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Vier Frauen laufen am 16.10.2012 an einer Statue des Schriftstellers Heinrich Heine auf dem Gelände der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) vorbei. Ein Gutachter der Universität wirft Bundesbildungsministerin Schavan (CDU) Medienberichten zufolge vor, in ihrer vor mehr als 30 Jahre erstellten Doktorarbeit bewusst getäuscht zu haben.

© Foto: Marius Becker / picture alliance / dpa

„Zerschlagen und ironisch gebrochen“: Der entlaufene Romantiker

Engagierter Dichter, Analytiker seiner Zeit: Vor 225 Jahren, am 13. Dezember 1797, wurde Heinrich Heine geboren.

Von Sören Maahs

Heinrich Heine hieß nicht Heinrich: Auf seinem Geburtsschein stand Harry, auf dem Grabstein Henri. Er war geboren als der „erste Mann des Jahrhunderts“, wie er sich gern nannte, doch sein Geburtsdatum liegt früher – am wahrscheinlichsten gilt der 13. Dezember 1797. Er war Jude, aber getauft. Sein letzter Brief ist die Bitte, „25 Victor Emanuel Eisenbahnaktien“ zu kaufen. Er badete das Kind von Karl Marx, den er „ein Schermesser“ nannte. Er galt als der revolutionäre Dichter Deutschlands – und wurde weder ausgewiesen noch verhaftet.

Heine bewegte die Gemüter, weil auch er sich bewegen ließ von den Ereignissen seiner Zeit: „Was die Zeit fühlt und denkt und bedarf und will, wird ausgesprochen, und das ist der Stoff der modernen Literatur“, beschrieb Heine seinen Begriff von Literatur. „Dafür fand er neue Formen und brachte neues Leben in die deutsche Literatur, die in der Nachfolge Goethes zu erstarren drohte, während die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sich stürmisch veränderten“, sagt Burkhard Meyer-Sickendiek, Privatdozent für Neuere deutsche Literatur an der Freien Universität und Kenner der deutsch-jüdischen Moderne. Als „Analytiker seiner Zeit“, sagt Meyer-Sickendiek, war Heine nicht nur ein aufmerksamer Beobachter der Epoche zwischen Revolution und Restauration.

Scharfe Sozialkritik, Liebeslyrik, „Buch der Lieder“

Die Industrialisierung und die Erosion der Ständegesellschaft führten zu starken sozialen Verwerfungen. Heine ergriff auch Partei für das, was er als die große Aufgabe seiner Zeit erkannte: „die Emanzipation der ganzen Welt (…) von dem eisernen Gängelbande der Bevorrechteten, der Aristokratie“. Damit verkörpert Heine für Meyer-Sickendiek den modernen Typus des engagierten Dichters. Eine bloße „Tendenzpoesie ohne ästhetischen Anspruch“, so der Germanist, lehnte Heine aber ebenso ab wie jede hermetische, auf sich selbst bezogene Kunst, die, in Heines Worten, „auf einem sozialen Isolierschemel steht“.

Heine verfasste scharfe sozialkritische Gedichte – man denke nur an „Die schlesischen Weber“ oder das Versepos „Deutschland, ein Wintermärchen“ und die bedeutendste Liebeslyrik seiner Zeit. Vor allem die Gedichte aus dem „Buch der Lieder“ (1827) waren, nicht zuletzt durch ungezählte Vertonungen, enorm beliebt und fanden viele Nachahmer.

Mit seiner „im subjektivsten Stil“ geschriebenen „Harzreise“ gelang Heine der Durchbruch als zeitkritischer Prosaautor. Die Harzreise führte Heine auch nach Weimar, wo er Johann Wolfgang von Goethe traf, der sich ihm gegenüber als reserviert erwies. Heine beschrieb Goethe als „mumienhaften“ Tatterer mit „gelbem Gesicht“ und kritisierte die „Kunstbehaglichkeit des großen Zeitablehnungsgenies“, die einen „quietisierenden Einfluss auf die deutsche Jugend ausübte“. Seine Kritik an Goethe war aber weniger ein persönliches Aufbegehren des jungen Dichters gegen den „Ali Pascha unserer Literatur“, sondern vielmehr der Ausdruck einer neuen Auffassung von Poesie.

Für Goethe sollte Literatur der Welt entrückt sein, bei Heine entstand sie mitten im Leben

Deutlich wurde dieser Kontrast bei der Bestimmung der Literatur. Goethe verglich sie mit einer Ballonfahrt, die „uns mit dem Ballast, der uns anhängt, in höhere Regionen hebt, und die verwirrten Irrgänge der Erde in Vogelperspektive vor uns entwickelt daliegen lässt“. Gegen die entrückte Betrachtungsweise setzte Heine die radikale Subjektivität. Was die Welt bewegte, bewegte auch ihn, und er beschrieb die Zeitereignisse nicht über den Dingen stehend, sondern zeichnete mitten aus dem Leben heraus ein Bild der historischen Situation, das nicht objektiv, dafür authentisch war. „Wie aber der Riese Antheus unbezwingbar stark blieb, wenn er mit dem Fuße die Mutter Erde berührte, und seine Kraft verlor, sobald ihn Herkules in die Höhe hob: so ist auch der Dichter stark und gewaltig, solange er den Boden der Wirklichkeit nicht verläßt, und er wird ohnmächtig, sobald er schwärmerisch in der blauen Luft umherschwebt.“

„Heine verstand sich selbst als ‚entlaufenen Romantiker‘, da er zwar das romantische Formenarsenal fortführte“, erklärt Meyer-Sickendiek. „Was aber bei Eichendorff an Jenseits-Sehnsucht und zwielichtigen Stimmungen enthalten ist, findet sich bei Heine zerschlagen und ironisch gebrochen.“ Oder in Heines Worten: „Und Äuglein und Mondglanz und Sonnenschein, / Wie sehr das Zeug auch gefällt, / So machts doch noch lang keine Welt.“ Die frühromantischen Autoren diskreditierte er – in bewusster Ungerechtigkeit – als Marionetten der Restauration. „Für seine Lyrik ist bezeichnend, dass er die Umgangs- und Konversationssprache in die Dichtung aufnimmt. Insofern steht Heine entschieden für die Moderne.“

Und Äuglein und Mondglanz und Sonnenschein, / Wie sehr das Zeug auch gefällt, / So machts doch noch lang keine Welt.

Heinrich Heine, Dichter, Schriftsteller und Journalist

Als 1831 in Hamburg der vierte Band der „Reisebilder“ erschien, nahm die preußische Zensurbehörde Anstoß an einer schmähenden Bezeichnung Friedrichs des Großen, den Heine den „witzigen Gamaschengott von Sanssouci“ genannt hatte. Heine wusste, was das Verbot des Werks für ihn bedeuten konnte und setzte sich binnen eines Monats nach Paris ab.

Sein berühmtes, 1843 entstandenes Gedicht „Nachtgedanken“ („Denk ich an Deutschland in der Nacht, / Dann bin ich um den Schlaf gebracht“) – ewig missverstanden als Sorge um das verfluchte wie vermisste Heimatland – meint eher die Mutter im fernen Hamburg, die Heine seit zwölf Jahren nicht gesehen hatte. Im September 1843 schrieb er nach Hause: „Und Du alte süße Katze, wie geht es Dir? Wenn Du stirbst, ehe ich Dich wiedersehe, schieße ich mich todt.“ Wenige Wochen später unternahm er seine vorletzte Deutschlandreise, nicht zuletzt um Betty Heine wiederzusehen. Die Reise nach Hamburg inspirierte ihn zum gereimten Tagebuch, dem „Wintermärchen“.

Der Dichter und Journalist konvertierte vom Judentum zum Protestantismus

Neben seiner lyrischen Produktion verdiente Heine seinen Lebensunterhalt mit den Berichten über die französischen Zustände, die er in deutschen Zeitungen publizierte. „Heine ist einer der ersten Feuilletonisten der deutschen Sprache gewesen“, sagt Meyer-Sickendiek. „Das ist die Franzosenkrankheit, die er uns eingeschleppt hat“, schimpfte der Satiriker Karl Kraus im Jahr 1910: „Ohne Heine kein Feuilleton.“ So empfanden viele Zeitgenossen. Heine galt als Nestbeschmutzer und Ruhestörer, seine literarischen Neuerungen empfanden sie als Schamlosigkeit und Sprachverluderung. Heine habe „der deutschen Sprache so sehr das Mieder gelockert, dass heute alle Kommis an ihren Brüsten fingern können“, wetterte Kraus weiter. Der deutschnationale Historiker Heinrich von Treitschke wusste auch schon die Quelle solcher Verfehlung zu benennen: den „jüdischen Verstand“ des „Orientalen“ Heine, dem aus gleichen Gründen die germanische Kraft zum großen Stil völlig fehle.

Heine gehörte zur ersten Generation deutscher Juden, die das Ghetto verließ. Einmal, als der kleine Harry Heine seinen Vater fragte, wer denn sein Großvater gewesen sei, sagte der: „Dein Großvater war ein kleiner Jude und hatte einen großen Bart.“ Der Junge beeilte sich, diese Neuigkeit gleich am nächsten Tag seinen Schulkameraden mitzuteilen. Lachen, Grunzen und Meckern unter den Schülern, kurz, „ein Höllenspektakel“ füllte die Klasse, bis der Lehrer Harry Heine als den Anstifter der Unruhe ausgemacht hatte und übers Knie legte. Es war eine „unglückliche genealogische Mitteilung“, wie Heine später schrieb, eine jüdische Grunderfahrung, und jedes Mal, wenn davon die Rede war, lief ihm „eine unheimliche Erinnerung gruselnd über den Rücken“.

„Meine Ahnen“, heißt es lakonisch im Band „Die Nordsee“, gehörten eben nicht zu den Jagenden, „vielmehr zu den Gejagten.“ Heine trat 1825, kurz vor seiner Göttinger Promotion, zum Protestantismus über und änderte seinen Vornamen in Christian Johann Heinrich. „Es war sein ‚Entrebillet in die europäische Kultur‘ – keineswegs ein Bekenntnisakt“, sagt Meyer-Sickendiek. Er erlebte und reflektierte, was Juden seit jeher erlebten: Duldung und Vertreibung, Wiederansiedlung und Vernichtung. Heines Lehre aus der Geschichte steht – hellsichtig – in der Tragödie Almansor (1823): „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher / Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“

Sein Grab findet sich in Paris, auf dem Friedhof Montmartre. Testamentarisch sagte er allen Versuchen ab, seinen Leichnam nach Deutschland zu repatriieren. Heine hat sein Leben auf eine Weise resümiert, wie es sich für Heine gehört – mit einem ironischen Bonmot: „Ich habe es, wie die Leute sagen, auf dieser schönen Erde zu nichts gebracht. Es ist nichts aus mir geworden – nichts als ein Dichter.“

Für den Inhalt dieses Beitrags ist die Freie Universität Berlin verantwortlich.

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