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In einem leeren Klassenraum sind Stühle auf die Tische gestellt worden.

© Sven Hoppe/dpa

Zustand der Schulen nach einem Jahr Pandemie: Die OECD warnt vor Folgen von Schulschließungen und Lernverlusten

Es wird Jahre dauern, bis Schüler coronabedingte Lernverluste aufholen, sagt OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher. Und lobt Länder, die Schulen offenhalten.

Länder weltweit haben sich auf den Weg gemacht, um die pandemiebedingten Lernverluste auszugleichen. Das zeigt eine OECD-Studie, die am Mittwoch vom Berliner OECD-Center präsentiert wurde.

In 86 Prozent von 33 an der Umfrage beteiligten Ländern gibt es entsprechende Angebote für Grundschüler:innen, für die Sekundarstufe I und II laufen zu 75 beziehungsweise 73 Prozent Maßnahmen, um Lernlücken zu füllen. Bislang 40 Prozent bieten Ferienkurse zum Aufholen im Lernstoff und beim sozialen Lernen an.

Hierzulande ist ein Milliarden-Programm für Corona-Lernhilfen geplant, über dessen Finanzierung und Details Bund und Länder aber noch diskutieren. Hamburg hatte Ende März schon ein eigenes Pilotprogramm dazu vorgestellt. Starten sollen die Corona-Lernhilfen nach den Sommerferien, laufen soll das Programm für zunächst ein Jahr.

"Zusätzliche Lernangebote werden über mehrere Jahre notwendig sein", sagte OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher bei der Online-Präsentation der Studie. "Mit starker Differenzierung und individueller Förderung" müssten nicht nur Lernverluste ausgeglichen werden, sondern auch das selbstständige Lernen gefördert werden.

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Der OECD-Studie zufolge gehört Deutschland auch zu den 67 Prozent der untersuchten Länder, die sich bemühen, das Ausmaß der Lernverluste zu messen. Hervorgehoben wird, dass dies hierzulande mit standardisierten, bundesweit erhobenen Tests auf allen Schulstufen geschehe. Was im pauschalen Überblick der OECD jedoch fehlt: Getestet wird erst ab Frühjahr dieses Jahres – durch eine Zusatzstudie zum Nationalen Bildungspanel für 9. Klassen in Mathematik.

Kurz vor den Sommerferien soll dann das Berliner Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) überprüfen, ob Schülerinnen und Schüler der 4. und der 9. Klassen die Bildungsstandards in Deutsch und Mathematik für das Ende der Grundschulzeit und der Sekundarstufe I erreichen. Mit Ergebnissen beider Studien ist ab Herbst zu rechnen.

"Aus ihren Schulen ausgesperrt"

Seinen Bericht zum „Zustand der Schulen nach einem Jahr Pandemie“ leitet Schleicher mit einem dramatischen Szenario ein: „Aus ihren Schulen ausgesperrt“ waren 2020 rund 1,5 Milliarden Schülerinnen und Schüler in 188 Ländern weltweit. Genauer untersucht haben Schleicher und sein Team dies für 33 Länder, die „vergleichbare Daten“ liefern konnten.

Ein Porträtbild von Andreas Schleicher.
OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher.

© Federico Gambarini/picture alliance / dpa

Zwar nutzten viele Kinder und Jugendliche, die von coronabedingten Schulschließungen betroffen waren, „alternative Lernmöglichkeiten“ – gemeint ist der fast durchgehend erteilte Fernunterricht – und wurden dabei von ihren Lehrkräften und Eltern gut unterstützt. „Aber viele blieben ausgeschlossen, vor allem jene aus marginalisierten Gruppen, denen digitale Lernmittel fehlten oder die Unterstützung oder Motivation, eigenständig zu lernen“, heißt es in der Studie.

Diese Lernverluste könnten „lange Schatten auf das ökonomische Wohlergehen von Individuen und Staaten werfen“. Schleicher verweist dazu erneut auf den Wert von durchschnittlich drei Prozent Einkommensverlust über die Lebensspanne, die ein dreimonatiger „Verlust effektiven Lernens“ bedeute. Das errechneten Bildungsökonomen für die OECD.

Weniger Präsenz für die höheren Klassen

Doch was kann die Studie konkret über die Schulschließungen und ihre Folgen in den 33 untersuchten Ländern aussagen – und wo steht Deutschland dabei? Auf die Situation hierzulande zutreffend ist jedenfalls der Stand der Dinge zum Stichtag 1. Februar, der so beschrieben wird: Je höher die Klassenstufe, desto größer der Anteil der Schulen, die geschlossen sind, oder nur für kleinere Präsenzgruppen im Wechselunterricht geöffnet werden.

Ein Kind in Frankreich löst Aufgaben an einem Laptop.
Frankreich gehört zu den Ländern, die ihre Schulen in der Pandemie weitgehend offenhalten.

© Alain Jocard/AFP

Ein Jahr nach Beginn der Pandemie seien im Durchschnitt der 33 Länder knapp 40 Prozent aller Schulen von anhaltenden Schließungen betroffen. International ganz vorne beim schulischen Normalbetrieb sind Norwegen, Japan und Neuseeland, wo Anfang Februar alle Schulen von der Primarstufe bis zur Sekundarschule geöffnet waren. Bei EU-Ländern wie Belgien, Frankreich, Spanien und Schweden galt das zumindest für die Grundschulen und für die Sekundarstufe 1.

In Deutschland kehrten die unteren Klassen bekanntlich erst ab Mitte Februar beziehungsweise Anfang März allmählich in ihre Schulen zurück, während 5.- bis 7.-Klässler ihre Schulen größtenteils seit Dezember nicht mehr betreten haben.

OECD-Bildungsdirektor Schleicher lobte Länder, die "trotz schwieriger Infektionslage Schulen gar nicht oder nicht flächendeckend geschlossen haben". Sie seien erfolgreich dabei, "Gesundheit und Bildung miteinander zu vereinbaren".

Bunter Mix an Lernformen in der Distanz

Auch wenn die Studie Entwicklungen nach dem 1. Februar nicht erfasst und die Feinheiten des föderalen Systems in Deutschland nicht abbilden kann: Die Zahlen zu den Schulschließungen sind beeindruckend. Weniger aussagekräftig sind die Erkenntnisse zur Qualität des Distanzlernen und zu den konkreten Lernverlusten.

Bildungsökonom Ludger Wößmann wies bei der OECD-Veranstaltung noch einmal darauf hin, dass sich die tägliche Lernzeit im ersten Schul-Lockdown 2020 von sieben auf 3,5 Stunden täglich halbiert habe. Bei leistungsschwächeren Kindern sei der Lernverlust noch deutlich größer. Ihnen fehle zu Hause die direkte motivierende Ansprache und die Anleitung durch die Pädagog:innen.

Wie viele Studien und Umfragen zuvor konstatiert die OECD-Studie einen bunten Mix der Lernformen im Homeschooling – von Aufgabenpaketen auf Papier oder per E-Mail bis zu differenzierenden digitalen Lernportalen. Deutschland stehe aber am unteren Ende, wenn es darum gehe, dass Lehrkräfte beim Distanzlernen auch die Eltern aktiv einbeziehen, kritisierte Schleicher.

Bei den Maßnahmen, um benachteiligte Schüler:innen technisch zu unterstützen, liegt Deutschland wieder im OECD-Mainstream. So gaben acht von zehn Ländern an, sie mit kostenlosen oder bezuschussten Laptops oder Tablets zu versorgen. Rund die Hälfte der Länder gewährte ihnen auch einen kostengünstigen Zugang zum Internet.

Weil Deutschland bei der Digitalisierung im internationalen Vergleich jedoch Jahre zurückliege, sei es von mangelnden Kompetenzen bei den Lehrkräften und nicht funktionierenden Online-Plattformen "kalt erwischt" worden, kommentierte Schleicher.

Beim Impfen der Lehrkräfte gehört Deutschland zur Mehrheit der Staaten, die Lehrkräfte priorisieren – gemeinsam etwa mit Österreich, Tschechien, Ungarn, Russland und der Türkei. Nicht bevorzugt geimpft würden Lehrkräfte dagegen unter anderem in den skandinavischen Ländern, in Belgien, Frankreich, Großbritannien und der Schweiz, heißt es.

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