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O Tesselbaum. Wer diesen Lebkuchenstecher mit ruhiger Hand benutzt, behält zwischen den Gebäckstücken keinen Teig übrig.

© Martin Lersch

Von der Küchenchemie zur Kuchenmathematik: Kekse backen mit Nobelpreisträgern und M.C. Escher

Dreimal den Teig ausgerollt, ausgestochen – und doch noch etwas übrig? Immer lauter ungebackene überzählige Gebäckstücke? Da hilft nur noch die Mathematik.

Weihnachten kommt immer näher. Wer jetzt noch vorhat, selber Plätzchen zu backen, hatte wahrscheinlich bislang keine Zeit. Und je mehr Heiligabend naht, wird es auch nicht besser. Zum Glück hat ein norwegischer Chemiker eine Methode entwickelt, die die effizienteste Plätzchenstecherei aller Zeiten ermöglicht.

Der Mann heißt Martin Lersch, hat einen deutschen Vater und seine Geburtsstadt ist Frankfurt am Main. Er trägt einen Doktortitel in Chemie, aber er kocht und isst auch gerne.

Das prädestiniert ihn für eine führende Rolle in der Bewegung der „molekularen Küche“, die der Spanier Ferran Adrià einst populär machte – obwohl er diese Bezeichnung für seine Arbeit eigentlich nie mochte.

Überzählige Gebäckstücke

Lersch, der kein "Chef" im Küchenchef-Sinne ist, sondern „Chief Technology Officer“ bei einem Chemieunternehmen in Borregaard, betreibt hobbymäßig einen Blog namens „Khymos“. In dem geht es, laut Beschreibung, um „chemische Seltsamkeiten in der Küche“. Der Name ist erkennbar griechisch, bedeutet so viel wie Saft, bildet aber auch die ethymologische Wurzel des heutigen Wortes „Chemie“.

Derzeit treibt Lersch um, wie man den besten handgemachten Filterkaffee hinbekommt. Viele lesen im Blog mit. Der große Hit allerdings ist alle Jahre wieder in der Vorweihnachtszeit ein Thema, das aus der Rolle fällt. „Ausnahmsweise“, so schreibt Lersch zu Beginn seines ersten Posts zum Thema, „lasse ich jetzt die Chemie mal eine Weile außen vor und widme mich den mathematischen Aspekten des Backens“.

Getesselte Teigwaren

Stelle man Kekse oder Lebkuchen mit einer zufälligen Auswahl an Ausstechformen her, so Lersch gegenüber dem Tagesspiegel, „bleibt immer viel Teig dazwischen übrig.“ Er habe herausfinden wollen, „ob es dafür eine Lösung geben kann, die sowohl praktisch als auch schön anzusehen ist.“ Er fand mehrere. Die beste bisher, glaubt er, „ist wohl der Weihnachtsbaum, den habe ich, wie auch einige andere Designs, mit einem Programm namens Tess erstellt.“ Mit diesem könne man „tesselierende Formen erzeugen“. „Tesselierung“ ist im Deutschen sicher eines der eher wenig gebrauchten Substantive. Es bedeutet so viel wie „lückenloses Kachel- oder Parkettmuster“.

Da steht doch glatt die kulinarische Konifere kopf - jede zweite zumindest.
Da steht doch glatt die kulinarische Konifere kopf - jede zweite zumindest.

© Martin Lersch

Jene spezielle Weihnachtsbaumform passt in Reihe und gestapelt so exakt und immer wiederkehrend zusammen, dass – wenn man den Plätzchenstecher penibel benutzt – dazwischen keinerlei Teig übrigbleibt. Andere Möglichkeiten gehen von schlichten Quadraten und Rechtecken über Puzzlestücke mit immer gleichen Ein- und Ausbuchtungen bis hin zu hochkomplexen Kombinationen aus Sternen und fünfeckigen Elementen, teils mit geschwungenen Seitenlinien. Nur sehen die eben nicht besonders weihnachtlich aus – anders als Martin Lerschs Kekstanne.

Schon Kepler kachelte

Schon die Sumerer kreierten tesselierende Wandverzierungen, gefolgt von Mosaiken im alten Rom und später in unzähligen Moscheen. Als erster zumindest abendländischer Wissenschaftler, der sich mit der Mathematik der Parkettmuster beschäftigt hat, gilt Johannes Kepler. Er schreibt darüber in seinem Werk „Harmonice Mundi“ von 1619. Heute bekannt sind solche Muster vor allem durch Bilder des Grafikers M.C. Escher.

Basierend auf Keplers Überlegungen entwickelte der Mathematiker Roger Penrose – wichtigster Kollege Stephen Hawkings und 2020 mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet – in den 1970er Jahren fortgeschrittene Formen der Tesselierung mit meist nur zwei Grundformen. Sie seien, sagt Lersch „besonders, weil sie mit nur diesen beiden Formen ein Muster erstellen, das tesseliert, sich jedoch nie wiederholt.“

Seit jeher hat Tesselierung also zwei Zwecke: materialsparend und optisch ansprechend zu sein – gleichsam eine Mischung aus Vernunft und Emotion. Bei Lersch, dessen Designs man herunterladen und auch per 3-D-Druck herstellen kann, kommt das Kulinarische hinzu – wobei dies dann doch wieder eher von den molekularen und physikalischen Aspekten abhängt.

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