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Im städtischen Umfeld legen Ratten ihre Scheu vor dem Menschen teilweise ab und lasen sich auch tags beobachten.

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Wildwechsel: Cool zu bleiben ist unter Ratten ansteckend

Nein, trotz beiderseits sozialen, aufgeweckten Wesens stimmt die Chemie zwischen Ratte und Mensch meist nicht. Die Chemie unter den Tieren könnte aber helfen, sie auf humane Weise fernzuhalten.

Eine Kolumne von Patrick Eickemeier

Der Zoologe Alfred Brehm schrieb in seinem „Tierleben“ – für ihn durchaus unüblich – mit wenig Sympathie über die in Deutschland spätestens seit dem 18. Jahrhundert häufige Wanderratte Rattus norvegicus: „Sobald sie merken, dass der Mensch ihnen gegenüber ohnmächtig ist, nimmt ihre Frechheit in wahrhaft erstaunlicher Weise zu.“

Nun deuten Erkenntnisse eines japanischen Forschungsteams darauf hin, dass es eine chemische Basis für Brehms wahrhaft erstaunliche Beobachtung gibt. Ein Duftstoff, den Ratten in einem ruhigen Gemütszustand abgeben – etwa, wenn sie die Ohnmacht des Menschen bemerken – wirkt beruhigend auf andere, auch verängstigte Tiere. Cool zu bleiben ist unter Ratten ansteckend.

Als Versuchstiere sind Ratten durchaus beliebt, nicht nur aufgrund ihrer Genügsamkeit in der Haltung. Sie sind so intelligent, dass sie in einigen Verhaltensexperimenten sogar Stellvertreter des Menschen sein können. Unter anderem bei solchen Versuchen war beobachtet worden, dass in neuen, ungewohnten Situationen verängstigte Tiere ruhiger wurden, wenn man eine gelassene Ratte zu ihnen setzte – sogar, wenn die Tiere gar nicht miteinander interagierten.

Stadtratten lassen sich so leicht nichts vormachen.

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Forschende führten das auf Pheromone zurück, aber welcher Art diese sind, war unbekannt. Ein Team um Yasushi Kiyokawa von der Universität Tokio ging der schwierigen Aufgabe nach, Pheromone von einer entspannten Ratte abzusammeln. „Wenn wir sie dabei unter Stress gesetzt hätten, hätte das wahrscheinlich die Pheromone beeinflusst, die sie freisetzt“, berichtet Kiyokawa. Die Forschenden ließen also eine entspannte Ratte einschlafen und sammelten dann mit Wasser Pheromone aus ihrem Nackenbereich.

Das wichtigste Pheromon, das von entspannten Ratten freigesetzt wird, ist 2-Methylbuttersäure (2-MB), berichten sie im Journal „iScience“. Der Duftstoff ist auch in den Aromen von Käse und Wein enthalten. Das Team testete seine beruhigende Wirkung direkt an verängstigten Ratten und indem sie eine von zwei Kammern damit behandelten. Ratten wählten bevorzugt die so – wir können es nur vermuten – irgendwie heimelig riechende Kammer.

Anschließend untersuchten die Forschenden die Wirkung auf wilde Ratten in der Stadt. „Synthetisches 2-MB verringerte ihre Angst vor neuen Dingen, oder Neophobie“, sagt Kiyokawa. Das sei eine wichtige Erkenntnis, denn die Neophobie der Stadtratten macht es so schwierig, ihnen Fallen zu stellen. Das Team schlägt vor, 2-MB einzusetzen, um Stadtratten in nicht-tödliche Fallen zu locken und sie ruhig zu halten, während sie aus dem städtischen Umfeld transportiert werden.

Alfred Brehm hatte noch einen anderen Vorschlag: „Wenn man sich nicht halb zu Tode ärgern möchte über die nichtswürdigen Tiere, könnte man versucht sein, über ihre alles Maß überschreitende Unverschämtheit zu lachen.“

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