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Der „Archaeoraptor liaoningensis“ aus China galt als Sensationsfund. Die versteinerten Knochen – ein „missing link“ zwischen Dinosauriern und Vögeln – erwiesen sich jedoch als Fälschung.

© Jonathan Chen/Wikipedia

Schwarzmarkt, Fälschungen und Vorwürfe: Fossilienforschung in Schwierigkeiten

Fossilien sind eine begehrte Handelsware. Das erschwert die Forschung. Sie ist zudem mit Debatten über Neokolonialismus konfrontiert.

Tapejaridae sind die Punks unter den Flugsauriern. Mit einem markanten Kamm auf dem Kopf segelten sie durch die Kreidezeit. Ihre Überreste finden sich unter anderem in Spanien, Marokko und Brasilien, oft nur einzelne Körperteile.

Von einem besonderen Fund berichten jetzt Forscher um Victor Beccari von der Universität São Paulo. Der Körper des Tupandactylus navigans sei weitgehend intakt, an den Knochen ließen sich sogar Reste von Gewebe erkennen. Damit sei das Fossil in der Größenklasse zwischen Pute und Huhn das am besten erhaltene eines Taperjaridae, das bislang entdeckt wurde, schreiben die Autoren in der Zeitschrift „PlosOne“. Ein Glücksfall für die Forschung, der maßgeblich der Polizei zu verdanken ist.

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Stütze und Verluste für die Forschung

In Brasilien gelten Fossilien als geologisches Erbe des Landes, der Handel ist verboten, findet illegal aber trotzdem statt. „Die Bundespolizei ermittelte in einem solchen Fall und stellte 2013 mehr als 3000 Proben sicher“, berichtet Beccari. Sie wurden ans Geowissenschaftliche Institut der Universität São Paulo gebracht, um sie der Öffentlichkeit und der Wissenschaft zugänglich zu machen.

„Die meisten Fossilien waren bereits präpariert und zum Verkauf vorbereitet“, berichtet der Forscher. „Diese Stücke werden normalerweise an private Sammler in Europa und Nordamerika verkauft, auch an Museen.“ Damit gingen sie für die brasilianische Forschung verloren, klagt Beccari. „Und im Fall von privaten Sammlern für die Wissenschaft insgesamt.“ Welcher Forscher im Ausland würde schon über illegale Fundstücke publizieren, sofern die Fachjournale das überhaupt zuließen?

Fossilien und ein bisschen Fantasie haben zu diesem Bild von "Tupandactylus navigans" beigetragen.
Fossilien und ein bisschen Fantasie haben zu diesem Bild von "Tupandactylus navigans" beigetragen.

© Illustration: Victor Beccari

An dem gut 100 Millionen Jahre alten Tupandactylus navigans zeigt sich das Dilemma der paläontologischen Forschung: Wissenschaftliche Institute, ob Universitäten oder Museen, haben sehr begrenzte Ressourcen und können nur einen kleinen Teil der Fossilien bergen, die beispielsweise in Steinbrüchen ans Tageslicht kommen. Ohne private Sammler oder aufmerksame Arbeiter, die vielversprechende Kalkplatten beiseite legen, würden noch mehr einzigartige Zeugen der Erdgeschichte im Straßenbau oder in der Zementindustrie enden.

Seit jeher gelten Privatsammler als wichtige Stütze der Paläontologie. Doch unter ihnen gibt es unterschiedliche Typen. Manche suchen den Kontakt zu Forschungsinstitutionen, um mehr über „ihr“ Stück zu erfahren, stimmen einer wissenschaftlichen Bearbeitung zu und verkaufen oder verleihen es, um es öffentlich zugänglich zu machen. Andere behalten die fossilen Schätze für sich und lassen Forschung und Öffentlichkeit nicht daran teilhaben.

Welcher Sammlertyp welche Rolle spielt, hängt auch von den gesetzlichen und wirtschaftlichen Umständen in den jeweiligen Ländern ab. In Bayern beispielsweise ist das Aufsuchen von Fossilien erlaubt, wie Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie in München erklärt. „Die meisten Privatsammler, die ich kenne, sind an den Fossilien interessiert und weniger an ihrem kommerziellen Wert.“ Sie sind im Kontakt mit den Forscherinnen und Forschern – zum Vorteil beider Seiten. Anders ist es etwa in China, wo der Fossilienhandel verboten ist. „Wir würden deshalb dort keine Stücke kaufen.“ Viele Privatleute tun das trotzdem, auch in anderen Ländern.

Nachbesserungen an fossilen Funden

So entsteht ein Schwarzmarkt mit hohem Risiko und hohen Gewinnmargen. An dessen Basis stehen häufig arme Arbeiter, die Versteinerungen aufklauben und an Händler weitergeben. Für die Wissenschaft haben die Stücke damit schon viel an Wert eingebüßt, weil die geologischen Informationen zur Fundstelle fehlen. Vom Tupandactylus navigans beispielsweise kann niemand mehr sicher sagen, woher er stammt. Beccari und Team schätzen aufgrund des umgebenden Kalks, dass es eine Lagerstätte im Nordosten Brasiliens ist.

Im nächsten Schritt geht es zu Präparatoren, die die oft unscheinbaren Versteinerungen ansehnlich machen. Es ist verlockend, hier nachzuhelfen, um den Preis zu steigern. Mitunter werden Fragmente mehrerer Fossilien zusammengefügt, durchaus auch unterschiedlicher Spezies, wie der Journalist John Pickrell im Buch „Flying Dinosaurs: How Fearsome Reptiles Became Birds“ beschreibt. Der berühmteste Fall ist Archaeoraptor liaoningensis, ein Fund aus der chinesischen Provinz Liaoning: 1999 von „National Geographic“ als Verbindungsglied zwischen Vögeln und Dinosauriern gefeiert, später als Fälschung entlarvt. Ein Vogel war mit einem Dino-Schwanz versehen worden. Laut Pickrells Quellen dürften mehr als die Hälfte der Fossilien in chinesischen Museen „geschönt“ sein. Manchmal wurde eine fehlende Gliedmaße nachmodelliert, manchmal noch mehr.

„Manipulationen gibt es nicht nur bei chinesischen Proben“, sagt Rauhut. Unter den Fischsauriern aus Deutschland seien „relativ wenige Stücke, wo nicht nachgebessert wurde“. Solche Verschönerungen werden teilweise offen kommuniziert. „Mir wurde bereits von einem Händler gesagt: Vorsicht, wir haben an dieser Stelle etwas nachgearbeitet.“

Für Forscher sind solche Hinweise sehr wertvoll. „Daher lohnt es sich, ein gutes Verhältnis zu den Händlern zu haben.“ Zudem gibt es Methoden, um Manipulationen zu erkennen. Mit UV-Licht werden Klebestellen sichtbar und Computertomographie zeigt Materialunterschiede.

Die Angst vor dem Shitstorm

Doch nicht nur die geologische Herkunft der Fossilien und ihr Zustand sind maßgeblich für die Paläontologie. Auch die geografische Herkunft von Probe und Bearbeitern wird wichtiger, immer wieder fällt das Wort „Neokolonialismus“.

Bis ins 20. Jahrhundert hinein liefen viele paläontologischen Arbeiten nach folgendem Schema: Forscher reisten in ein Land, sammelten und kauften Material, reisten zurück nach London, Paris oder Berlin, werteten die Funde aus, präsentierten sie in ihren Museen und publizierten die Ergebnisse in Fachzeitschriften. „Das ist die Kultur, wie sie bis heute jungen Menschen beigebracht wird“, sagt Nussaibah Raja Schoob von der Universität Erlangen-Nürnberg. Sie beruft sich unter anderem auf die Dominanz westlicher Institutionen in der Paläobiologie.

97 Prozent der Daten zu Fossilvorkommen, die zwischen 1990 und 2020 publiziert wurden, stammen von Autoren aus Nordamerika und Westeuropa. Das ergab eine Analyse eines Teams um Schoob, die auf „Earth ArXiv“ veröffentlicht wurde. Dies lasse vermuten, dass „die Machtdynamik die derzeit in der Disziplin beobachtet wird, analog zu der ist, die in der Zeit der kolonialen Plünderung existierte“. Die Organisation und Finanzierung von Forschung müsse sich viel stärker daran ausrichten, Experten vor Ort und deren Interessen einzubinden lautet das Fazit.

Oliver Rauhut sieht das etwas anders: „Schon während meines Studiums Anfang der Neunzigerjahre wurde darüber diskutiert und gehandelt.“ Er arbeite viel in Argentinien, mit den Fachleuten im Land. Andernorts fehle es aber an Expertise. „Da ist es weitgehend Konsens, diesen Ländern zu helfen, ihre eigenen Experten auszubilden.“

Dass jetzt mit Bewusstsein für Kolonialismus die Forschungspraxis hinterfragt wird, findet Rauhut grundsätzlich gut. „Ich sehe aber die Gefahr, dass es leicht in einen Nationalismus kippen kann, wo die Proben aus einem bestimmten Land nicht fortgebracht und nur von den Fachleuten des Landes bearbeitet werden dürfen“, sagt er. Das wäre der Wissenschaft „abträglich“. Die Debatten würden derzeit schärfer geführt, besonders in den sozialen Medien, und vor allem Jüngere teilweise verunsichern. „Einige haben Angst vor einem Shitstorm.“

Vorwurf des Neokolonialismus

Wie schnell das geht, hat Wolfgang Stinnesbeck von der Universität Heidelberg erlebt. Seit über drei Jahrzehnten arbeitet er in Mexiko. Er habe die geowissenschaftliche Fakultät an der Universität Nuevo León in Monterrey mit aufgebaut und im größten naturhistorischen Museum des Landes in Saltillo vor zehn Jahren ein Präparationslabor eingerichtet, mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft, um eine Bearbeitung vor Ort zu ermöglichen.

Im März veröffentlichte er mit Kollegen eine Studie über einen planktonfressenden „Adlerhai“ (Aquilolamna milarcae), der vor 93 Millionen Jahren lebte. Ein Mexikaner hatte die fossilführenden Platten in einem Steinbruch gesichert, das Tier präpariert und war als Co-Autor genannt.

Alsbald regte sich aber Kritik, dass nicht mit Forschern in Mexiko kooperiert worden sei. Auch das K-Wort fiel. Stinnesbeck ist bis heute verärgert, berichtet von einem Container voller Fossilien aus Holzmaden und der Grube Messel, die damals an das neue Museum geschickt worden waren und von einem Masterstudiengang in Saltillo, den er mit aufbauen will. „Wenn ich nun als Neukolonialist bezeichnet werde“, fragt er, „warum sollte ich künftig noch Leute ausbilden, um dann mit Schmutz beworfen zu werden?“

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