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Aus der Größe des Skelettes schließen die Forschenden auf das männliche Geschlecht des Steinzeitmenschen.

© Tim Maloney

Steinzeit-Chirurgie: Fossil zeugt von erfolgreicher Amputation

Warum der Eingriff notwendig wurde, bleibt offen. Aber ein Skelettfund belegt, dass die Operation vor über 30.000 Jahren erfolgreich verlief.

Der junge Mann hatte es zu seinen Lebzeiten offensichtlich nicht leicht gehabt. Vermutlich noch als Kind oder Jugendlicher wurde ihm der untere Teil des linken Unterschenkels amputiert. Für einen jungen Jäger war das ein sehr schweres Handicap. Seine Gruppe scheint ihn aber gut versorgt zu haben: Ohne linken Fuß lebte er - vor rund 31.000 Jahren in der Steinzeit - wahrscheinlich noch sechs bis neun Jahre, bis er im Alter von 19 oder 20 Jahren starb.

Das Amputationsteam muss die innere Struktur der Gliedmaße mit allen Muskeln und Blutgefäßen recht detailliert gekannt haben, um den Fuß ohne tödliche Blutungen oder schwere Infektionen abnehmen zu können, berichtet eine Forschungsgruppe um Tim Maloney von der australischen Griffith Universität in der Zeitschrift „Nature“.

Der amputierte Mann überlebte wahrscheinlich mit der Hilfe anderer bis ins Erwachsenenalter.
Der amputierte Mann überlebte wahrscheinlich mit der Hilfe anderer bis ins Erwachsenenalter.

© Jose Garcia (Garciartist)/Griffith University

„Das ist in der Tat sehr eindrucksvoll“, findet der Paläoanthropologe Jean-Jacques Hublin vom Collège de France in Paris und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der an der Studie nicht beteiligt war. „Wir kennen zwar einen Neandertaler, der vor rund 50.000 Jahren vermutlich durch einen Unfall einen Arm verloren hatte, und der danach wohl nur mit Hilfe anderer überlebte“, erklärt der französische Forscher, und es gibt weitere Beispiele für Menschen, die mit einem angeborenen oder durch Unfall verursachten Handicap vor vielen Jahrtausenden vermutlich mit Hilfe von anderen Mitgliedern ihrer Gruppe längere Zeit überlebt haben. „Nur handelt es sich bei diesem spektakulärem Fund anscheinend um eine aufwändige Operation mit einigen Risiken, die man aus dieser frühen Zeit bisher nicht kannte.“

Das Team um Tim Maloney entdeckte das Skelett im Jahr 2020 bei Ausgrabungen in der Liang-Tebo-Höhle im Osten des indonesischen Teils der Insel Borneo. Vor 31.000 Jahren bildeten viele heutige Inseln Südostasiens eine „Sunda“ genannte Halbinsel, weil der Meeresspiegel in der damaligen Kaltzeit deutlich tiefer lag als heute.

Die Karst-Landschaft um die Höhle lag in dieser Zeit im äußersten Osten des asiatischen Festlandes und war für Steinzeit-Jäger gut erreichbar. Davon zeugen bereits mindestens 40.000 Jahre alte Malereien in der Höhle. In einem anderen Teil der Höhle fand das Team um Maloney das Grab eines Steinzeitmenschen, der nach den Ergebnissen verschiedener Datierungsmethoden vor rund 31.000 Jahren dort beigesetzt worden war. Da diese Person für ihre Zeit groß gewachsen war, vermutet das Team, dass es sich um einen Mann handelte.

Wie damals üblich, war er mit zur Brust hochgezogen Beinen bestattet worden. Aus den kaum abgenutzten Zähnen und dem Zustand von Knochen-Fugen, die erst im Laufe des Lebens zusammenwachsen, schließt die Gruppe auf ein Alter von 19 bis 20 Jahren.

Vom unteren Teil des Skeletts fehlen die Knochen des linken Fußes und Teile von Schien- und Wadenbein.
Vom unteren Teil des Skeletts fehlen die Knochen des linken Fußes und Teile von Schien- und Wadenbein.

© Tim Maloney

Das Skelett ist zum größten Teil noch vorhanden, nur fehlen der linke Fuß und das untere Drittel der linken Unterschenkel-Knochen. Allerdings gab es keine Zeichen für einen Splitterbruch mit sehr unregelmäßigen Kanten, der entsteht, wenn ein Raubtier den Fuß abbeißt oder bei einem Unfall ein Teil des Beines zerschmettert oder abgerissen wird. Der Fuß und der untere Teil des Unterschenkels sind also wahrscheinlich mit einer Steinklinge sauber abgetrennt worden. 

Bei solchen Operationen sind noch im Mittelalter häufig Patienten verblutet, wenn Blutgefäße verletzt wurden. Andere erlagen späteren Infektionen der Operationswunden. Da sich in tropischen Regionen Wunden häufig infizieren, haben die Steinzeitmenschen dort möglicherweise gelernt, aus Pflanzen einfache Medikamente und Antiseptika zu gewinnen, die solche Infektionen verhindern oder sie zumindest lindern, vermutet das Team. „Allerdings sagt ein einziger Fund über solche Fähigkeiten noch nicht viel aus, da der Patient auch einfach nur großes Glück gehabt haben könnte“, sagt Hublin.

An den Enden der Knochen fanden die Forschenden nach der Amputation gewachsene Knochenverdickungen, die zeigen, dass der Patient die Operation sechs bis neun Jahre überlebt hat. Auch waren die Knochen des linken Unterschenkels deutlich kürzer als die des rechten. Vermutlich war der Fuß also bereits im Kindesalter entfernt worden und die Knochen waren danach nicht weitergewachsen.

Außerdem waren die Knochen der amputierten Gliedmaße deutlich dünner als die der gesunden. „Wenn eine Gliedmaße nicht genutzt wird, werden dort mit der Zeit nicht nur die Muskeln, sondern auch die Knochen dünner“, erklärt Hublin. Auch das deutet darauf hin, dass der junge Steinzeitjäger damals das gesunde rechte Bein stärker als den amputierten linken Unterschenkel belastete – und dass er die Operation dank der Hilfe seiner Gruppe auch mit erheblich eingeschränkter Mobilität einige Jahre überlebte.

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