser Koalition auf ein Vergesellschaftungsrahmengesetz geeinigt, das jetzt erarbeitet wird. Wir müssen stärker lenken, die Kluft zwischen Arm und Reich darf nicht noch größer werden – das ist die Aufgabe des Staates in der sozialen Marktwirtschaft. Wenn Leute Angst haben um ihre Existenz, macht das etwas mit den Menschen.

Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie das Rahmengesetz nur als Drohung nutzen, um andere Interessenten am Wärme- und Gasnetz zu vertreiben. Können Sie zusichern, dass Sie es ernst meinen?
Das ist eine Sache, die wir in der Koalition fest verabredet haben. Ich meine das genauso ernst wie unsere Aussage damals, dass wir den Mindestlohn einführen, die Liegenschaftspolitik ändern und in die Rekommunalisierung einsteigen. Auch da haben wir geliefert.

Das heißt, Sie würden auch, sobald Sie das Rahmengesetz haben, in bestimmten Bereichen auf Umsetzungsgesetze hinarbeiten?
Bei so einem einmaligen Vorhaben gilt aber Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Ich habe die Hoffnung, dass vorher auf Bundesebene eine entsprechende Öffnungsklausel für einen Mietendeckel eingeführt wird. Im Grundgesetz stehen viele kluge Sachen: Der Schutz auf Eigentum ist dort verankert, da steht aber auch, dass Eigentum verpflichtet. Am Ende ist die Frage: Was hilft den Menschen mehr?

Sind (noch) beide Landesvorsitzende der SPD Berlin: Franziska Giffey und Raed Saleh.

© dpa/Jörg Carstensen

Spüren Sie derzeit, dass das Vertrauen in die Politik schwindet?
Ja, na klar. Umso wichtiger ist, dass Politik Vorbild ist. Wir müssen vom Ende her denken – Stichwort Heizungsgesetz – und nicht ein halbes Jahr auf offener Bühne streiten wie die Ampel-Koalition im Bund. Das schadet dem Ansehen von Politik, das raubt weiteres Vertrauen darin, dass wir die Sorgen der Menschen verstehen und etwas dagegen tun. Deshalb müssen alle demokratischen politischen Parteien auch mit Anstand übereinander sprechen.

Können Sie nachvollziehen, warum der Parteichef Ihres Koalitionspartners CDU, Friedrich Merz, dann in Zeiten einer starken AfD die Grünen als Hauptgegner ausmacht?
Herr Merz macht es sich wie so oft zu einfach. Der Hauptgegner aller demokratischen Parteien sind die Verführer und Demokratiefeinde von rechts außen. Alle anderen sind politische Mitbewerber. Wir dürfen uns unter Demokraten nicht voneinander entsolidarisieren – das ist das Wichtigste. Ich hoffe, das versteht auch Friedrich Merz.

Was macht die AfD aus Ihrer Sicht so stark?
Die Rechtspopulisten haben gerade jeden Tag in Zeitungen und im Fernsehen kostenlose Werbung. Dort steht dann: Die extremen Rechten jetzt so stark wie die Grünen, die Demokratiefeinde haben ersten Bürgermeister, die Rechtspopulisten jetzt so stark wie die SPD. Neulich hatte die „Bild“-Zeitung sogar extra die CSU abgerechnet, um schreiben zu können: AfD jetzt so stark wie die CDU! Damit wird die Dynamik der Demokratiefeinde gepusht, und es entsteht der Eindruck: Wir haben Angst vor denen.

Aber wir haben keine Angst und das brauchen wir auch nicht. Wir müssen die Rechtspopulisten inhaltlich stellen, denn ihre Verführung besteht unter anderem darin, auf komplexe Fragestellungen denkbar einfache Antworten zu geben, zum Beispiel, indem sie die Notwendigkeit des Klimaschutzes einfach leugnen. Dafür braucht es gute Politik, die den Menschen Existenzängste nimmt. Das tun wir hier in Berlin. Wissen Sie, ich habe eine These...

Immer gern!
Viele Menschen haben Angst vor Veränderungen. Dabei ist Deutschland immer dann stärker geworden, wenn es sich geöffnet hat. Auch die Geflüchteten aus Syrien und jetzt aus der Ukraine haben unser Land stärker gemacht. So viele von den Menschen gehören mittlerweile selbstverständlich zu uns, sind Lehrerinnen, Ärztinnen, Polizisten, Bauarbeiter. Wir brauchen sie alle dringend.

Sie sind seit 2020 Parteivorsitzender, gemeinsam mit Franziska Giffey. Auf dem letzten Parteitag wurde beschlossen, dass maximal einer von Ihnen bleiben darf. Lesen Sie das auch als Kritik an sich oder nur an Franziska Giffey?
Ich bin in der SPD, seit ich 17 Jahre alt bin, sie ist meine politische Heimat. Ich kann mit Kritik umgehen und bin fast jeden Tag in den Parteigliederungen unterwegs. Wir diskutieren gerade viel – vor allem über unsere Perspektive für die Wahl 2026. Wir wollen dann schließlich das Rote Rathaus zurückerobern. Das wollen wir tun, indem wir gemeinsam die große Jahrhundertaufgabe bewältigen: den Klimaschutz.

Jetzt klingen Sie wie ein Grüner!
Im Gegenteil. Das Konzept der Grünen ist gescheitert. Die Zeit der permanenten Sozialisierung der Kosten, also der Abwälzung auf Mieterinnen und Mieter und Verbraucher, und des erhobenen Zeigefingers muss vorbei sein. Wir wollen zeigen, dass wir Klimaschutz auch sozial gestalten können. Andererseits gilt auch: Wer Ökologie nicht im Blick hat, hat das Soziale nicht im Blick. Denn die folgenden Generationen werden die Kosten nicht mehr stemmen können.

Das klingt nach einem Parteiprogramm für die nächsten Jahre. Sie wollen also im nächsten Jahr – dann mit jemandem anders an der Seite – auf jeden Fall als Parteivorsitzender weitermachen?
Alles zu seiner Zeit. Ich bin gewählt bis Mitte 2024 und mache die Aufgaben, die ich mache, sehr gern und voller Leidenschaft. Ich begleite als Landes- und Fraktionschef meiner Partei den Senat konstruktiv und kritisch. Die SPD hat einen Plan für diese Stadt.

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