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Wenn etwas nicht klappt in Berlin, erklärt man im Senat, der aus dem Roten Rathaus geführt wird, gern die Verwaltungen der Bezirke für zuständig. Und umgekehrt.

© dpa/Soeren Stache

Verbände fordern Reform: „In Berlin verwaltet man die Verwaltungsmodernisierung“

Die Spitzen von vier Verbänden rufen die Politik auf, Parteiinteressen und Gewohnheiten hintanzustellen und die Verwaltung endlich zu modernisieren. Ein Gastbeitrag.

Berlin ist das einzige Bundesland mit einem eigenen Wikipedia-Artikel zur Verwaltungsreform. Natürlich hat Berlin viele weitere Besonderheiten und auf die meisten können wir sehr stolz sein. Hauptstadt der Kreativen und der Start-ups, Hauptstadt der Vielfalt und der kurzen Wege. Eine leistungsfähige Verwaltung allerdings ist der Schlüssel zum vollen Potenzial der Stadt und hier stand sich Berlin bisher selbst im Weg.

Zwar muss schon lange keine Berliner Partei mehr vom Reformbedarf überzeugt werden, doch die gemeinsamen Verwaltungsprobleme auch gemeinsam anzupacken – dafür reichte es nie so ganz. Berlin steht nun erneut an der Schwelle einer wichtigen Verwaltungsreform. Zu wichtig, um sie scheitern zu lassen. Mit Sorge betrachten wir daher das politische Debattenklima zwischen allen demokratischen Parteien, wie es sich derzeit im Zuge der anstehenden Berliner Koalitionsverhandlungen herausbildet. Über geeignete Instrumente lässt sich diskutieren.

Doch wir erwarten von allen Beteiligten – ob Landes- oder Bezirksebene, ob Regierung oder Opposition – Parteiinteressen, enttäuschte Erwartungen und etablierte Gewohnheiten hintanzustellen und sich aktiv und konstruktiv in den Prozess der Verwaltungsmodernisierung einzubringen.

Das Problem gibt es nicht nur in Berlin, aber...

Sind wir die einzigen in Deutschland mit Problemen in der öffentlichen Verwaltung? Speist sich der durchwachsene Ruf der deutschen Bürokratie einzig aus der Hauptstadt? Die Antwort ist ein klares Nein. Ob Digitalisierung, Windkraftausbau, Wohnungs- oder Schulneubau – die gesamtdeutschen Verwaltungsmühlen mahlen meist langsam, dreifach und papiergestützt auf ihren eigenen Entwicklungszielen herum.

Was andernorts seltene Extreme sind, ist hier oft eher Alltag.

Die Autoren

Das sollte allerdings nicht zu der Annahme verleiten, in Berlin sei es auch nicht schlimmer als woanders. Probleme mag es zwar überall geben, aber in der Hauptstadt haben sie sich über viele Jahre zu erheblichen Dysfunktionalitäten ausgewachsen, die inzwischen kaum jemand mehr überblickt. Baustellenanordnungen, die anderthalb Jahre dauern. Berliner Gerichte, die mit 30 Jahre alter Software arbeiten. 25 Behörden, die an der Reparatur einer Rolltreppe beteiligt sind. Was andernorts seltene Extreme sind, ist hier oft eher Alltag.

Anstelle grundlegender Reformen führt die Politik oft Verweise auf die historische Einzigartigkeit Berlins ins Feld. Wahlweise müssen dafür Rückblicke auf die Entstehung Groß-Berlins 1920 oder auf die Herausforderungen der Wiedervereinigung seit 1990 herhalten. So einschneidend die historischen Entwicklungsbrüche waren, wir dürfen uns auf der Suche nach Lösungen nicht hinter der Geschichte verstecken. Und ebenso wenig hinter der vermeintlichen politischen Unzuständigkeit.

Verantwortlich sind angeblich immer die anderen

Genau hier liegt ein fatales Alleinstellungsmerkmal der Berliner Verwaltungsmodernisierung: Verantwortlich sind immer die anderen. Das Phänomen ist inzwischen so verfestigt, dass Begriffe wie „organisierte Unzuständigkeit“ oder „Behörden-Pingpong“ zu Berlin gehören wie Späti und Berghain. Dieser Zustand ist schon deswegen absurd, da das Verwaltungsthema Bestandteil sämtlicher Berliner Koalitionsverträge war – unabhängig von der jeweiligen Parteienkonstellation.

Parallel genießt das Thema stets hohe Priorität in jeder Opposition sowie in den Bezirken. Doch was in der Theorie wie ein geschlossener Reformwille wirkt, fällt in der Praxis immer wieder energischen Blockadereflexen und Beharrungskräften zum Opfer. Gute Ansätze versanden, falsche Strukturen bleiben erhalten, Reformen werden zu Reförmchen. Gemeinsam verwaltet man die Verwaltungsmodernisierung.

Das Wahldesaster aus dem Jahr 2021 ist weder der Ursprung der Missstände, noch hat es die Probleme erstmalig ans Licht gebracht. Es diente jedoch als laute und flächendeckende Erinnerung an die Berliner Reformbedarfe und verlieh dem Thema die stärkste politische Aufmerksamkeit seit Jahren.

Für alle politischen Akteure gilt es jetzt, dieses wichtige Zeitfenster zu nutzen und sich aktiv und konstruktiv in einen mutigen Entwurf zur Reform der Berliner Verwaltung einzubringen, der auch notwendige Änderungen der Landesverfassung einschließt. Die Liste der zu bewältigenden Herausforderungen ist lang. An erster Stelle steht die Klärung des Verhältnisses zwischen Senat und Bezirken. Zudem müssen bürger- und unternehmensnahe Leistungen effizienter und digitaler abgewickelt werden.

Darüber hinaus braucht die Verwaltung eine personell und technisch angemessene Ausstattung sowie eine Führungskultur, die auf Innovationsmut, Beschäftigtenqualifizierung und Leistungsbereitschaft setzt. Als Standort für eine internationale, wettbewerbsfähige und nachhaltige Industrie, als Hauptstadt und als dynamisch wachsende Metropole mit 3,7 Millionen Einwohnern braucht Berlin endlich die seiner Größe entsprechenden Kapazitäten. „Sparen bis es quietscht“ hat endgültig ausgedient.

Verhältnis von Senat und Bezirken muss geklärt werden

Zahlreiche Maßnahmenvorschläge liegen bereits auf dem Tisch, ihre gemeinsame Weiterentwicklung und vor allem Umsetzung müssen nun partei- und ebenenübergreifend im Fokus stehen. Der Klärung der Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Nur wenn die Aufgabenverteilung von Grund auf sauber geklärt wird, können alle anderen Maßnahmen ihre volle Wirkung entfalten.

Nur wenn die Aufgabenverteilung von Grund auf sauber geklärt wird, können alle anderen Maßnahmen ihre volle Wirkung entfalten.

Die Autoren

Forderungen nach einer Abschaffung der Bezirke sollten nicht die Debatte bestimmen. Vielmehr muss es darum gehen, klare und transparente Verantwortungsstrukturen zu schaffen und beide Berliner Verwaltungsebenen so zu stärken, dass sie ihre klar abgegrenzten Aufgaben angemessen finanziell, personell und strukturell umsetzen können. Dabei muss jedoch unter anderem durch die Wiedereinführung der Fachaufsicht sichergestellt werden, dass sich die Aufgabenwahrnehmung in den Bezirken nach den Belangen des Ganzen zu richten hat.

Viele Bundesländer und Kommunen gehen bereits neue Wege in der Optimierung von Verwaltungsprozessen und ermöglichen etwa die terminfreie dezentrale Abholung von Dokumenten außerhalb der Bürgerämter. Auch Berlin sollte offen sein für neue Formen serviceorientierter Verwaltung, die gegebenenfalls externe Ressourcen integrieren und sowohl Mitarbeitende als auch Kunden entlasten können.

Berlin hat sich seine Anziehungskraft als Ort zum Leben und zum Arbeiten durch die Krisenzeiten hindurch bewahrt. Um die besonderen Vorteile der Stadt auch zukünftig zu erhalten und auszubauen, brauchen wir eine moderne, bürgernahe und leistungsfähige öffentliche Verwaltung, die zu einem Aushängeschild der Stadt wird. Dazu muss jetzt der Weg einer gemeinsamen und entschlossenen Reform beschritten werden.

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