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Eine Lehramtsstudentin bespricht mit zwei Viertklässlerinnen ihre Aufgaben.

© Stefan Sauer/ZB

Update

Lernförderung in der Pandemie: Hamburg kündigt Start der Corona-Nachhilfe an - nach den Sommerferien

Bund und Länder diskutieren weiter über ein Milliardenprogramm für Mentoren, die coronabedingte Lernlücken füllen sollen. Hamburg stellt ein erstes Konzept vor.

"Das ist eine Aufgabe, die uns mindestens ein ganzes Schuljahr lang beschäftigen wird", sagte Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) am Donnerstag über die geplanten Corona-Lernhilfen für Schülerinnen und Schüler, die in der Zeit der Schulschließungen im Lernstoff, aber auch in ihrer sozialen Entwicklung zurückgefallen sind.

Starten soll das Programm "Anschluss", in dem studentische und andere Mentoren und Mentorinnen Kinder und Jugendliche einmal pro Woche für zwei bis vier Stunden fördern, allerdings erst im August, nach den Sommerferien. Es könne nur in einem normalen Unterrichtsbetrieb mit Präsenz in den Schulen anlaufen, sagte Rabe zur Begründung.

Als Sprecher der SPD-geführten Länder koordiniert Hamburgs Schulsenator die Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über das von ihm initiierte Programm, für das bislang eine Milliarde Euro im Gespräch ist. Hier sei mit einer Einigung "noch vor den Sommerferien" zu rechnen, so Rabe.

Während um Details des bundesweiten Programm also noch gerungen wird, konnte Hamburg am Donnerstag ein eigenes Konzept vorstellen. Die Hansestadt knüpft an ein Vorläufer-Programm in Zusammenarbeit mit der "Zeit"-Stiftung an.

Vorbild ist das Mentoring-Programm "Weichenstellung", in dem seit acht Jahren an sechs Schulen Schülerinnen und Schüler beim Übergang an die weiterführende Schule und danach unterstützt werden.

Kindern die Lust an der Schule zurückgeben

Bislang arbeiten 100 Lehramtsstudierende der Universität Hamburg in Kleingruppen mit drei bis fünf Kindern einmal in der Woche am Nachmittag - über einen Zeitraum von bis zu drei Jahren. Insgesamt wurden in Hamburg bislang 2000 Schüler:innen erreicht.

Es gehe dabei nicht nur um Nachhilfe in den Kernfächern, sondern auch um Motivation und darum, "dass die Kinder wieder Lust an der Schule haben", sagte Michael Göring, der Vorstandsvorsitzende der "Zeit"-Stiftung.

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Das Programm ist im vergangenen Jahr nach Köln expandiert, wo 600 Mentees von Lehramtsstudierenden betreut werden, und wird derzeit auch in Zusammenarbeit mit der Universität Duisburg-Essen ausgebaut. Es gebe also "eine Blaupause" für ein sehr viel größer angelegtes Programm in Hamburg und womöglich auch bundesweit, so Göring. Die Stiftung sei auch mit der Bundesregierung im Gespräch.

Ties Rabe spricht bei einer Pressekonferenz in Hamburg.
Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) stellte das Hamburger Mentoring-Programm vor (hier ein Archivbild aus dem November 2020).

© Georg Wendt/dpa

Die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die coronabedingt Lernrückstände und andere Defizite haben, sei eine enorme Herausforderung für das Programm, betonte Ties Rabe. Die Gruppe werde auf 20 Prozent aller Schülerinnen und Schüler geschätzt - analog zur sogenannten Risikogruppe, der Pisa-Studien zufolge grundlegende Kompetenzen beim Lesen, in Mathematik und den Naturwissenschaften fehlen - und auch die nötige Unterstützung im Elternhaus.

Gesucht werden bis zu 70.000 Mentor:innen

Allein in Hamburg wären das 30.00 bis 50.000 Schüler:innen, sagte Rabe. Bundesweit bräuchte man bei der angestrebten Förderung in kleinen Gruppen "50.000 bis 70.000 als Pädagogen in Schulen zusätzlich". Über Lehramtsstudierende hinaus, von denen es bundesweit rund 250.000 gibt, sollten auch pensionierte Lehrkräfte und anderes pädagogisches Personal wie etwa Nachhilfe-Lehrkräfte zum Einsatz kommen.

Keine leichte Aufgabe, zumal ja der Markt potenzieller Lehrkräfte leergefegt ist und viele, die für die Corona-Nachhilfe infrage kommen würden, bereits als Quereinsteiger:innen an den Schulen sind. Lehramtsstudierende jedenfalls seien nach den Hamburger Erfahrungen mit dem Programm "Weichenstellung" leicht zu motivieren, sagte Reiner Lehberger, Erziehungswissenschaftler der UHH und pädagogischer Leiter des Projekts.

Sie können sich durch die Arbeit mit ihren Förderschülern professionalisieren, sich in ihrem künftigen Beruf ausprobieren - und bekommen dafür Leistungspunkte an der Uni angerechnet. In Hamburg erhöht ein solches Engagement in der Schule auch die Chance auf ein schnelleren Referendariatsplatz.

Hamburg will mit 4-5000 Schülern und 1000 Mentoren anfangen

Das Hamburger Lernförderprogramm „Anschluss“, das zum 1. August starten soll, ist allerdings erst einmal sehr viel kleiner dimensioniert: Es werde "zunächst für rund 4000 bis 5000 Schülerinnen und Schüler verschiedener Altersgruppen eingerichtet", teilte die Schulbehörde mit.

Zielgruppe seien Kinder und Jugendliche an den Schul-Übergangen, zum Beispiel am Ende der Grundschulzeit, am Anfang Sekundarstufe I oder beim Übergang von der Jahrgangsstufe 6 in die Jahrgangsstufe 7. Dafür werden 1000 qualifizierte Personen gesucht.

15 Euro pro Stunde für Studierende

Honoriert werden die studentischen Mentor:innen bislang mit 15 Euro pro Stunde, für ältere Kräfte werde mit dem Bund über ein Honorar von um die 30 Euro gesprochen, sagt Rabe.

Für die Schülerinnen und Schüler soll die Teilnahme an der "Corona-Nachhilfe" freiwillig sein. Empfohlen werden sie von ihren Lehrkräften in der Schule, die individuelle Lernlücken und sonstige Bedarfe am besten feststellen könnten. Die Lehrerinnen und Lehrer sollten mit den Kindern und Jugendlichen sowie mit ihren Eltern sprechen und sie für das Programm gewinnen.

Ein junge und ein Mädchen mit Schultaschen auf den Rücken gehen quer über einen Schulhof.
Zurück in die Schulen - und dann gleich in die Förderung? Starten soll das Programm erst nach den Sommerferien.

© Christian Charisius/picture alliance/dpa

Die Erfahrung aus der "Weichenstellung" zeige: Die allermeisten machen mit, bleiben dabei und bauen gute Kontakte bis hin zu Freundschäften mit ihren Mentor:innen auf, heißt es. Die zusätzlichen Förderkräfte sollen von den pädagogischen Landesinstituten und von den Lehrkräften in den Schulen didaktisch und mit Lernmaterialien unterstützt werden.

Doch selbst wenn das Bund-Länder-Programm am Ende mit bis zu zwei Milliarden Euro finanziert werden sollte - reicht das aus, damit zehntausende Schülerinnen und Schüler "nach Corona" wieder in der Schule zurechtkommen und die angestrebten Abschlüsse erreichen können? Schließlich wendet Deutschland nur einen Bruchteil der Mittel auf, die etwa die USA, die Niederlande oder Großbritannien für Corona-Lernhilfen einplanen.

Zu wenig Geld? "Eine Milliarde ist richtig dimensioniert"

Dort wurden umfangreichere Programme schon viel früher gestartet, und das auf der Grundlage empirischer Erkenntnisse, worin die Lernrückstände bestehen. Auf die Frage des Tagesspiegels, warum Deutschland bei den Investitionen in die Corona-Nachhilfe und bei der Bildungsforschung zu Corona so weit zurückliege, sagte Ties Rabe: "Dabei wird übersehen, dass andere Länder gar keine Überlegungen dazu anstellen."

Womöglich könne sich Deutschland bei den USA, Großbritannien und den Niederlanden tatsächlich noch "etwas abgucken", doch diese Länder verwendeten zunächst einmal viel Zeit darauf, Lernrückstände zu analysieren. In Deutschland gebe es auch ohne solche Studien "viele Indizien und Berichte von Lehrkräften sowie aus der Bildungsforschung selber".

Das Ausmaß des Unterrichtsausfalls habe Spuren hinterlassen bei den Schüler:innen, "die nicht gelernt haben, zu lernen und die zu Hause nicht gut ausgestattet sind", - und diese Lücken gelte es jetzt, konkret anzugehen, sagte Rabe.

Hamburgs Schulsenator warnte auch davor, sich von größeren Geldmengen zu viel zu versprechen: Stünden etwa drei Milliarden Euro zur Verfügung, bleibe doch die Zeit begrenzt, die Schüler nachmittags zusätzlich lernen können, ebenso wie die Menge an Personal, das dafür gebraucht würde.

"Demnach ist die eine Milliarde bundesweit richtig dimensioniert, wenn wir uns auf die Kernaufgabe der Lernrückstände fokussieren", sagte Ties Rabe. Zum späten Start des Programms - nach den Sommerferien - erklärte der Schulsenator, bis dahin würden Ferienschulen und die üblichen Förderstunden selbstverständlich fortgeführt.

In Berlin gehen Schulen mit eigenen Konzepten voran

In Berlin ist Bildungssenatorin Sandra Scheeres noch nicht so weit wie ihr Hamburger Parteifreund. „Die Bildungsverwaltung bereitet gerade eine Übersicht zu allen Fragen rund um Lernstandserhebungen und Diagnostik vor, die in Kürze an die Schulen geht“, sagte ihr Sprecher am Donnerstag auf Anfrage mit.

Zudem werde es „Informationen und Empfehlungen“ gegeben, wie mögliche Lernlücken zu schließen sind, vor allem in Deutsch und Mathematik. Konzepte zu Lernförderangeboten und möglichen Tutoring-Programmen wie in Hamburg seien aber „ebenfalls in Arbeit“. Einzelne Schulen haben angefangen, eigene Konzepte zu entwickeln. Solange es das Milliardenprogramm des Bundes noch nicht gibt, behelfen sie sich mit Mitteln aus dem Bildungs- und Teilhabepaket, auf das allerdings nur Schüler:innen aus Transferfamilien Anspruch haben. Daher greifen die Schulen auch auf Gelder zurück, die eigentlich für den Vertretungsunterricht gedacht waren und wegen der geschlossenen Schulen zum Teil unverbraucht sind.

Anmerkung der Redaktion: Gegenüber einer früheren Version vom 25. März wurden die Zahlen der Schüler:innen und Mentor:innen korrigiert beziehungsweise ergänzt, die in die Corona-Lernhilfe einbezogen werden sollen.

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