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Wohin nach der Doktorarbeit? Unter den Hochqualifizierten können sich junge, innovative Unternehmen die „Besten der Besten“ aussuchen.

© Getty Images/skynesher

Start-up oder Konzern: Welche Jobs Forschende von der Uni fortlocken

Wen es mit dem Doktor in der Tasche in die Industrie zieht, muss sich zwischen Start-up oder etablierten Unternehmen entscheiden. Das Geld spielt dabei eine Rolle – aber nicht die einzige.

Sich als Akademiker:in in den Dienst der Industrie zu stellen, mag vereinzelt noch auf Stirnrunzeln stoßen. Tatsächlich wird der Wechsel von der Uni-Forschung in die Wirtschaft als „alternative Karriere“ bezeichnet. Dabei bleiben die Wenigsten der reinen Wissenschaft erhalten.

Viele finden Bezahlung, Entwicklungsperspektiven wie auch die Work-Life-Balance in Unternehmen besser als in der öffentlichen Lehre und Forschung. Mehr noch als das Geld scheint aber das besondere Umfeld junger, innovativer Unternehmen zu locken. Start-ups können mittlerweile unter vielen, oft promovierten Bewerber:innen wählen – und das, obwohl sie schlechter bezahlen als etablierte Firmen.

Diese Entwicklung haben Henry Sauermann von der European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin und sein Kollege Michael Roach von der University of Illinois at Urbana-Champaign zunächst am Beispiel der USA festgehalten.

2010 und 2013 haben sie 2400 Doktorand:innen in den USA mit Fragebögen charakterisiert und ihre Karriereentscheidungen über einen Zeitraum von zehn Jahren verfolgt und mit Daten etwa aus dem sozialen Netzwerk LinkedIn untermauert.

Das Ergebnis: Bestimmte Promovierte legen mehr Wert auf individuelle Vorstellungen von Freiheit bei der Arbeit oder die Mitarbeit an „Spitzentechnologien“ als auf das Geld. „Das wird oft ignoriert in der generellen Diskussion, in der angenommen wird, dass Menschen einfach nach dem höchsten Gehalt schauen“, sagt Sauermann dem Tagesspiegel.

Die aktuelle Lesart der Gehaltsunterschiede ist, dass Start-ups Probleme hätten, qualifizierte Mitarbeiter einzustellen: Der Gehaltsunterschied im Vergleich zu etablierten Unternehmen sei zu groß. Doch die Studie weist in die entgegengesetzte Richtung. Eine Analyse von Stellenangeboten und Bewerbungen zeigte, dass Start-ups sich die talentiertesten Köpfe aussuchen können. Ihre durchschnittliche Qualifikation war höher als die in etablierten Unternehmen.

Die Mitarbeitenden in den kleinen Unternehmen waren trotzdem bereit, Abstriche beim Gehalt und der Jobsicherheit zu machen. In der Studie arbeiteten etwa 12 Prozent der Befragten in einem Start-up, das im Schnitt etwa zweieinhalb Jahre alt war. Die Hälfte davon bezahlte weniger als zehn Angestellte.

Akademie oder Industrie?

Auch bei der Karriereentscheidung zwischen Industrie- und Uni-Laufbahn spielen nicht-finanzielle Faktoren wie Freiheit oder Sicherheit im Job eine Rolle. Damit wird sich Sauermanns nächstes Projekt befassen, sagt er. Aktuelle Zahlen dazu sind nicht öffentlich verfügbar.

In unserem Trainingsprogramm für Postdocs haben sich zwei Drittel für die Industrie-Schiene entschieden.

Jean-Yves Tano, Postdoc-Büro am Max-Delbrück-Centrum

Ähnlich wie in den USA scheint es die hoch qualifizierten Promovierten auch bei uns zunehmend in die Wirtschaft zu ziehen, sagt Jean-Yves Tano, der Postdocs am Berliner Max-Delbrück-Centrum berät. Insbesondere für jüngere Forschungsgruppen sei die Situation „herausfordernd“.

Zumindest aus eigener Erfahrung könne er das Bild bestätigen, dass die Industrie für junge Forschende attraktiver geworden ist: „Letzte Woche habe ich einen Vortrag vor 40 Doktorandinnen und Doktoranden gehalten – sie alle wollten in die Industrie“, sagt er. „In unserem Trainingsprogramm für Postdocs haben sich in den letzten drei Jahren zwei Drittel für die Industrie-Schiene entschieden.“

Doch wie gut lassen sich die Ergebnisse der Studie auf hiesige Verhältnisse übertragen? „Wir haben leider noch keine vergleichbaren Daten aus Deutschland oder Europa“, sagt Sauermann. Individuelle Präferenzen gebe es aber hier wie dort. Im Rahmen der Längsschnittstudie „NACAPS“ würden derartige Zahlen derzeit für Deutschland erhoben.

Auch die Gründerszene ist in Deutschland im Vergleich zu den USA schwächer: Es fehlt an Risikobereitschaft, etwa bei der Finanzierung durch Wagniskapital. Sauermann weist darauf hin, dass eine weniger ausgeprägte Start-up-Kultur zu einer anderen Ausgangslage führen könnte: „Die Balance zwischen Angebot und Nachfrage und damit auch die Auswahl der ‚Besten der Besten‘ aufseiten der Start-ups ist deshalb nicht klar.“

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