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Der Neubau des Bürgeramts im Fontane-Haus in Berlin-Reinickendorf.

© imago/Jürgen Ritter

Reform dringend nötig: Das sind die größten Baustellen der Berliner Verwaltung

Mit 130.000 Beschäftigten ist die Verwaltung der größte Arbeitgeber der Hauptstadt. Ihr Zustand ist prekär, die Politik sucht nach Lösungen.

Seit etwas mehr als einem Jahr ist Christopher Förster Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Und trotz der anstehenden Wahlwiederholung hat der 36-Jährige seine Visionen noch nicht verloren. „Warum kann die Verwaltung die Bürger nicht einfach anschreiben, wenn ein Ausweis abzulaufen droht?“, fragt der Digitalisierungsexperte der CDU-Fraktion.

Er fordert eine Verwaltung, die auf die Bürger zukommt – und nicht umgekehrt. „Wenn Dokumente ablaufen, hat der Staat seine Bürger darüber zu informieren und die Verlängerung kurzfristig anzubieten“, erklärt Förster und zeigt Verständnis für die Frustration über die vor allem in den Bürgerämtern der Stadt herrschenden Zustände.

Sie sind es, die Försters Forderung wie kindliche Fantasterei erscheinen lassen. Tatsächlich ist die Situation nämlich eine andere: Wer einen Termin beim Bürgeramt vereinbaren will, findet selbst für einfachste Dienstleistungen berlinweit keinen Termin innerhalb von sechs Wochen.

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Vom 14-Tage-Ziel für Berlins Bürgerämter fehlt jede Spur

Zwar werden nach Angabe des Chief Digital Officers der Stadt, Ralf Kleindiek (SPD), aktuell rund 60 Prozent aller Anfragenden, die innerhalb von 14 Tagen einen Termin wünschen, versorgt. Nicht selten nehmen Berliner:innen aber weite Wege auf sich oder erwerben – auch solche Fälle werden berichtet – einen Bürgeramtstermin auf dem Internetportal Ebay.

Vom sogenannten 14-Tage-Ziel, das die Bürgerämter vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie erreicht hatten und dessen erneute Realisierung im zurückliegenden Wahlkampf unter anderem die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) kurzfristig zugesagt hatte, fehlt jede Spur. Stattdessen argumentieren die zuständige Innenverwaltung und auch die Regierende damit, dass 40 Prozent aller Anfragenden keinen Termin innerhalb von 14 Tagen benötigten und dementsprechend kein Problem mit längeren Wartezeiten hätten.

Wirkliche Besserung ist kurzfristig nicht in Sicht. Zwar wurde zuletzt Personal aufgebaut, ebenfalls ist die Inbetriebnahme eines 20 Stellen umfassenden Springerpools laut Innenverwaltung „für das Jahr 2023 vorgesehen“. Zeitgleich aber fielen zuletzt stadtweit Bürgeramtsstandorte – und damit Termine – aus, um die Bezirkswahlämter bei der Vorbereitung der Wahlwiederholung zu unterstützen.

Hinzu kommt eine nach dem zwischenzeitlichen Einbruch während der Corona-Pandemie deutlich ansteigende Terminnachfrage. Knapp zwei Millionen Termine und damit im Monatsdurchschnitt 35.000 mehr als im Vorjahr wurden allein 2022 gebucht. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel hielt Kleindiek an dem Ziel fest, das 14-Tage-Ziel zumindest für 60 Prozent der Terminanfragen bis Ende 2023 erfüllen zu können.  

Verwaltungsreform seit langem fällig

Dass die zweigliedrige Verwaltung aus Bezirken und Senatsverwaltungen dringend einer Reform bedarf, ist keine neue Erkenntnis – im Gegenteil. Seit vielen Jahren schon lähmt das Nebeneinander der verschiedenen Ebenen, die oft unklare Aufgaben- und noch viel mehr Verantwortungsverteilung den Fortschritt der Stadt, führt das zum feststehenden Begriff gewordene Ping-Pong zwischen den verschiedenen Behörden und Ebenen zu teilweise absurden Verfahrensdauern.

Die Verwaltung in der Stadt ist so dysfunktional, dass sie nicht einmal eine Wahl organisieren konnte.

Sebastian Czaja, FDP-Fraktionschef

Von „organisierter Verantwortungslosigkeit“ sprach Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch im Dezember. Und FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja hat die skurrilsten Folgen in einem am Donnerstag verschickten Rundbrief anschaulich zusammengefasst: So dauert die Beantragung einer Baugenehmigung nicht selten länger als der anschließende Bau des Hauses, an der Sanierung einer Schultoilette seien vier Verwaltungen beteiligt. „Die Verwaltung in der Stadt ist so dysfunktional, dass sie nicht einmal eine Wahl organisieren konnte“, schreibt Czaja. Wer wollte ihm da ernsthaft widersprechen?

Vorschläge, wie dem Problem beizukommen wäre, gibt es viele – erst recht seit Bekanntgabe des Termins für die Wahlwiederholung. Die SPD will die Bezirke unter eine deutlich strengere Aufsicht stellen und ihnen Aufgaben abnehmen. Genehmigungen für Bürger und Unternehmen sollen künftig automatisch in Kraft treten, sollte die Verwaltung zu langsam arbeiten.

In der kommenden Woche sollen die Eckpunkte der Reform durch den auch hier zuständigen Staatssekretär Ralf Kleindiek in den Senat eingebracht werden. Schwer vorstellbar, dass insbesondere die Grünen, die eine stärkere Konzentration der Senatsverwaltungen auf die gesamtstädtischen Steuerungsaufgaben fordern, dem Paket des Koalitionspartners kurz vor der Wahl ihre Zustimmung erteilen. Auch die Linke, die auf eine kritische Aufgabenanalyse, mehr Personal und eine Gesetzesänderung unterhalb der Verfassungsschwelle setzt, dürfte skeptisch bleiben.

Am weitreichendsten – und dementsprechend umstrittensten – ist der Reformvorschlag der FDP. Geht es nach den Liberalen, werden die Bezirksämter aufgelöst und die Stadt künftig mit einer einstufigen Verwaltung gemanagt. Sämtliche Mitarbeiter:innen der Bezirksverwaltungen sollen in die Landesbehörden übernommen und ein Landespersonalamt gegründet werden.

Eine der größten Baustellen der Berliner Verwaltung bleibt von der Debatte über eine dringend benötigte Reform jedoch gänzlich unberührt: Bis zum Jahr 2030 wird ein Drittel aller Beschäftigten in den Ruhestand gehen. Zwar finden aktuell mehr Neueinstellungen statt als Beschäftigte ausscheiden. Den jährlichen Bedarf zu decken, wird angesichts von demografischer Entwicklung, Fachkräftemangel und finanzieller Überlegenheit anderer Arbeitgeber aber schwer. Schon jetzt sind Tausende Stellen in der Berliner Landesverwaltung unbesetzt.

Die Digitalisierung vorantreiben

Helfen könnte die konsequente Digitalisierung von Verwaltungsvorgängen. Bürgerservice, Effizienz, Zufriedenheit von Mitarbeiter:innen und Bürger:innen und nicht zuletzt Schnelligkeit würden zunehmen, ließen sich mehr Verwaltungsvorgänge nicht nur im Bürgerservice digital erledigen, sind sich die Fachleute einig.

Während jedoch die allermeisten der knapp 130.000 Beschäftigten privat ein Smartphone benutzen, arbeiten sie im Büro mit Stempel, Drucker, Scanner oder sogar Faxgeräten. Arbeitsplätze sind schlecht ausgestattet, die Option auf Arbeit im Homeoffice scheitert an fehlenden technischen Voraussetzungen. Selbst digitale Antragsprozesse führen im Bearbeitungsverlauf zu Papier- und Aktenmassen, wie jüngst etwa beim Antrag auf Wohngeld öffentlich wurde.

Beim Blick auf die auch aus seiner Sicht ausbaufähige Bilanz verweist Tobias Schulze, digitalisierungspolitischer Sprecher der Linksfraktion, auf den enormen Nachholbedarf der Berliner Verwaltung: „Die Versäumnisse von 20 Jahren räumt man nicht in fünf Jahren auf“, erklärt Schulze und verweist auf den Zustand der Dienstgebäude, der in vielen Fällen nicht die Voraussetzung für eine Zentralisierung der IT beim dafür vorgesehenen IT-Dienstleistungszentrum (ITDZ) erfüllt.

„Die Migration ist oft mit umfangreichen Bautätigkeiten verbunden, die in einer langen Warteschleife abzuarbeiten ist“, erklärt Schulze und kritisiert unter anderem die Verzögerung bei der Einführung der elektronischen Akte.

Hinzu kommt: Digitalisierung kostet Geld. Würde es gelingen, die IT sämtlicher Behörden in Berlin beim ITDZ zu zentralisieren, lägen die Kosten dafür bei rund 100 Millionen Euro, schätzt Kleindiek. Mit dem Finanzierungsbedarf soll sich der Senat in einer seiner kommenden Sitzung befassen.

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