zum Hauptinhalt
Wael Zefzef (links) ist gehörlos und Auszubildender in der Bäckerei „Backpfeife“ in Friedrichshain. Inhaber Mattis Hapering (rechts) leitet ihn an.

© Louise Otterbein

Inklusion in der Backstube: Friedrichshainer Bäcker bildet gehörlosen Geflüchteten aus

Mattis Hapering, Inhaber der „Backpfeife“ in Berlin-Friedrichshain, leitet einen besonderen Azubi an – und könnte so zum Vorbild werden für seine Branche.

Von Louise Otterbein

Wael Zefzef krümmt seine rechte Hand und bewegt sie kurz vor dem Mund hin und her. Es ist das Zeichen für Sauerteig – zumindest zwischen ihm und Mattis Hapering, seinem Ausbilder. „Eigentlich bedeutet es nur sauer, aber wir haben es an unseren Alltag angepasst“, sagt Harpering und lacht.

Wael Zefzef ist Auszubildender in der Bäckerei Backpfeife am Berliner Holzmarkt – und er ist gehörlos. Die Bäckerei war vorher kein inklusiver Betrieb, das hat sich erst durch einen Zufall ergeben. „Ich habe zuerst bei der Post und dann hier auf dem Gelände als Reinigungskraft gearbeitet“, sagt der Auszubildende in Gebärdensprache. Angestellt war er bei der OMA, der gemeinnützigen Gesellschaft mbH zur Förderung der Inklusion, die ihren Sitz auf dem Gelände am Holzmarkt hat.

Der 28-Jährige nimmt einen Schluck von seiner Limo. Hier im Café neben der Bäckerei sitzt er oft in seiner Pause. Mattis Harpering interpretiert und übersetzt während des Gesprächs.

Wael Zefzef (links) ist gehörlos und Auszubildender in der Bäckerei „Backpfeife“ in Friedrichshain. Inhaber Mattis Hapering (rechts) leitet ihn an.

© Louise Otterbein

„So haben wir uns kennengelernt, wir haben uns super verstanden“, sagt Wael Zefzef. Obwohl Bäckereibesitzer Harpering zu diesem Zeitpunkt noch keine Gebärdensprache (DGS) konnte, haben sie sofort gemerkt, dass sie auf einer Wellenlänge sind. „Waels damalige Betreuerin hat mich gefragt, ob er hier eine Ausbildung machen kann. Ich habe sofort zugesagt“, sagt er. Harpering und das Team mochten Wael und hatten Lust, mit ihm zusammenzuarbeiten. Das allein habe für die Entscheidung gereicht – seine Gehörlosigkeit habe keine Rolle gespielt.

Damit ist die Bäckerei Backpfeife einer von vielen Betrieben in Berlin, die inklusiv ausbilden. 2021 gab es in Berlin 388 schwerbehinderte oder gleichgestellte Menschen in Ausbildung. Das geht aus einer Statistik der Bundesagentur für Arbeit hervor. Zahlen aus dem Jahr 2022 liegen derzeit nicht vor. Unterstützung bekommen die Betriebe und ihre Auszubildenden von verschiedenen Stellen, unter anderem der Agentur für Arbeit oder dem Integrationsamt. So bekommt Wael Zefzef beispielsweise Dolmetscher:innen zur Seite gestellt, die ihn zur Berufsschule begleiten.

Wael Zefzef (28) ist gehörlos und seit ca 1,5 Jahren Auszubildender in der Bäckerei Backpfeife, Holzmarktstraße 25, 10243 Berlin (Friedrichshain). Vor acht Jahren kam er aus Tunesien nach Deutschland, lernte die deutsche Gebärdensprache und arbeitete seitdem in verschiedenen Jobs. Dann hat er Mattis Harpering von der Bäckerei kennen gelernt und eine Weile später seine Ausbildung dort begonnen. Quelle: Louise Otterbein

© Louise Otterbein

Jetzt backt der 28-Jährige hier schon seit anderthalb Jahren Brot, Brötchen und anderes Gebäck – fast täglich. „Mein Tag beginnt immer gegen 6 Uhr“, sagt er, als er die Backstube betritt. Es ist warm und die Luft in dem kleinen Raum ist feucht. Angrenzend befindet sich ein kleiner Verkaufsbereich. „Morgens sind wir zu zweit in der Bäckerei.“ Zefzef erzählt, wie sie in der Früh die Aufgaben verteilen: Einer macht den Teig, der andere ist am Ofen. So sorgen sie dafür, dass genug frische Brote für den Verkauf da sind, wenn die ersten Kunden kommen.

Gegen 12 oder 13 Uhr sind sie dann fertig. „Mit Wael geht es immer schneller als sonst, er hat so ein Tempo drauf“, sagt Harpering und versucht für seinen Auszubildenden zu übersetzen, was er gesagt hat – zunächst erfolglos. „Ich war gerade zwei Wochen im Urlaub, da habe ich mal wieder fast alles vergessen.“

Die Kommunikation in der Bäckerei sei am Anfang noch holprig gewesen. Denn sowohl der Bäckereiinhaber als auch das Team haben erst durch Wael die DGS gelernt. Die ersten Worte seien Wasser, Weizen und Kaffee gewesen. Ansonsten haben sie sich viel über Pantomime verständigt. Doch mit der Zeit habe die ganze Belegschaft die Sprache gelernt. Wael Zefzef zeigt auf eine Tafel, die an einer Glasscheibe lehnt: Darauf ist das Fingeralphabet abgebildet. Es ist für jeden gut sichtbar, der die Backstube betritt.

Es ist nicht lange her, da musste er die deutsche Gebärdensprache selbst noch lernen. Vor acht Jahren kam er aus Tunesien nach Deutschland. Dort habe er viel Diskriminierung und Gewalt erfahren. Für einige Zeit sei er auf eine Schule für Menschen mit Behinderungen gegangen. Rhythmisch klopft er mit der Kante einer Hand auf die Fingerknöchel der anderen. „Zu meiner Zeit gab es da noch die Bestrafung mit dem Stock auf die Finger, wenn etwas nicht verstanden wurde.“

Nachhilfe: Eine Tafel in der Backstube erinner Meister und Lehrling an die Handzeichen der Gebärdensprache.

© Louise Otterbein

In Deutschland habe er dann die DGS gelernt. Zu schreiben falle ihm oft noch schwer. Das sei vor allem in der Berufsschule ein großes Problem. Die Klasse sei sehr groß und Wael der einzige Gehörlose in der Gruppe. „Es gibt viele Lehrer, die nicht dafür sensibilisiert sind“, erzählt Mattis. Dadurch habe Wael immer wieder Schwierigkeiten. „Es geht alles sehr schnell, viele Informationen“, sagt der Auszubildende. Da komme er trotz seiner Dolmetscherin manchmal nicht mit. „Also besonders inklusiv ist das nicht“, sagt Mattis.

Im Gegensatz dazu laufe in der praktischen Ausbildung alles toll, sie haben viel Unterstützung. Auch hier komme ab und zu ein Dolmetscher vorbei. Der einzige Stressfaktor ist und bleibt die Berufsschule. Wael Zefzef wünscht sich kleinere Klassen und auch, dass Lehrer besser sensibilisiert würden.

Doch beschweren will der 28-Jährige sich eigentlich nicht. Er steht vor der Bäckerei und hält das Gesicht in die Sonne. Erst vor ein paar Wochen hat er seine Zwischenprüfung bestanden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false