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Ein Brandanschlag hat die Bücherbox nahe dem Mahnmal Gleis 17 am Bahnhof Grunewald zerstört.

© Privat / Michael Richert

Update

63-Jähriger gesteht Anschlagsserie: Berlins Bürgermeister Evers fordert Solidarität gegen Angriffe auf queere Einrichtungen

Innerhalb weniger Tage kommt es zu einer Serie antisemitischer und queerfeindlicher Anschläge. Ein Mann hat die Taten gestanden. Wegen früherer Taten kam er ins Visier der Ermittler.

| Update:

Der Täter der jüngsten antisemitischen und queerfeindlichen Anschläge zwischen dem 12. und 14. August in Berlin ist gefasst. Die Polizei hat am Dienstag einen 63-jährigen Mann in seiner Wohnung in Baumschulenweg, Bezirk Treptow-Köpenick, festgenommen. Er hat die Taten gestanden.

Der 63-Jährige sollte noch am selben Tag einem Haftrichter vorgeführt werden. Die genaue Tatmotivation des Deutschen sei noch nicht klar, sagte der Sprecher der Staatsanwaltschaft.

Der Verdächtige geriet wegen früherer Taten ins Visier der Ermittler. Dabei habe es sich vor allem um Sachbeschädigungen von Wahlplakaten gehandelt, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Im vergangenen Mai sei wegen sieben solcher Fälle Anklage erhoben worden. In zwei Fällen davon sei es auch um Volksverhetzung gegangen. Homofeindlicher Hass sei auch erkennbar gewesen. Weil er jeweils seinen Namen auf den Plakaten hinterließ, führten die Ermittlungen in den aktuellen Fällen zu dem 63-Jährigen.

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Haftbefehl nach Brandanschlag in Neukölln

Haftbefehl gegen ihn sei dann nach einem Brandanschlag auf einen Verein lesbischer Frauen in Neukölln am frühen Montagmorgen erlassen worden, wie der Sprecher sagte. Bei dem Anschlag wurde versucht, die Räume von Rad und Tat (RuT), einer Initiative lesbischer Frauen an der Schillerpromenade in Neukölln, in Brand zu setzen. Dabei wurde die Schaufensterscheibe zerstört. An der Scheibe klebte ein Zettel mit einem Bibelzitat, das sich gegen Homosexuelle richtete.

Zettel mit diesem Zitat waren in der Nacht zum Samstag auch an dem Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Tiergarten angebracht gewesen. Bei dem Anschlag wurde ein brennender Gegenstand auf das Denkmal an der Ebertstraße Ecke Hannah-Arendt-Straße in Mitte geworfen. Das Denkmal ist videoüberwacht.

Am Samstag hatte der Mann gegen 4.40 Uhr einen Brandanschlag auf die „Bücherboxx“ am Gleis 17 am Bahnhof Grunewald verübt, dem Gleis, auf dem der Transport von Juden in die Vernichtungslager der Nazis begonnen hat. Die Box brannte dabei völlig aus.

Bei den verbrannten Büchern handelt es sich größtenteils um Literatur über die Verfolgung, Deportation und Ermordung fast aller Berliner Juden in der Nazizeit. In den frühen Morgenstunden wurden Einsatzkräfte wegen eines Brandes in einer Bücherbox nach Grunewald alarmiert. Zwei Zeugen hatten beobachtet, wie ein Mann eine Kiste in die ehemalige Telefonzelle gestellt und diese angezündet hatte.

Bürgermeister Evers: Auf homofeindliche Angriffe konsequent reagieren

Berlins Finanzsenator und Bürgermeister Stefan Evers (CDU) forderte Solidarität gegen Angriffe und Anschläge auf schwule und lesbische Einrichtungen. „Es ist wichtig, ein Zeichen zu setzen und Geschlossenheit zu zeigen“, sagte Evers am Mittwoch beim Besuch des angegriffenen lesbischen Vereins RuT. 

Es sei ein besonderer Grad von Eskalation erreicht, zuletzt habe es viele Anschläge besonders auf derartige Einrichtungen gegeben. Evers sagte, die Politik müsse parteiübergreifend deutlich machen, dass die Täter im gesellschaftlichen Abseits stünden. „Wir müssen schnell, konsequent und mit aller Härte des Rechtsstaats reagieren.“ Und zugleich müsse man möglichst früh und umfassend durch Aufklärung und Präsenz an Schulen und anderen Einrichtungen dafür sorgen, dass gemeinsame Werte auch gelebt und verstanden würden.

Vertreterinnen des Vereins bedankten sich für die Unterstützung von Polizei, Senat, Nachbarn und Kiez. Berlins Queer-Beauftragter Alfonso Pantisano teilte mit: „Mit Blick auf diese besorgniserregende Anschlagsserie und den damit verkündeten Ermittlungserfolg macht sich in der queeren Community Dankbarkeit und Erleichterung breit.“

Hass und Hetze seien Einfallstore für Angst und Gewalt. Bedrohungen und Anschläge wollten einschüchtern. Berlin werde dieser kriminellen Energie mit der notwendigen Abwehr begegnen. „Die Zivilgesellschaft ist aber auch unmissverständlich aufgefordert, sich auf die Seite der bedrohten und angegriffenen Minderheiten zu stellen.“ 

Klaus Lederer, queerpolitischer Sprecher der Linken im Abgeordnetenhaus, sagte: „Je mehr homo- und transfeindliche, sexistische, antisemitische und rassistische Gewalt verübt wird, desto stärkere Allianzen und größere Unterstützung brauchen wir für alle, die sich dem entgegenstemmen.“

Ein Sprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich bundesweit gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus engagiert, sagte dem Tagesspiegel: „Wir sind natürlich froh, dass der Täter gefasst wurde. Aber jetzt muss komplett ausermittelt werden, ob es sich bloß um einen Einzeltäter handelt oder ob mehrere Personen beteiligt waren.“ 

Ein Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands Berlin (LSVD) teilte mit: „Wir sind froh, dass der mutmaßliche Täter schnell gefasst werden konnte. Die Polizei Berlin hat offensichtlich schnell und effektiv gehandelt. Das ist ein erster Moment der Erleichterung. Als Konsequenz der Anschläge des vergangenen Wochenendes werden auch wir die Schutzkonzepte für unsere Standorte noch einmal evaluieren.“ 

Das Netzwerk Frauen in Neukölln organisiert zusammen mit dem Neuköllner Bezirksamt und dem Neuköllner Netzwerk gegen Queerfeindlichkeit am Montag, 21. August, um 18 Uhr vor den Räumen des RuT in der Schillerpromenade 1, 12049 Berlin, eine Kundgebung „für ein buntes Neukölln“.

Hinweise auf einen Serientäter

Es hatte bereits Hinweise gegeben, dass es sich um einen Serientäter handelt. Nach Recherchen der „Taz“ gab es an der „Bücherboxx“ einen Zettel mit wirrem, antisemitischem Inhalt, der mit „Kassandros“ unterschrieben war. Bei dem Anschlag auf das Denkmal gab es ein kleineres Plakat mit der Unterschrift „Kassandros Berolinensis“.

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Auf dem Plakat stand auch ein abgewandeltes Bibelzitat, bei dem es sich um das 3. Buch Mose, Kapitel 20,13 handelt. In dem Zitat heißt es: „Wenn jemand beim Knaben schläft wie beim Weibe, die haben einen Greuel getan und sollen beide des Todes sterben“.

Möglicherweise handelt es sich um mindestens acht Taten

Möglicherweise umfasst die Serie nicht bloß die jüngsten drei Taten, sondern nach Recherchen der „Taz“ mindestens acht. Denn rassistische, antisemitische und homophobe Taten gibt es in Berlin seit Anfang Januar, alle mit ähnlichem Muster. Immer seien nach „Taz“-Recherchen die Zettel, die einen antisemitischen Inhalt gehabt hätten und auf denen von einem Tag X geraunt worden sei, mit „Kassandros“ und teilweise dem Zusatz „Berolinensis“ unterschrieben gewesen.

Ein erster Zettel dieser Art sei am 3. Januar am Museum Treptow-Köpenick aufgetaucht. Darauf sei „Okkupanten“ geraten worden, „zu verschwinden“. Zudem sei vor dem Dritten Weltkrieg gewarnt worden.

Wirre Verschwörungserzählungen und Bibelzitate

Zwei Tage nach dem Anschlag auf die Bücherbox seien Schreiben dieser Art an einem linken Infoladen in Neukölln aufgetaucht. Auch dort seien wirre Verschwörungserzählungen und Bibelzitate notiert worden, darunter eine aus dem 3. Buch Mose, Kapitel 20. Kurz danach habe es den Anschlag auf RuT gegeben.

Auch bei einer homophoben Tat Anfang Januar in Johannisthal sei das Bibelzitat aufgetaucht. Damals hatte der Täter die Scheiben von zwei Bushaltestellen eingeschlagen, um dahinter Plakate gegen homofeindlichen Hatespeech zu zerstören. In diesem Fall tauchte auch der Begriff „Kassandros“ auf, ebenso wie auf dem Schild einer Kita in Treptow-Köpenick. Auf dem Schild wird die antirassistische Haltung der Kita beschrieben.

Im August wurden auch an zwei Moscheen Plakate mit antimuslimischen Nachrichten und der Unterschrift „Kassandos Berlin“ angebracht. (mit dpa)

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